Seewölfe - Piraten der Weltmeere 377. Burt Frederick
einem plötzlichen Entschluß heraus wandte sich Don Pedro abrupt um. Mit hoch erhobenem Kopf, die Hände weiter auf dem Rücken, stelzte er auf die drei Offiziere zu, die vor der Heckbalustrade Aufstellung genommen hatten.
Kaum, daß er sich ihnen zugewandt hatte, gingen sie in Habtachtstellung. Nachlässigkeiten duldete er bei niemandem. Am allerwenigsten bei seinen Offizieren, die den Gemeinen ein ständiges Vorbild zu sein hatten.
In herrischer Pose blieb Don Pedro vor den drei Männern stehen, sah den Ersten an und reckte auffordernd das Kinn vor.
„Ich will noch einen Blick auf die Karte werfen“, sagte er knarrend. „Es muß doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir diese verdammte Bucht nicht bald erreicht haben.“
„Sofort, Capitán.“ Der Erste griff nach dem zusammengerollten Pergament, das er in der Tasche seines Wamses verstaut hatte. Er rollte die Karte auseinander und hielt sie mit beiden Händen senkrecht hoch.
„Und?“ Don Pedro bellte das eine Wort, daß es wie ein Pistolenschuß klang.
Der Dritte Offizier, der zugleich Navigator war, beeilte sich, einen Schritt näher heranzutreten. Mit dem Zeigefinger deutete er auf einen Punkt im nördlichen Küstenverlauf der Insel.
„Wir befinden uns jetzt ungefähr hier, Capitán. Die Piratenbucht …“
„Ungefähres will ich nicht wissen“, schnaubte Don Pedro. „Die genaue Position brauche ich, Mann! Wenn Sie Ihres Postens als Navigator nicht würdig sind, brauchen Sie es nur zu sagen. Vielleicht fühlen Sie sich überfordert. Wie? Habe ich recht?“
„Nein, Capitán.“ Der Dritte zog unwillkürlich den Kopf ein Stück tiefer zwischen die Schultern, als erwarte er eine körperliche Züchtigung.
„Widersprechen Sie mir nicht, Kerl!“ Don Pedro wippte mit einem energischen Ruck auf und ab. „Ich rate Ihnen, leisten Sie sich während dieser Fahrt keine weitere Schlampigkeit. Sonst sind Sie spätestens bei unserer Rückkehr nach Cartagena die längste Zeit Navigator auf diesem Schiff gewesen.“
„Jawohl, Capitán“, sagte der Dritte so klar und deutlich, wie er es trotz seiner Wut im Bauch zustande brachte.
„Und? Wie ist nun unsere genaue Position?“
Der Dritte tippte noch einmal auf die Stelle des Küstenverlaufs, die er zuvor schon angezeigt hatte.
„Genau hier, Capitán. Es kann sich folglich nur noch um genau zwei Minuten handeln, bis wir die besagte Piratenbucht in Sichtweite haben.“
Natürlich war diese genaue Zeitangabe hoffnungslos übertrieben. Aber der Dritte sah keinen anderen Ausweg, um Don Pedros Bedürfnis nach Genauigkeit zu erfüllen. Und eine gütige Fügung des Schicksals bestätigte die Angabe des Offiziers im nächsten Augenblick, noch bevor dieser Eisenfresser von einem Kapitän zu einer Entgegnung ansetzen konnte.
Die Stimme des Ausgucks ertönte aus dem Großmars.
„Deck! Größere Bucht Backbord voraus!“
Don Pedro de Harana vollführte eine zackige Kehrtwendung und stelzte voller Spannung zur Querbalustrade zurück. Am Backbordniedergang beugte er sich vor und starrte in das noch immer trübe Morgenlicht.
Wie um ihn zu besänftigen, brach in diesem Moment die Sonne über der östlichen Kimm hervor. Und von einer Minute zur anderen ergoß sich strahlende Helligkeit über die Karibische See.
Der Einschnitt im Küstenverlauf war jetzt überdeutlich zu erkennen.
„Backbordgeschütze klar zum Feuern!“ schrie Don Pedro. Er mußte sich bemühen, nicht gleichzeitig seine Freude hinauszubrüllen. Jetzt ging es dem Piratengesindel an den Kragen! Hier und jetzt, an diesem herrlichen Aprilmorgen, der sich von keiner besseren Seite hätte zeigen können. Im Handumdrehen würde dieser Fall erledigt sein, und dann konnte Punkt eins auf der Erfolgsliste abgehakt werden.
„Backbordgeschütze klar!“ meldete der Stückmeister vom Niedergang zur Back, wo er Stellung bezogen hatte.
