Seewölfe - Piraten der Weltmeere 609. Sean Beaufort
gibt es keinen Grund, etwas zu ändern. Vielleicht sollten die Segel noch etwas dichter geholt werden, Ben.“
„Aye, Sir.“
Während der Erste einige knappe Befehle gab, dachte der Seewolf über seine Befürchtungen nach. Er war es, der die absolute Befehlsgewalt über die Schiffe hatte. Wenn die drei Kapitäne Fehler zuließen oder selbst dafür verantwortlich waren, würde er sie ausbaden müssen.
Nach einem langen, prüfenden Blick, der das gesamte Schiff, die Wellen und besonders die Sonne und die Wolken am Himmel umfaßte, enterte Hasard den Niedergang und setzte sich vor die Karten, die Dan O’Flynn ausgebreitet hatte.
Bis die langsamen Galeonen mit ihrer verzweifelten Pilgerschar das sichere Ufer nahe der Kolonie erreichen würden, verging noch viel Zeit. Und jeder Tag brachte seine Überraschungen. Meist waren es böse Überraschungen.
Schon seit der Einschiffung hatte sich die Familie des frommen Schmiedes David Fletcher von vielen anderen Auswanderern, wenn nicht von allen, stark unterschieden. Inmitten der Menschenmenge bildeten sie eine Zone der Ruhe und Zuversicht, und das zeigten sie auch, indem sie fast stets zusammenhockten.
„Alles wird gut enden. Glaubt mir“, sagte David immer wieder.
Er war ein breitschultriger, schwarzhaariger Riese mit schwerem Körperbau und massigen Muskeln. Nichts schien den Dunkeläugigen, in dessen Bart sich einige graue Strähnen mischten, erschüttern oder aus der gelassenen Ruhe bringen zu können.
Die Fletchers schienen es gut getroffen zu haben. Sie befanden sich im Batteriedeck, zwischen den Kanonen und Pulverfässern, und saßen oder lagen auf Taurollen und den Bündeln zusammengeschlagener Segelleinwand. Meist konnten sie sich gegen die Planken lehnen. Durch einen Spalt in der Stückpforte drang frische Seeluft herein, und oft spritzte auch Wasser hindurch und lief am Holz entlang, feuchtete die Planken und das Segeltuch an.
Fast genau in der Mitte zwischen Ankerspill und Großmast waren die Fletchers untergebracht worden. Dennoch spürten auch sie die Enge im Schiff. Die „Discoverer“ wäre hoffnungslos überladen, hatte Vater Fletcher gesagt.
In den Stunden nach dem Ablegen und den ersten Tagen auf See hatte die Mannschaft noch keine Zeit, sich mit den Auswanderern zu beschäftigen und ihnen zu antworten.
„Wir müssen Geduld haben, Sarah“, tröstete Susan Fletcher ihre zwölfjährige Tochter. Die drei Kinder der Fletchers fingen an, sich zu langweilen.
„Ich will nach draußen“, maulte Roebuck.
„Das geht jetzt nicht“, antwortete der Vater brummig. „Bleib sitzen. Du siehst doch, daß kein Platz ist.“
„Aber es stinkt hier, Daddy!“
„Das geht vorbei, Roe.“
Die Mutter versuchte den Fünfjährigen zu beruhigen und zu trösten. Die Auswanderer saßen, lagen und kauerten zwischen den Lasten. Die Mannschaft hatte darauf geachtet, daß genügend freier Platz blieb. Ständig stiegen Seeleute nach unten, holten etwas oder führten irgendwelche Arbeiten aus. Die Landratten versuchten, zu verstehen, was dabei vor sich ging.
Es war mehr als mühsam, durch die Decks und über die Treppen – hier nannte man sie „Niedergänge“ – zu tappen und zu stolpern, wenn sich das Deck bewegte und der Magen langsam in den Hals zu klettern begann. Vorn, neben dem Bug, konnten sich die Auswanderer erleichtern. Wenn sie hoch über den schäumenden Wellen kauerten und sich krampfhaft festklammerten, dann packte sie der kalte Schrecken.
„Wann ist das Schaukeln vorbei, Mom?“ wollte Roebuck wissen. Die Mutter streichelte seinen Kopf und zuckte mit den Schultern.
„Ein paarmal mußt du noch schlafen, Roe“, erklärte der Schmied.
Unentwegt knarrten und ächzten, krachten und knisterten die vielen hundert Holzteile des Schiffes. Ebenso andauernd wie diese Geräusche waren die Schläge, mit denen die Wellen, kleine oder große, an die Planken schlugen. Das Sausen und Wimmern des Windes in der Takelage hörte niemals auf und war eine schaurige Begleitmusik zu dieser Fahrt in die Ungewißheit eines fremden Landes.
