Seewölfe - Piraten der Weltmeere 166. John Curtis
Moment noch blickte El Diablo den Schwarzen an. Seine Augen schienen Pongo zu durchbohren, aber dann steckte auch er sein Messer fort.
„Gut, es sei. Was also hast du mir vorzuschlagen?“
Wieder schloß sich der Kreis der Piraten um Pongo, Tonga und El Diablo.
„Wein!“ brüllte Pongo ins Gewölbe hinein. „Diego, du verdammter Fettwanst, bringe drei Krüge Wein, oder wir werfen dich den Haien zum Fraß vor!“
Diego, der der ganzen Unterredung gefolgt war, watschelte heran. Aber seine Fettmassen täuschten. Er wußte ganz genau, daß auch Pongo es niemals wagen würde, Hand an ihn zu legen. Wer auf Tortuga lebte und eine Kneipe hatte, der zugleich Magazin für alles war, was Schiffe brauchten, der mußte gewisse Vorkehrungen in dieser Hinsicht treffen. Genau das hatte der fette Diego getan. Zumal auch schon zu Caligus Zeiten der Seewolf und der Wikinger genauso zu seinen Freunden gezählt hatten wie Siri-Tong, die Rote Korsarin.
Diego brachte den Wein. Vier Krüge, denn auch er setzte sich an den langen Tisch, dessen Tischplatte eine schwere Bohle bildete. Bereitwillig machten ihm die Piraten Platz.
Pongo warf ihm zwar einen finsteren Blick zu, aber er sagte nichts. Nach einem Schluck aus dem Krug wandte er sich El Diablo zu.
„Willst du das Schiff deines Vaters zurückerobern?“ fragte er, und für einen Moment nahmen seine Blicke einen lauernden Ausdruck an.
El Diablo zuckte zusammen, kaum merklich zwar, aber Pongo entging es trotzdem nicht.
„Den schwarzen Segler? Ich denke, dieser Wikinger …“
„Ja, er hat es. Und er haust auf einer Insel, die Caligu immer die Schlangen-Insel nannte. Ich sage dir, El Diablo, auf dieser Insel sind, Schätze verborgen, wie weder du noch ich noch sonst irgendeiner unserer Männer sie sich vorstellen können. Auf der Schlangen-Insel hat der Seewolf seine Schätze, lagern die des Wikingers und auch die Siri-Tongs, die wir die Rote Korsarin nennen.“
El Diablo griff zum Krug. Seine Züge hatten sich verzerrt.
„Ich habe von dieser Insel gehört, Pongo. Auch von jenem Seewolf und von jener Roten Korsarin. Bei ihr soll der Wikinger als Steuermann fahren, auf dem schwarzen Segler meines Vaters. Aber wie, zum Teufel, willst du einen Unsterblichen besiegen, der mit der Hölle im Bunde ist? Den keine unserer Kugeln zu verwunden vermag?“
Pongo, dem die ganze Sache zwar auch nicht geheuer war, der aber an die Unsterblichkeit des Wikingers nicht glaubte, griff zu einer List. Er wußte, daß dieser El Diablo auf Caicos eine nicht zu verachtende Flotte von Piratenschiffen besaß.
Pongo beugte sich zu El Diablo hinüber und zog ein Gesicht, als ginge es darum, ihm die Geheimnisse der Schwarzen Magie zu enthüllen.
„Ich war vor gar nicht langer Zeit auf Little Kaiman, in der Todesbucht. Dort lebt ein alter Indianer, ein Medizinmann. Er kannte den schwarzen Segler, er wußte überhaupt alles, was geschehen war. Und er sagte mir, daß zwar der Teufel persönlich damals den Wikinger in die Schlacht um die Windward Passage geschickt habe, weil er von Caligu betrogen worden sei, daß aber der Wikinger seine Unsterblichkeit in dem Moment verloren habe, als der Teufel ihn ein zweites Mal aus der Hölle entließ, damit er sich den schwarzen Segler deines Vaters holte, um fortan auf ihm die Weltmeere zu durchsegeln und darauf zu achten, daß der Seewolf, seine Männer und die Rote Korsarin dem Teufel nicht entwischen würden. Der Wikinger hat dem Seewolf und der Roten Korsarin einen Pakt des Teufels angeboten, der besagt, daß sie in ihrem Leben zu unendlichen Reichtümern und zu großen Erfolgen gelangen würden, wenn sie sich der Hölle verschrieben. Sie haben es getan, El Diablo!“
Die Männer rückten vor Entsetzen zur Seite. Das war etwas, was sie noch nie gehört hatten. Sie starrten ihren Anführer an und hingen an seinen Lippen. Auch El Diablo krampfte seine Hände um den Krug, der vor ihm auf der Tischplatte stand.
„Und woher wußte der alte Indianer das alles?“ fragte er schließlich. Wieder glomm Mißtrauen in seinen Augen auf.
