Seewölfe - Piraten der Weltmeere 142. Davis J.Harbord
Brighton, der neben ihm stand, räusperte sich.
„Sieht aus, als wollten die uns einen Achterstich mit ihrem Bugpiekser verpassen“, sagte er.
„Hm“, sagte Hasard unentschlossen, „kann sein, kann auch nicht sein.“ Aber dann lächelte er plötzlich. „Sie hat ihren Kurs geändert.“
„Du freust dich darüber?“
„Klar. Soll sich doch jemand anderes mit ihr herumprügeln.“
Ben Brighton schüttelte den Kopf. „Verstehe ich nicht.“
Hasard zeigte seine weißen Zähne. Wenn er das tat, sah er immer ziemlich wild aus.
„Verlängere mal die jetzige Kurslinie der Galeere, Ben“, sagte er. „Wo führt die hin?“
Ben Brightons Augen wanderten vom Bug der Galeere, die sich jetzt etwas achterlicher als querab an Steuerbord der „Isabella“ befand, weiter voraus und endete dort, wo die sieben schweren englischen Galeonen versammelt waren und ihren dröhnenden Eisenhagel auf die Stadt ausspuckten. Und dann blitzten seine grauen Augen auf, und ein breites Grinsen zog über sein Gesicht.
„Na?“ fragte Hasard.
„Sie geht auf das Flaggschiff unseres verehrten Admirals los“, sagte Ben Brighton.
„Genau.“ Hasard nickte grimmig. „Und ich schätze, keiner dieser verdammten Idioten – Sir Francis inbegriffen – merkt, was sich da auf sie zubewegt. Außerdem ist der Don, der die Galeere kommandiert, gerissen genug, den Pulverqualm als Dekkung auszunutzen. Er steuert Zickzack-Kurse, aber sein Generalkurs weist stur auf die ‚Elizabeth Bonaventura‘. Wenn ich richtig schätze, hat er die Absicht, seinen Rammsporn dem Flaggschiff mittschiffs zwischen die Planken zu jagen. Das gibt ein Loch, durch das du bequem eine Kuh in den Schiffsbauch spazieren lassen kannst.“
„Mein lieber Mann“, sagte Ben Brighton andächtig. „Ich gönn’s ihm, verdammt, ich gönn’s ihm, damit er endlich mal einen nassen Arsch kriegt!“
„Er“, das war der sehr ehrenwerte Admiral, auf den sie alle an Bord der „Isabella“ einen ziemlichen Piek hatten.
„Er ja“, sagte Hasard, „die anderen aber leider auch, und das geht mir nun doch gegen den Strich.“
Ben Brighton seufzte. „Weiß schon Bescheid, Sir. Wir müssen mal wieder Kindermädchen spielen und unseren lieben guten Francis davor bewahren, nasse Hosen zu kriegen.“ Und schon brüllte Ben Brighton zu Ed Carberry auf die Kuhl hinunter, die Segel aus dem Gei zu nehmen.
Pete Ballie, der am Ruder stand, erhielt von Hasard den Befehl, der Galeere zu folgen. Da der Wind von Südwesten wehte, konnte die „Isabella“ mit dichtgeholten Segeln den Galeerenkurs gut anlegen.
Auf der Kuhl begann Ed Carberry herumzutoben. Da sie alle auf ihren Manöver- oder Gefechtsstationen waren, hatten sie auch mitgekriegt, was sich jetzt anbahnte. Und sie wußten auch genau, warum ihr Kapitän nicht auf die Galeere geschossen hatte, als sie an der Steuerbordseite der „Isabella“ vorbeigezogen war – er hatte an die armen, wehrlosen Schweine auf den Ruderduchten gedacht und deshalb nicht den Feuerbefehl gegeben.
Da war keiner unter den Männern des Seewolfs, diese Entscheidung zu kritisieren. Im Gegenteil. Längst war auch den wildesten Draufgängern und Kämpfern innerhalb der Crew die Fairneß und ritterliche Kampfweise ihres Kapitäns in Fleisch und Blut übergegangen.
Darum war es auch ihnen ein Greuel, gegen Galeeren zu kämpfen – weil sich dieser Kampf zwangsläufig gegen die Wehrlosen richtete, die angekettet nicht die geringste Chance hatten, zu überleben, wenn ihre Galeere ihre letzte Reise in die Tiefe antrat.
Das empörte sie: einem Mann das Recht zu nehmen, kämpfend zu sterben, dem Tod die Zähne zu zeigen – und ihm vielleicht doch von der Schippe zu springen.
Und jetzt sah es so aus, als sollten ausgerechnet sie es sein, diese furchtbare, hassenswerte Henkerrolle zu spielen – weil der sehr ehrenwerte Sir Francis mit seinem Flaggschiff Gefahr lief, von einem Rammsporn aufgespießt zu werden.