Die Geschützmannschaften lauerten hinter den Bronzerohren, die Decksleute, die die Segel im entscheidenden Moment backzubrassen hatten, standen auf dem Sprung. In wenigen Augenblicken, so dachte Don Pedro voller Stolz, würde sich die „Granada“ in eine feuerspeiende schwimmende Festung verwandeln, gegen die niemand auch nur die geringste Chance hatte.
Ohnehin würde er das Gesindel im Schlaf überraschen. Mit Gegenwehr war praktisch nicht zu rechnen. Dieses faule Pack lag meist bis in die Mittagsstunden auf dem Ohr, fraß sich dann den Wanst voll und verbrachte den Rest des Tages bis in die späte Nacht damit, zu saufen und herumzuhuren. Für diesen lasterhaften Lebenswandel sollte sie jetzt das Gottesurteil treffen – und für ihre Frechheit, im Machtbereich der spanischen Krone ihr Unwesen zu treiben.
Die „Granada“ glitt auf die Mündung der Bucht zu. Auch die drei Offiziere waren jetzt an die Querbalustrade geeilt. Ungewollt hatten auch sie sich von der allgemeinen Spannung packen lassen. Absolute Stille war auf den Decks der Galeone eingekehrt. Mit zusammengepreßten Lippen wartete der Stückmeister auf das Zeichen, das ihm der Capitán jeden Moment geben mußte.
Die Weite der Bucht schob sich mehr und mehr ins Blickfeld der Männer.
Gähnende Weite! Paradiesisch leer!
Don Pedro de Harana war versucht, einen Fluch auszustoßen. Ein Capitán Seiner Allerkatholischsten Majestät, Philipp II, von Spanien, fluchte jedoch nicht, vor allem nicht in Anwesenheit von niederen Chargen.
Dann erblickte er die winkenden Soldaten am Strand. Ihre Helme und Brustpanzer schimmerten im strahlenden Schein der Morgensonne.
„Lassen Sie vor Anker gehen“, wandte sich Don Pedro mit müder Stimme an den Ersten Offizier. „Lassen Sie die Boote zu Wasser bringen und die Männer an Bord holen.“
„Jawohl, Capitán“, antwortete der Erste und salutierte. Dann hallte seine energische Befehlsstimme über die Decks.
Don Pedro drehte sich um, stelzte zur Heckbalustrade und starrte auf die See hinaus. Die freudige Erregung, die ihn vor Minuten noch erfüllt hatte, war düsteren Gedanken gewichen. Es konnte nicht sein, es durfte nicht sein. Nie und nimmer war er vom Pech verfolgt. Das Schicksal konnte sich nicht gegen ihn gewandt haben. Die Gerechtigkeit war doch auf seiner Seite. Es durfte einfach nicht angehen, daß es eine andere, fatale Gerechtigkeit gab, die auf der Seite des ostkaribischen Lumpenpacks stand. Don Pedro schickte einen flehentlichen Blick zum Himmel. Inbrünstig bat er den Allmächtigen, ihn mit gerechtem Zorn auf seinem dornenvollen Weg zu begleiten.
Unvermittelt durchzuckte ihn ein Gedanke. War das etwa schon ein Wink des Himmels? Warum hatte er nicht eher daran gedacht?
Die Buchten westlich von hier!
Natürlich. Dorthin konnten die Piraten verholt haben. Es gab nur diese eine Möglichkeit, denn sie konnten sich ja nicht in Luft aufgelöst haben.
Wenig später jedoch folgte die endgültige Ernüchterung für Don Pedro. Der Truppführer der Soldaten, ein Teniente, meldete sich auf dem Achterdeck, nachdem seine Männer an Bord gebracht worden waren.
„Ich bitte darum, meinen Bericht erstatten zu dürfen“, sagte der Teniente in jenem barschen Ton, den Don Pedro so sehr schätzte.
„Ich höre“, entgegnete de Harana gnädig.
„Wir haben die Bucht bereits vor mehr als einer Stunde erreicht, Capitán. Weder im Inneren der Insel noch am Strand der Bucht gab es die geringsten Anzeichen von menschlichem Leben. Nicht einmal Fußspuren haben wir entdeckt. Da wir genügend Zeit zur Verfügung hatten, haben wir die Trupps noch einmal geteilt und in vier Gruppen sämtliche Nebenbuchten nach Westen hin abgesucht. Ohne Ergebnis! Ein Piratenschiff gibt es hier nicht.“
Don Pedro de Harana starrte den Teniente an und brachte kein Wort hervor. Er hatte das Gefühl, als zöge ihm jemand die Planken unter den Füßen weg.
Der Erste Offizier konnte sich nun nicht mehr zurückhalten. Autorität hin, Autorität her – Unsinnigkeiten durften