Seewölfe - Piraten der Weltmeere 589. Sean Beaufort
Sie waren hoffentlich ohne Flöhe und Läuse im Versteck der groben Nähte.
Er taumelte auf den Bürgermeister zu. Capitán Coillar fing ihn auf, als Recalde stolperte.
„Du brauchst ein paar Happen zwischen die Zähne, mein Freund“, meinte er und zog ihn mit sich. „Und eine Mütze voller Schlaf.“
„Das wird es wohl sein“, murmelte Jorge Recalde und ließ sich von de la Torre und Coillar mitschleppen. Eine Viertelstunde später hatte er noch immer den Geschmack von stark gewürzter Suppe und heißem Braten auf der Zunge. Aber er schlief abgrundtief und vergaß alles.
Den meisten seiner Männer ging es nicht anders.
Gegen zehn Uhr vormittags klarte es auf. Der Wind blies für die Engländer nicht besonders günstig, meinten die Bauern. Auf der See waren keine Fischerboote zu sehen. Der Bürgermeister hatte die Kapitäne und ihre Offiziere in seinem schmucklosen, aber warmen Arbeitszimmer zu einem reichhaltigen Essen geladen.
„Bevor ich mich in heißer Milch mit Honig ertränke“, sagte Elvecio Leora, „will ich hören, was der Bote zu berichten hat.“
Ein junger Bauer, dem man in Porto ein schnelles, aber gutmütiges Pferd gegen seinen abgehetzten Klepper eingetauscht hatte, verbeugte sich linkisch und zählte an den Fingern der linken Hand auf, woran er sich erinnerte.
„Cristobal de Lloros, der Gouverneur, läßt Sie grüßen und spricht Ihnen sein Bedauern aus. Es lag kein Schiff im Hafen. Aber er hat furchtbar getobt. Gegen die Engländer.“
„Das kann ich mir sehr gut vorstellen“, brummte Jorge Recalde und wärmte seine Finger an dem Milchbecher. „Weiter! Hat er gesagt, was er tun kann? Was er angeordnet hat?“
Der Bote packte den Zeigefinger, knetete an ihm herum und antwortete verwirrt.
„Er hat noch gestern nacht vier Boote losgeschickt. Nach Vigo. Ich habe sie selbst aus dem Hafen segeln sehen.“
De La Torre erkundigte sich mit gespielter Strenge: „Warst du betrunken? Hast du vier Jollen gesehen, und es waren nur zwei? Oder waren es wirklich vier?“
„Vier! Männer mit Musketen waren darauf.“
„Auf Cristobal ist Verlaß“, sagte Elvecio Leora beschwichtigend. „Er weiß genau, was wir brauchen.“
„Was passierte weiter?“ wollte der Erste Offizier der „Maria d’Oro“ wissen.
Der junge Bauer faßte an seinen Mittelfinger und setzte seine mühsame Botschaft weiter fort.
„Ich habe einige Kutschen überholt. Sie müssen gleich hier eintreffen. Die Herren Kapitäne und Offiziere sollen sofort nach Porto gebracht werden. Der Gouverneur läßt sagen, daß er bemüht sei, ein großes Schiff für Sie zu bekommen.“
„Hat er gesagt, ob in Vigo Kriegsschiffe zum Auslaufen bereit sind?“ erkundigte sich Capitán Coillar.
Sein Tatendrang schien wiedererwacht zu sein. Er sah ausgeschlafen aus und hatte sich sorgfältig rasiert. Vor dem Kamin, in dem riesige Scheite loderten, hingen Jacken und Hosen der Kapitäne und dampften noch immer Feuchtigkeit aus, die sich an den kleinen Glasscheiben der Fenster niederschlug und dort in dicken Tropfen abperlte.
„Er sagt, daß es schwere Schiffe mit vielen Kanonen geben soll. In Vigo, hat er gesagt. Ja. Eure Seeleute sollen wir, wenn sie nicht gehen können, nach Porto fahren. Die anderen sollen gehen.“
Mittlerweile war er am Ringfinger angelangt und betrachtete den letzten Finger, als sähe er ihn hier und heute zum erstenmal.
„Und dann sagte er: Auch wenn aus Vigo Galeonen auslaufen, die nicht von den vier Señores Capitánes befehligt werden, so sind es doch Schiffe unter spanischer Flagge, bemannt mit stolzen und kriegerischen Spaniern und Portugiesen.“
Manolo dos Barancar knurrte leise: „Treffsichere Geschütze sind noch wichtiger.“
Der Bote ließ seine Finger los, verbeugte sich wieder und war sichtlich froh, daß er sich alles gemerkt und auch wiedergegeben hatte. Der Bürgermeister scheuchte ihn mit aufgeregten Handbewegungen aus dem überheizten, feuchten Raum.
