Seewölfe - Piraten der Weltmeere 229. John Curtis
wandte sich um und musterte den Kerl.
„Hör zu, du verlauster Stint“, röhrte er, „ich habe dich nicht um deine Meinung gebeten. Wäre ich nicht angekettet, würde ich dir dein vorlautes Maul stopfen, du kalfaterter Decksaffe!“
Der Kerl reagierte ganz anders, als der Profos vermutet hatte. Er wurde nicht wütend, sondern grinste nur, dabei zeigte er zwei Reihen prächtiger weißer Zähne.
„Du bist ein Kerl nach meinem Geschmack, Profos“, erwiderte er. „Wenn ich die Hände frei hätte, wär’s mir recht, wenn wir beide es mal miteinander versuchten. Aber so, wie die Dinge im Moment liegen, sollten wir eher daran denken, aus diesem Dreckskahn wieder herauszukommen. Aber was ich eigentlich sagen wollte: Du hast morgen früh etwas vor. Gut. Hätte ich auch an deiner Stelle, wenn dieser verfluchte Don Bosco seine Finger nach den beiden Kerlchen da ausstreckt. Aber sei auf der Hut, mein Freund. Don Bosco ist nicht allein, dieser Nuno ist bestimmt dabei, und der schlägt dich eiskalt tot, wenn du ihm den geringsten Anlaß dazu gibst. Ich weiß, was bei Diego oben passiert ist, und ich wundere mich, daß du überhaupt noch lebst.“
Carberry nickte. Das wunderte ihn allerdings auch. Denn dieser Nuno, ein Kerl wie ein Baum, hatte die Prügel, die der Profos ihm bei Diego verabreicht hatte, bestimmt nicht vergessen. Auch wenn es – das mußte Carberry sich eingestehen – verdammt knapp hergegangen war, denn dieser Nuno besaß Kräfte und Muskeln wie kaum ein Mann, den er bis dahin kennengelernt hatte. Nur mit dem Hirn haperte es bei diesem Muskelpaket erheblich, zum Glück. Trotzdem, Carberry machte sich keine Illusionen: Sobald sie ausgelaufen waren, und das würde am nächsten Morgen geschehen, würde Nuno, der Schlagmann der Galeere, der zugleich auch oft die Funktion eines Aufsehers übernahm, sein Mütchen an ihm kühlen. Mit der Neunschwänzigen.
„Was also schlägst du vor, Mister Unbekannt?“ fragte Carberry grollend zurück, und gleichzeitig spürte er, wie ihm diese ganze lausige Situation an die Nerven zu gehen begann. Ihm wie allen anderen Seewölfen.
„Man nennt mich Barba“, erwiderte der Schwarzbart aus dem achteren Teil der Galeere. „Und wir sind Kollegen, ich war Profos wie du. Bis dieser Don Bosco über uns herfiel, mit sechs Schiffen auf einmal. Da war nichts zu machen, Freund, die fielen über uns her, als hätte die Hölle alle ihre Teufel auf einmal losgelassen. Im übrigen schlage ich gar nichts vor, weil ich auch nicht weiß, wie wir aus dieser beschissenen Situation wieder herauskommen sollen. Ich bin schon über drei Monate auf dieser Galeere, daher weiß ich Bescheid. Ich kenne diesen Nuno, ebenfalls den Pablo, der es euch besorgt hat, und Don Bosco auch. Seid auf der Hut, besonders vor Don Bosco. Er sieht nicht so aus, aber ist brutaler, hinterhältiger und schlauer als irgendeiner, dem ich je begegnet bin. Ein Menschenleben gilt ihm nichts, das seiner eigenen Leute sowenig wie das seiner Gefangenen. Wenn ihr überhaupt einen Rat wollt, besonders du, Seewolf, dann solltest du Zeit gewinnen. Und also mußt du reden, und wenn es Lügen sind, die du dem Don erzählst. Ich habe gehört, daß ihr noch Freunde in der Gegend habt, und von diesem verrückten Wikinger weiß ich so manches. Aber nicht nur, daß er immer mit seinem verdammten Helm herumrennt, sondern auch, daß die Piraten ihn und seinen schwarzen Segler fürchten wie sonst kaum etwas in der Karibik. Auch von jener Roten Korsarin hörte ich, die Spanier hassen sie wie die Pest. Das gleiche gilt auch für diesen Franzosen, aber er hatte Pech, ihm schossen sie sein Schiff kürzlich total zusammen.“
Ben Brighton, der Stellvertreter des Seewolfs, musterte Barba. Eine ungewöhnliche Erregung hatte sich seiner bemächtigt, denn Ben Brighton war ansonsten die Ruhe selbst und brauchte immer einige Zeit, um wirklich auf Touren zu kommen.
„Und, Mann? Was ist mit dem Franzosen? Hat’s ihn erwischt?“
Barba schüttelte den Kopf.
„Die Schnapphähne von Don Bosco unterhielten sich darüber. Er ist ihnen entwischt, ich weiß nicht, wie. Ich glaube, die Rote Korsarin hatte ihre Finger drin, die muß auf der Bildfläche erschienen sein, ehe sie dem Franzosen vollends den Garaus machen konnten.“
Der Seewolf hatte sich aufgerichtet, soweit ihm das seine Ketten erlaubten. Er warf Barba einen scharfen Blick aus seinen eisgrauen Augen zu.