Nach einer Weile sagte Little John weinerlich: „Es stinkt wirklich, Dad.“
„Das sind nicht die Auswanderer, die Pilgrims“, erklärte der Vater des vierzehnjährigen Jungen mit dem wuscheligen blonden Haar. „Es riecht von unten, aus dem tiefsten Punkt der Galeone herauf. Sie nennen das die ‚Bilge‘. Dort sammelt sich alles – die Feuchtigkeit, das Wasser und die anderen, üblen Sachen. Wahrscheinlich sind dort auch ein paar Ratten.“
„Ratten?“ flüsterte Susan Fletcher entsetzt.
„Auf jedem Schiff sind Ratten“, murmelte ihr Mann. „Nur größte Sauberkeit hilft gegen Ungeziefer und Ratten. Aber die Galeonen sind alles andere als neu oder sauber.“
„Das haben, wir gesehen“, stimmte Sarah zu. Die zwölfjährige Tochter der Familie schien mit den Aufregungen, dem Bordleben in der drangvollen Enge und dem schlechten Essen noch am besten fertigzuwerden. „Und die Seeleute! Sie sind dreckig und fluchen immer.“
Die Habseligkeiten – die Packen, Ballen und Bündel, die letzten wertvollen Besitztümer der vielen Auswanderer – bildeten auf den Planken und an vielen Stellen der Decks undurchdringliche Stapel. Dazu gesellten sich die Vorräte, die das Schiff schon vor der Ankunft der Auswanderer an Bord genommen hatte.
Die Fletchers und viele andere Gruppen kannten jeweils nur einen kleinen Teil des dickbäuchigen Schiffes, aber an anderer Stelle mußte es ebenso aussehen. Jetzt krochen ein starker Geruch und dünner Rauch von der Kochstelle des fetten Kelvin Bascott durch die Hohlräume. Hinter dem dicken Schaft des Mastes erbrach ein Auswanderer laut und qualvoll. Wütende Stimmen wurden laut.
Susan und David wechselten einen langen, stummen Blick. Wenn sie über ihre Angst sprechen wollten, mußten sie warten, bis die Kinder eingeschlafen waren. Jedenfalls litt unter den fünf Köpfen seiner Familie, sagte sich David nicht ohne Stolz, noch keiner an der gefürchteten Seekrankheit. Aber bisher waren die Wellen auch nicht so hoch gewesen, wie es viele befürchtet hatten. Noch nicht.
Der Geruch nach Essen und Rauch, der aus der Kombüsenluke vor dem Mastschaft hochquirlte, wurde stärker. Die Auswanderer kramten nach ihren Näpfen. Aber zuerst, das war ihnen schnell klargeworden, empfing die Mannschaft ihr Essen.
Susan Fletcher ließ sich wieder zurücksinken, lehnte den Kopf gegen ein Kleiderbündel und schloß die Augen. Durch das Heben und Senken des schweren, feuchten Schiffsrumpfes hindurch fühlte sie, wie sie ruhiger wurde und sich die angsterfüllten Gedanken und Vorstellungen beruhigten. Sie konnte wirklich einschlafen.
Kelvin Bascott stierte mit gelblichen Augen in den großen Kessel, der an der rußigen Kette über der Glut pendelte. Bei dem wenigen Licht, das es in der Kombüse gab, konnte niemand erkennen, was sich außer Wasser wirklich in der Brühe befand. Er, Kelvin, wußte es: alles, was schnell verdarb.
Seine beiden jungen Helfer wischten sich die schmierigen Finger an den Schürzen ab. Das Tuch war nicht viel weniger schmutzig als ihre Hände. Er blinzelte im beißenden Rauch den einen Helfer tückisch an und zeigte auf den Salzfisch, der steif wie Holz am Haken baumelte.
„Du hast genau das zusammengeschnipselt, was ich dir gegeben habe?“ fragte er und watschelte zum Tisch hinüber. „Und wie ist das mit dem Essen für unseren Kapitän?“
„Ich warte drauf, daß er brüllt“, erwiderte der Jungsmutje mürrisch. „In den Finger habe ich mich auch geschnitten.“
Er steckte den Finger in den Mund, saugte an der Schnittwunde und verzog angewidert das Gesicht. Halb schattenhaft im engen Schlund der Kochstelle bewegten sich die Männer. Ein zweiter Kessel wurde gerade hereingewuchtet. Das Wasser schwappte über den Rand und lief in die. Stiefel Taylors.
„Paß auf, du Blödian!“ knurrte er.
Sie hatten es satt, dem verschlagenen Koch zu helfen. Hier unten gab es nicht einmal eine Extraration für sie. Gemüsestücke, faseriges Fischfleisch, Gräten und Fettaugen