Ein Schwall kalter, frischer Luft drang herein. Die Kapitäne holten tief Luft und wandten sich ihrem Essen zu. Es war einfach, aber reichhaltig. Sie merkten erst jetzt, wie hungrig sie wirklich waren.
„Wie lange fahren wir nach Porto?“ fragte Recalde.
„Mit einer schnellen Kutsche werden es drei, vier Stunden sein“, erklärte der Bürgermeister.
Er schien froh zu sein, wenn sein Dorf wieder ihm und seinen Bauern allein gehörte. Die Mädchen und Frauen hatten die Verwundeten so gut versorgt und verbunden, wie sie konnten.
Noch während die Kapitäne das einfache Essen vertilgten und nicht daran dachten, daß sie die letzten Vorräte der Bauern plünderten, hörte man das Knirschen der Räder, das Hufgetrappel und Peitschenknallen.
Die Kutschen aus Porto waren eingetroffen und hielten auf der schlammigen Dorfstraße.
Manolo dos Barancar stand auf. Er hatte neben dem Bürgermeister am oberen Ende der drei zusammengeschobenen Tische gesessen. Er hob den hölzernen Becher Milch, die mit Honig gesüßte und zur Ehre und Aufmunterung der seltenen Gäste mit Traubenschnaps gemischt war, in die Höhe und vollführte eine weitschweifige Geste.
„Wir danken dem Bürgermeister des Dorfes ohne Namen. Sie, Señor, haben uns allen sehr geholfen. Spanien wird es euch allen nicht vergessen, und wir, Kapitäne, Offiziere und Mannschaften sind satt, trocken und haben unsere Empfindungen wieder unter Kontrolle. In ein paar Stunden seid ihr wieder allein. Wir haben nicht einmal ein paar Goldstücke übrigbehalten, um eurer Hilfe etwas Anerkennung zollen zu können.“
Etwas verlegen breitete er die Arme aus. Die weitschweifige Ansprache verriet, daß sich der Kapitän unbehaglich fühlte. Er nickte dem Bürgermeister und seinen Helfern zu und setzte sich wieder.
Ruiz Coillar drehte sich herum und prüfte seine Jacke.
„Das Zeug ist so gut wie trocken. Lassen wir die Kutscher nicht erst einschlafen!“ rief er in aufgesetzter Fröhlichkeit.
„Dann sollten wir jetzt aufbrechen, Señores“, sagte Leora. „Gouverneur de Lloros wartet nicht gern.“
Die Kapitäne vertauschten die geliehene Kleidung mit ihren Uniformen, die alles andere als prächtig waren. Während der letzten Tage waren sie noch fadenscheiniger und fransiger geworden. Traurig hingen Knöpfe und Schnallen an den Fäden.
„Aber die Stiefel sind trocken!“
„Und steinhart geworden.“
Ein Dutzend Männer zog sich um, half sich gegenseitig, und schließlich stapfte einer nach dem anderen aus der stickigen Stube hinaus in den sonnigen Mittag.
Drei reichlich ramponierte Kutschen warteten. Die dreckbespritzten Männer standen neben den Rädern und sprachen mit den Dorfbewohnern. Die Pferde, ebenso voller Schlammspritzer, fraßen Heu, das ihnen die Dorfkinder unter die Nüstern hielten.
Jorge Recalde klatschte in die Hände und schrie: „In die Fahrzeuge, Freunde! Es geht nach Porto.“
Barancar ließ sich in die schäbigen Sitze fallen, schlug die Beine übereinander und winkte. Die Offiziere und die Kapitäne setzten sich, während die mürrischen Kutscher auf ihre Plätze kletterten und die Wagen wendeten.
Die Pferde schlugen, als die schlammige Wege im Dorfbereich in einen breiteren, trockenen Pfad übergingen, einen holprigen Trab an. Auch mit den knallenden Peitschen schafften es die müden Pferde nicht, die vollbeladenen Kutschen schneller in die Richtung der Stadt und des Hafens Porto zu ziehen.
Als ob er die Gedanken seiner Gefährten erraten hätte, sagte de la Torre nach einer Weile: „In Porto erfahren wir mehr. Über alles. Dort ist auch genug Platz und neue Ausrüstung für alle.“
„Ich will – die Hölle über die britischen