„Du weißt wirklich eine ganze Menge, Barba“, sagte er dann langsam, jedes Wort betonend. „Ich habe einen schweren Fehler begangen, indem ich diesen Pablo gegen die Einwände zweier meiner Männer an Bord unserer ‚Isabella‘ nahm. Einen solchen Fehler werde ich nicht so schnell wiederholen, falls ich dazu noch Gelegenheit kriegen sollte. Und danach sieht es im Moment verdammt nicht aus. Aber zu dir. Wer sagt mir, daß du nicht ein Spitzel dieses Don Bosco bist, einer, der uns aushorchen soll und uns deswegen Märchen erzählt?“
Barba fuhr herum, zwei scharfe Falten gruben sich über der Nasenwurzel in seine Stirn. Nur mühsam hielt er an sich.
„Ich verstehe, daß du mißtrauisch bist, Seewolf“, sagte er dann. „Ich habe viel von dir und deinen Männern gehört. Ich bin auf einem Schiff gefahren, das zu einem Verband gehörte, der dich jagen sollte. Es ist schon lange her – aber erinnerst du dich an die Mocha-Insel? Dort habt ihr den Araukanern geholfen, die Dons waren wie wild. Aber ihr seid entwischt. Seither habe ich mich für dich und deine Freunde interessiert. Ich bin mal auf diesem, mal auf jenem Schiff gefahren. Ich bin kein Spanier, sondern Venezianer. Don Bosco erwischte mich auf einer portugiesischen Galeone, sie sollte nach Lissabon segeln und war mit Silberbarren beladen. Aber ich war nie ein Verräter, Seewolf. Du kannst mir glauben oder nicht, es ist mir gleich. Aber wenn du mich beleidigst, dann hast du auch mich zum Feind.“
Barba schwieg einen Moment, und die Seewölfe starrten ihn an.
„Aber nicht nur ich interessierte mich für dich und deine Freunde. Don Bosco tut das auch schon seit einer geraumen Weile. Nicht zuletzt seit dem Moment, in dem ihr die Silberflotte angegriffen habt1) denn damit habt ihr ihm einen fetten Brokken abgejagt, den er sich holen wollte, nachdem die anderen den Kampf für ihn erledigt hatten. Außerdem interessiert sich Don Bosco seit einiger Zeit schon für eure sagenhafte Schlangeninsel. Anlaß genug geben dazu ja der Wikinger mit seinem Schwarzen Segler, die Rote Korsarin mit ihrer Galeone, die man weithin an den roten Segeln erkennt und die sie ‚Roter Drache‘ getauft hat und auf der eine Crew von Engländern fährt. Und nicht zuletzt der Franzose, der den Piraten der Karibik ebenfalls immer wieder die Hölle gehörig angeheizt hat, sobald sie sich der Schlangeninsel zu sehr näherten oder ihm sonst ins Gehege gerieten. Man erzählt wirklich sehr merkwürdige Dinge über diese Insel, das kannst du mir glauben. Es soll da ein Felsentor geben, das der Satan persönlich bewacht …“
Big Old Shane brach in lautes Gelächter aus.
„Dieser Don Bosco soll sich nur in acht nehmen, daß ihn der Teufel nicht persönlich holt, wenn er sich zu nahe an die Schlangeninsel heranwagt!“ Der einstige Waffenmeister von Arwenack brüllte vor Lachen, und die anderen Seewölfe fielen ein. Die Galeere glich im Nu einem Tollhaus, und dann, wer es angestimmt hatte, wußte später niemand mehr, erscholl der alte Kampfruf der Seewölfe. Er brandete wie eine Riesenwoge durch das Schiff, schwemmte alles mit sich fort, drang bis in die Höhle, in der Don Bosco und seine Spießgesellen ihre Orgie feierten und in der die Weiber plötzlich mit ihrem Gekreische aufhörten.
„A-r-w-e-n-a-c-k!“ hörten sie den Kampfruf der Seewölfe. Und dann noch einmal und gleich darauf abermals.
Don Bosco fuhr hoch. Er stieß Conchita, die schwarzhaarige Schöne, seine Gefährtin, die ihm bedingungslos ergeben war, zur Seite. Seine Züge verzerrten sich vor Wut.
„Nuno!“ brüllte er, und der Riese erhob sich schwankend, stierte Don Bosco aus seinen kleinen, tückischen Augen an. „Nuno! Bring diese Dreckskerle zur Ruhe, sofort! Und wenn du es nicht schaffst, dann erledige ich es persönlich! Denen soll ihr Gebrüll noch vergehen, sie kennen Don Bosco noch nicht. Aber sie werden mich kennenlernen, gleich morgen früh, und sie sollen zittern vor mir!“
Don Bosco langte nach der schwarzhaarigen Conchita. Dann setzte er einen großen Weinkrug an die Lippen und trank ihn aus. So überlegt er auch sonst handelte – hatte er erst mal ein genügend großes Quantum Wein intus, dann brach seine wahre Natur plötzlich durch.
Er erhob sich