„Er war dabei. Der Pakt mit dem Teufel wurde in der Todesbucht von Little Kaiman ausgehandelt, als der Wikinger den schwarzen Segler in Besitz nahm. Ich sage dir, es war eine Vollmondnacht, und die Skelette, deren Knochen zum Teil über die Decks des schwarzen Seglers verstreut waren, fügten sich plötzlich zusammen und tanzten im Mondschein. Der Teufel selbst spielte ihnen zum Tanz auf. Der Wikinger, der Seewolf und die Rote Korsarin waren von lodernden Höllenfeuern umgeben – der alte Indianer hat das alles gesehen, er hat es mir bei seinen Ahnen geschworen. Du weißt, wie viele Schiffswracks dort auf den Stränden liegen. Auch sie sind diese Nacht über die Wasser der Bucht gesegelt!“
Die Männer bekreuzigten sich. Auch El Diablo war blaß um die Nasenspitze. Aber Pongo ließ ihm keine Zeit, lange zu überlegen.
„Der alte Indianer hat mir noch etwas gesagt, El Diablo. Seit dieser Nacht ist Little Kaiman verflucht. Nur wer den Wikinger tötet, nimmt den Fluch von der Insel, nur derjenige, der diesen Mann tötet, wird die auf der Schlangen-Insel verborgenen Schätze auch heben können. Denn in dem Moment, in dem der Wikinger stirbt, erlischt der Pakt, den er, der Seewolf und die Rote Korsarin, mit der Hölle geschlossen haben. Wenn der Wikinger stirbt, fahren sie alle samt ihren Besatzungen zur Hölle, dann holt sie alle der Teufel!“
Pongo beobachtete den Sohn des El Diablo scharf, aber so, daß es niemand merkte. Noch immer standen Zweifel in den Zügen des jungen Mannes, und da fuhr Pongo sein schwerstes Geschütz auf.
„Du glaubst mir nicht, aber ich kann dir noch einen Beweis liefern, El Diablo.“
Der Kreis der Piraten schloß sich noch enger um Pongo, Tonga und El Diablo.
„Hast du jemals gehört, daß dieser verfluchte Seewolf bei all den Schlachten, die er gegen uns und die Spanier geschlagen hat, auch nur einen einzigen Mann verlor? Nein, sie leben alle noch! Das gleiche gilt für den schwarzen Segler, auf dem dieser Wikinger sein Unwesen treibt, zusammen mit der Roten Korsarin. Und sie sollen bis zur anderen Seite der Welt gesegelt sein! In ein Land, in dem die Menschen dem Teufel riesige Tempel bauen!“
El Diablo richtete sich ruckartig auf und starrte Pongo an. Seine Rechte umkrallte den schweren Krug noch stärker.
„Wenn das so ist, daß keiner sie verwunden oder gar ihre Schiffe versenken kann, wie willst du diesen Wikinger dann besiegen, Pongo?“
Das war genau die Frage, die Pongo befürchtet hatte, aber er war gerissen genug, sich auch diesmal aus der Schlinge zu ziehen.
„Weil sich die Weissagung des alten Indianers heute erfüllt hat. Sie besagte, daß der Himmel ein Zeichen setzen würde. Dort, wo die Schlangen-Insel läge, würde er sich schwefelgelb färben, außerdem würde ich einen Verbündeten zum Kampf gegen den Wikinger erhalten, er würde eines Abends da sein. Ich konnte nicht wissen, als ich dich erblickte, daß du dieser Verbündete sein würdest. Tritt vor die Tür, sieh dir den Himmel an und dann sage, ob ich dich belogen hab.“
Pongo hatte den Himmel schon den ganzen Tag über beobachtet. Er wußte, daß sich da etwas über der Karibik zusammenbraute. Er brauchte nicht vor die Tür zu gehen, er lebte lange genug auf Tortuga, um zu wissen, wie in diesem Moment der Himmel aussehen würde, aber er benutzte sein Wissen geschickt und spielte es gegen El Diablo aus. Das unterschied ihn von Caligu, seinem Vorgänger: Wo Caligu Gewalt angewandt hatte, nutzte Pongo seinen Verstand und seine Gerissenheit.
El Diablo sah ihn an, eine ganze Weile. Nur das Knistern der Flammen des Feuers im riesigen Kamin der Kneipe war zu hören. Dann erhob er sich und ging langsam zur Tür. Weder er noch Pongo ahnten, daß der Himmel ihnen ein ganz anderes Zeichen gesetzt hatte, eins, das auch den allerletzten Zweifler auf Tortuga überzeugte und sogar den dicken Diego hastig ein Kreuz schlagen ließ.
Denn als sie die „Schildkröte“, die Felsengrotte, verließen, hatte sich der Himmel schwefelgelb gefärbt. Erste Böen fuhren über die Insel und den Hafen und hatten die Menschen in ihre Häuser vertrieben. Der Einfahrt zum Hafen aber, nur noch wenige Meilen entfernt, näherte sich ein pechschwarzer Viermaster. Gespenstisch hoben sich seine schwarzen Segel, seine hohen Masten und sein massiger Rumpf