Seewölfe - Piraten der Weltmeere 199. Kelly Kevin

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 199 - Kelly Kevin


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„Klar bist du mein Freund, sprach das Kaninchen und kam heraus, aber nicht aus dem Loch, vor dem der Fuchs lauerte.“ Er warf das Haar zurück und hob die Stimme: „Klar zum Anluven! Sobald wir an dem Viermaster vorbeigelaufen sind, gehen wir an den Wind und brechen durch die Linie. Das muß schneller gehen, als die Burschen denken können. Wenn sie mit uns reden wollen, reden wir, aber aus der Luvposition, ob es ihnen paßt oder nicht.“

      Die Männer feixten.

      An den Culverinen hielten sich die Geschützmannschaften bereit, um notfalls blitzartig die Stückpforten zu öffnen und die Kanonen auszurennen. Zwei Raketen mit dem unlöschbaren chinesischen Feuer steckten bereits in den Abschuß-Gestellen. Diese verheerenden Brandsätze verwendeten die Seewölfe nur, wenn es gar nicht anders ging, schon weil die Dinger nicht unbegrenzt zur Verfügung standen. Aber wenn eine Übermacht von sechs schwer bewaffneten Schiffen angriff, mußte sich die „Isabella“ natürlich mit allen Mitteln wehren.

      Aus schmalen Augen spähte Hasard voraus.

      Immer näher glitt der Verband der abenteuerlich ausstaffierten Schiffe. Deutlich konnte man jetzt sehen, mit welchem Prunk, welchem Ballast an überflüssigem Zierat sie ausgestattet waren. Die Tigerköpfe auf den Segeln sollten bedrohlich wirken, doch die Orgie der Prachtentfaltung zerstörte diesen Eindruck wieder.

      Jetzt konnte Hasard auch den Burschen auf dem Achterkastell des Viermasters sehen. Ein hochgewachsener, wuchtiger Mann mit einem karmesinroten Turban, den über der Stirn ein großer, grün funkelnder Edelstein zusammenhielt. Das Gesicht war breit, kräftig, mit einer schon erschlafften olivfarbenen Haut und tiefschwarzen Augen. Er trug eine Art Mantel, goldfarben, dazu verschiedenfarbige Schärpen, eine schwere, funkelnde Halskette, an der Hüfte ein mächtiges Krummschwert in einer edelsteinbesetzten Scheide.

      Wer er war oder was er darstellte, ließ sich aus der Kleidung nicht erkennen. Hasard vermutete ohnehin, daß es sich um eine Phantasie-Uniform handelte, die die gleiche Neigung zu einer ins Lächerliche übersteigerten Prunksucht verriet wie die Ausstattung der Schiffe.

      Trotzdem beging der Seewolf nicht den Fehler, die Fremden zu unterschätzen.

      Ein größenwahnsinniger Piraten-Häuptling, vermutete er. Oder einer der zahllosen Herrscher und Würdenträger aus der geheimnisvollen Inselwelt, die den Pazifik vom Indischen Ozean trennte. Auf jeden Fall ein selbstherrlicher Typ – und die Tiger als Wahrzeichen der kleinen Flotte redeten ihre eigene Sprache.

      Jetzt war der Viermaster fast mit der „Isabella“ auf gleicher Höhe.

      Die drei Schiffe an der Steuerbordseite der ranken Galeone hingen etwas zurück, weil die Karavelle an der Spitze mit schlecht getrimmten Segeln weniger Fahrt lief. An Deck der „Isabella“ herrschte gespanntes Schweigen. Die Brassen waren zum Laufen klargelegt, Pete Ballie im Ruderhaus stand auf dem Sprung. Stenmark und Smoky blickten zu Hasard hinüber, und als der ihnen zunickte, richteten sie mit ein paar Griffen auch das zweite Bronzegestell nach Steuerbord aus.

      „Anluven!“ befahl der Seewolf gelassen. „An den Wind mit dem Kahn!“

      Und dann lief auf der „Isabella“ ein Segelmanöver ab, bei dem so mancher Kapitän, der eine erstklassige Crew zu befehligen glaubte, vor Neid erblaßt wäre.

      Die ranke Galeone ging hart an den Wind, schor knapp am Heck des Viermasters vorbei und durchbrach die Kiellinie ihrer Gegner, ehe die noch ganz begriffen, was die „Isabella“ vorhatte.

      „Klar zur Wende!“ befahl Hasard knapp. „Wir gehen überstag und drehen parallel zu dem Viermaster. Mal sehen, ob er dann die Zähne zeigt“, fügte er hinzu. Aber das sagte er mehr zu sich selbst und so leise, daß nur Ben Brighton es verstehen konnte.

      „Wetten, daß er vergoldete Kanonenrohre hat?“ fragte der Bootsmann grinsend.

      „Klar zum Wenden!“ brüllte Ed Carberry auf der Kuhl. „Hopp-hopp, ihr Rübenschweine, oder ich ziehe euch streifenweise die Haut vom …“

      Weiter gelangte er nicht.

