Seewölfe - Piraten der Weltmeere 75. Kelly Kevin

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 75 - Kelly Kevin


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und niemand ihm noch helfen konnte.

      Auch Bill wußte, daß sein Vater sterben würde. Seine Tränen bewiesen es, und dennoch brannte noch etwas wie ein Hoffnungsfunke in seinen Augen, wehrte sich sein Bewußtsein gegen die Endgültigkeit der Erkenntnis. Er starrte den Seewolf an, als erwarte er ein Wunder von ihm.

      Hasard biß die Zähne zusammen.

      „Lauf zum Strand zurück, Dan“, sagte er gepreßt. „Hol den Kutscher!“

      Dan O‘Flynn nickte nur und sprang auf. Er wußte so gut wie die anderen, daß auch der Kutscher, Koch und Feldscher auf der „Isabella“, den alten Mann nicht mehr retten konnte. Aber Hasard wollte wenigstens versuchen, dem Kranken zu helfen – und wenn auch nur, damit Bill das Gefühl hatte, daß alles Menschenmögliche für seinen Vater getan worden war.

      Der Junge blickte Dan nach, der wie eine Katze zwischen den Büschen verschwand. Auch der Alte hatte jetzt wieder die Augen geöffnet. Augen, die fiebrig glänzten und deren Blick Hasards Gesicht suchten.

      Der Seewolf ging neben der ausgemergelten Gestalt in die Hocke. Der unruhige Blick des Alten sog sich an ihm fest, die trockenen, aufgesprungenen Lippen bewegten sich. Er hatte etwas auf dem Herzen. Er wollte reden, und noch einmal sammelte er seine schwindende Kraft zu einer letzten Anstrengung.

      Schweigend und gebannt lauschten die Seewölfe der schwachen, brüchigen Stimme, die ihre traurige Geschichte erzählte.

      Bill und sein Vater waren auf der „Sea Eagle“ gefahren: der Alte als Bootsmann, der Junge als Moses.

      Ein Unstern schien über dem Schiff zu stehen von Anfang an. Das begann damit, daß im Sturm eine Rah vom Mast gerissen wurde, einen Decksmann erschlug und in zwei Teile brach. Wußte nicht jeder Seemann, daß eine gebrochene Rah bedeutete, auch das Schiff werde noch vor dem Ende der Reise in zwei Teile brechen? Der Mannschaft gelang es, den Schaden mit Bordmitteln zu reparieren, bis sie die nächste Insel anlaufen und eine neue Rah riggen konnten.

      Zwei Wochen später gerieten sie in eine Flaute. Das Trinkwasser ging zur Neige, und als endlich wieder eine Brise wehte, waren die Männer schon halb wahnsinnig vor Durst. Sie nahmen Kurs auf Antigua. Die „Sea Eagle“ lief eine Bucht an, um Wasser zu mannen – und viel zu spät bemerkten sie die beiden spanischen Schiffe, die dicht unter Land auf sie lauerten.

      Noch heute flackerten die Augen des alten Bootsmanns auf, als er sich an das Verhängnis erinnerte, das über die „Sea Eagle“ hereingebrochen war.

      Der erste Spanier feuerte eine Breitseite ab, bevor die erschöpften, vom Durst gepeinigten Engländer es auch nur schafften, die Geschütze zu bemannen.

      Die „Sea Eagle“ wurde unter der Wasserlinie getroffen. Ihr Schicksal war besiegelt. Es hätte der Brandpfeile gar nicht mehr bedurft, die der zweite Spanier dem hilflos treibenden Opfer in die Takelage schoß.

      Eine einzige Breitseite konnte die „Sea Eagle“ noch abfeuern.

      Einem der Spanier wurden Bugspriet und Blinde zerfetzt. Er revanchierte sich, indem er die „Sea Eagle“ regelrecht zusammenschoß. Und das böse Vorzeichen bewahrheitete sich: genau wie die Rah brach das Schiff in zwei Teile auseinander, bevor es sank.

      Der größte Teil der Besatzung kam ums Leben.

      Wenige nur wurden aus dem Wasser gefischt, darunter auch Bill, der Schiffsjunge, und sein Vater. Aber sie wußten, daß sie keinen Grund hatten, dem Schicksal für die Rettung zu danken. Dem Schicksal nicht und am allerwenigsten den Spaniern, die von Anfang an keinen Zweifel daran ließen, was die Engländer bei ihnen erwartete.

      Schon daß es die „Sea Eagle“ überhaupt gewagt hatte, sich zu wehren, legten die Sieger als Verbrechen aus. Ein arroganter spanischer Kapitän befahl, jeden der Gefangenen mit dreißig Peitschenhieben zu bestrafen – und von da an begann für die kleine Gruppe der Engländer die Hölle.

      Sie wurden zum Borddienst auf der spanischen Galeone gepreßt.