„Ist das eine Scheiße“, knurrte der bullige, narbengesichtige Edwin Carberry erbittert. „Wären wir diesem Rübenschwein bloß nie begegnet!“
Jeder wußte, wen der Profos mit „Rübenschwein“ meinte – Sir Francis Drake. Und sie dachten an die Begegnung vor ein paar Tagen bei den Berlenga-Inseln, als sie der nicht Flagge zeigenden „Elizabeth Bonaventura“ den Bugspriet weggeschossen und sie anschließend auf die Sände gelockt hatten.
„Von mir aus könnte der verdammte Kahn heute noch dort schmoren“, sagte Matt Davies, der Mann mit der Hakenprothese am rechten Unterarm. „Und wir Blödmänner haben denen auch noch geholfen, ihren Kahn wieder flott zu kriegen.“
„Halt’s Maul, Mister Davies“, sagte Ed Carberry, und wenn er „Mister Davies“, statt „Affenarsch“ oder „Kombüsenwanze“ oder schlicht „du Hurensohn“ sagte, dann war es höchst gefährlich, den Profos weiter zu reizen.
Aber sie waren alle gereizt – wegen des sehr ehrenwerten Admirals, wegen der Galeere, überhaupt wegen der Tatsache, an einem Unternehmen beteiligt zu sein, bei dem sie bisher ständig den Part hatten spielen müssen, die Fehler des sehr ehrenwerten Admirals zu korrigieren.
Wie auch jetzt!
Und das stank ihnen. Es stank ihnen, daß da blindwütig auf die Stadt losgehämmert wurde, statt auf der Reede auf die Pirsch zu gehen und sich die fettesten Brocken herauszuholen. Da lagen nämlich einige dickbäuchige Handelsfahrer mit verdächtig tiefer Wasserlinie, die verriet, daß das Innenleben der Laderäume bestimmt nicht nur mit Luft ausgefüllt war, o nein, Sir. Wer ein Seewolf war, der hatte im Laufe der Jahre gelernt, wo eine Wasserlinie rund um das Schiff zu verlaufen hatte, wenn es volle Ladung führte.
Mit grimmiger Miene sahen die Seewölfe, wie einige dieser fetten Brocken bereits ankerauf gingen, um sich in Gegenden zu verholen, wo die Luft weniger eisenhaltig und nicht zu erwarten war, daß sich rauhe Gesellen mit wildem Gebrüll und Entermessern zwischen den Zähnen an Bord schwangen.
Inzwischen hatte die „Isabella“ Fahrt aufgenommen, lag über Steuerbordbug gut am Wind und rauschte hinter der Galeere her. Hasard spähte voraus und nickte zufrieden – die „Isabella“ holte merklich auf. Fast automatisch flog sein Blick über die Segel, um ihren Stand zu kontrollieren.
Und dann wurde sein Blick starr. Für einen Moment preßte er die Lippen zusammen. Als er dann etwas sagte, nahm er die Lippen kaum auseinander, und sein Blick war weiterhin auf den Fockmars gerichtet.
„Mister O’Flynn“, sagte er mit eisiger Schärfe, „hättest du vielleicht die Güte, mir zu erklären, was die beiden Jungens im Vormars zu suchen haben?“
Old Donegal Daniel O’Flynn zuckte zusammen. Er stand querab von Hasard am Backbordschanzkleid des Achterdecks, schaute jetzt auch zum Vormars und kriegte Stielaugen.
Über dem Rand der Segeltuchverkleidung vom Vormars waren zwei schwarzhaarige Schöpfe sichtbar – die Schöpfe von Hasard Killigrew Junior und von Philip Killigrew Junior, den Zwillingen des Seewolfs, sieben Jahre jung, frech und der Schrecken der gesamten „Isabella“-Crew.
„Daß mich doch der Schlag trifft“, murmelte Old O’Flynn verstört. „Heute morgen, als das Theater hier losging, hab ich sie achtern in der Kammer eingesperrt …“
„Jetzt hocken sie jedenfalls im Vormars“, knurrte Hasard wild. „Wir gehen ins Gefecht, und deine beiden Enkel genießen dort oben die schöne Aussicht.“
„Ha!“ sagte Old O’Flynn aufgebracht. „Meine beiden Enkel? Das sind deine Teufelsbraten …“ Er verstummte und zog den Kopf ein. Hasards Blick war mörderisch.
Aber dieser Blick blieb nicht so, denn in diesem Moment wuchs die kleine Gestalt von Hasard Junior hinter der Segeltuchverkleidung hoch – allerdings nur bis zur Brust – und dann die von Philip Junior. Und dann schwenkte Hasard Junior die Ärmchen und brüllte mit den paar Brocken