      Erstens lag die „Isabella“ bereits auf Parallelkurs und holte rasch auf. Und zweitens bewies das „Tiger-Schiff“, daß es mit der weißen Flagge alles Mögliche hatte signalisieren wollen, nur nicht die Bereitschaft, sich schön klein und bescheiden zu verhalten.

      Dröhnend entlud sich ihre achtere Drehbasse.

      Pulverdampf wölkte auf, unmittelbar vor dem Bug der „Isabella“ klatschte eine Kugel ins Wasser. Das war eine unmißverständliche Aufforderung zum Beidrehen. Und eine ausgesprochen unfreundliche Aufforderung dazu. Die Männer an den Geschützen hatten plötzlich steinerne Gesichter. Man sah ihnen an, wie gern sie die Kerle, die es wagten, ihnen eine Kugel vor den Bug zu setzen, zu Kleinholz verarbeitet hätten. Aber Hasard dachte an die weiße Flagge und entschied, daß man den Schuß zunächst einmal als Mangel an besser geeigneten Verständigungsmöglichkeiten deuten könne.

      „Klar zum Beidrehen!“ befahl er knapp.

      Daß seine Männer hörbar und erbittert mit den Zähnen knirschten, überraschte ihn nicht weiter.

      2.

      Es war ein sonderbares, fast gespenstisches Bild: der Verband von sechs prachtvoll ausgestatteten, vielfarbig leuchtenden und funkelnden Schiffen, die beigedreht mit aufgegeiten Segeln auf der Dünung schaukelten – und an ihrer Luvseite die ranke Galeone, schmucklos, aber mit ihren überlangen Masten und den ungewöhnlich flachen Linien so gefährlich wie ein Falke unter lauter Paradiesvögeln.

      Jetzt, da die Tigerköpfe auf den Segeln nicht mehr zu erkennen waren, wirkte all der farbenprächtige Zierat noch lächerlicher. Trotzdem herrschte an Bord der „Isabella“ spürbare Spannung. Hinter den geschlossenen Stückpforten kauerten die Männer sprungbereit und konzentriert. Alle vier Drehbassen waren besetzt, um bei der ersten feindseligen Geste sofort einen Bleihagel auf die Reise zu schicken. Nur die beiden Bronzegestelle zum Abschießen der Brandsätze waren von der Kuhl auf die Back verlegt worden. Die brauchten fremde Augen nämlich nicht unbedingt zu sehen – und im Moment wurde an Bord des Viermasters gerade ein Beiboot abgefiert.

      Und was für ein Beiboot!

      „Heiliges Kanonenrohr“, murmelte Old O’Flynn, der auf seinen Krücken an die Schmuckbalustrade gehinkt war.

      „Sieht aus wie’n Äppelkahn“, meinte Ferris Tucker kurz und bündig.

      Damit hatte er den Nagel nur bedingt auf den Kopf getroffen. Tatsächlich hatte die Bauweise des Bootes Ähnlichkeit mit einem sehr flachen und breiten Lastkahn. Durch eine Brandung konnte man das Ding bestimmt nicht sicher steuern. Aber dafür hatte es achtern eine Art Zeltaufbau, einen seidenen, in Rot und Gold schimmernden Baldachin, reich geschmückt mit bunten Troddeln und allen möglichen Bändern und Bordüren. Ein Aufbau, der offenbar dem alleinigen Zweck diente, dem Mann im Bootsheck Schatten zu spenden. Nicht etwa demjenigen, der die Pinne bediente – der konnte sehen, wie er mit der versperrten Sicht klarkam –, sondern dem Burschen, der es sich unter dem Baldachin bequem gemacht hatte wie der große Chan persönlich in seiner Sänfte.

      Nicht der behäbige Turbanmensch, wie Hasard mit einem Blick feststellte.

      Der Kerl in dem Beiboot-Monstrum war klein, hager und habichtnasig. Was ihm an Größe fehlte, glich er durch arrogante Haltung aus. Seine Rudergasten pullten mit gesenkten Köpfen. Sie trugen Pluderhosen und nach Kefiah-Art geschlungene Kopftücher. Ihre Oberkörper waren nackt, jeder einzelne hatte an der rechten Schulter ein Brandzeichen, das an einen stilisierten Tiger-Kopf erinnerte.

      „Der Obermacher von dem Verein scheint sich höllisch wild vorzukommen“, meinte Ben Brighton trocken.

      Hasard verzog das Gesicht.

      Gespannt beobachtete er, wie das Beiboot-Monstrum längsseits ging. Blakky und Matt Davies hatten etwas lahm die Jakobsleiter ausgebracht. Aufentern mußte der Habichtnasige schon selbst, eine Sänfte konnte niemand für ihn abfieren.

      Auf die Kuhl hievte ihn auch niemand.

      Sekundenlang


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