      Und die Spanier ließen sie spüren, was es hieß, das Leben rechtloser Sklaven führen zu müssen. Wo immer sich die Gelegenheit bot, wurden die Engländer schikaniert und geschlagen. Jede unangenehme oder gefährliche Arbeit wurde unweigerlich den Engländern aufgehalst. Wo immer es Schwierigkeiten gab, irgendwelche Fehler passierten – die Engländer waren schuld und wurden bestraft.

      Sie ertrugen diese Hölle, weil sie gar keine andere Wahl hatten, aber eines Tages trat der Augenblick ein, daß es selbst dem besonnenen alten Bootsmann zuviel wurde.

      Einer der Spanier stieß den jungen Bill brutal mit Füßen, weil der ihm angeblich im Weg gewesen war.

      Der alte Bootsmann sah es, und etwas in ihm schien zu zerbrechen. Mit einem wilden Schrei sprang er dem Spanier an die Kehle. Er hätte ihn wohl wirklich erwürgt, wenn nicht ein Dutzend anderer Dons dazwischengegangen wäre.

      Wegen Meuterei sollte der Alte hängen.

      Im Morgengrauen wollte man ihn an die Großrah knüpfen. Und Bill sollte seinen Vater eigenhändig hochziehen. Wenn er sich weigere, erklärte der Kapitän kalt, werde man ihn vor die nächste Kanone binden und sie abfeuern.

      Für Bill und seinen Vater ging es nur noch ums nackte Überleben.

      Die Galeone segelte gerade an der Küste von Jamaica vorbei. Bill setzte alles auf eine Karte. Mit einem Belegnagel schlug er zwei spanische Wachtposten nieder, nahm einem von ihnen den Schlüssel zur Vorpiek ab, wo sein Vater eingesperrt war, und tatsächlich gelang es den beiden Engländern, in einem unbewachten Moment über Bord zu springen.

      Wie sie es in ihrem geschwächten Zustand schafften, an Land zu schwimmen, begriffen sie hinterher selbst nicht mehr.

      Der Alte brach zusammen, kaum daß sie den Strand erreicht hatten.

      Bill wußte, daß sie Hilfe brauchen würden, wenn sie am Leben bleiben wollten. Mit der Kraft der Verzweiflung schlug sich der Junge durch die Wildnis, bis er auf ein Dorf stieß. Er war nicht einmal mehr fähig, zunächst abzuwarten, zu beobachten und nach einer Möglichkeit der Verständigung zu suchen. Er torkelte einfach mitten auf den Dorfplatz, und bevor er das Bewußtsein verlor, konnte er den Indianern gerade noch durch Zeichen erklären, daß ein weiterer Mann unten am Strand liege.

      Die beiden Flüchtlinge hatten Glück.

      Auf der Galeone war ihr Verschwinden inzwischen entdeckt worden, die Spanier suchten das Wasser ab, und die Eingeborenen zogen daraus die richtigen Schlüsse. Sie haßten und fürchteten die Dons, unter denen sie schon viel gelitten hatten.

      Da die beiden Engländer offenbar als Feinde Gefangene der Spanier gewesen waren, wurden sie von den Eingeborenen als Freunde betrachtet. Sie wurden versteckt, gesundgepflegt und mit allem versorgt, was sie brauchten. Bill, der über die Zähigkeit der Jugend verfügte, erholte sich schnell wieder. Auch seinem Vater schien es zunächst besser zu gehen – aber er wurde nie wieder ganz der Alte, irgend etwas tief in ihm schien zerbrochen zu sein.

      Hilflos mußte Bill zusehen, wie sein Vater immer mehr verfiel.

      Als wieder einmal – wie schon häufiger – ein spanisches Schiff in die Bucht segelte und die Dons die Dörfer durchstreiften, halfen die Eingeborenen ihren Gästen, die Hütte in der Nähe des Strandes zu bauen. Hier waren sie sicher, hierher würde sich bestimmt kein Spanier verirren.

      Aber zu diesem Zeitpunkt war der alte Bootsmann schon von einer rätselhaften Krankheit gezeichnet.

      Er brauchte Hilfe, und zwar ein Schiff, das sie an einen Ort brachte, wo es Ärzte gab und der alte Mann die Behandlung erhalten konnte, die er brauchte. Nur durfte das Schiff kein Spanier sein! Aber außer den Spaniern kreuzten fast nur noch Piraten in der Karibik, und es war nackte Verzweiflung gewesen, die Bill schließlich veranlaßt hatte, dem nächstbesten Segler, den er sichtete, Rauchzeichen zu geben.

      Es war eine glückliche Fügung, daß ausgerechnet die Männer der „Isabella“ die Signale sichteten.

      Eine glückliche Fügung, die sich aber zu spät anbot.

      Für


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