Seewölfe - Piraten der Weltmeere 627. Jan J. Moreno

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 627 - Jan J. Moreno


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mit einer derart wehrhaften Beute gerechnet, ihnen blieb keine andere Wahl, als ihre Breitseite vorzeitig abzufeuern.

      Keins der Geschosse traf. Dwars der Schebecke stiegen lediglich mehrere Fontänen auf. Spritzwasser kam über.

      Al Conroy zündete noch zwei mit gehacktem Blei geladene Culverinen, dann wurde die Distanz zu groß. Das Grobschrot zerfetzte das Großsegel der Piraten, die endlich begriffen, daß sie sich das falsche Opfer ausgesucht hatten und nach Steuerbord abfielen.

      „Folgen wir den Burschen, Sir?“ fragte Ben Brighton.

      Der Seewolf winkte ab.

      „Die haben ihr Fett weg. Sie sollen aber erfahren, mit wem sie es zu tun hatten.“

      Wenig später wehte an der Besanrute der Schebecke die schwarze Flagge mit den goldenen Säbeln, Zeichen des Bundes der Korsaren.

      Nachdem sie während der Nacht die Ostspitze von Inagua gerundet hatten, erreichten die Arwenacks Tortuga in den frühen Morgenstunden. Die riesigen, übereinandergetürmten Felsen entlang der Nordküste der Schildkröten-Insel begrüßten sie schon von weitem mit dem donnernden Tosen der Brandung.

      Völlig anders bot sich der Süden der Insel dar. Eine freundliche Bucht bildete den einzigen natürlichen Hafen. Es gab keinen zweiten Zugang ins Landesinnere.

      Ein Kanal von nur fünf Seemeilen Breite trennte Tortuga vom Nordwesten Hispaniolas. Der anhaltende Nordostpassat brachte keine Probleme, wie sie bei Wind aus Osten oder Westen zu erwarten waren, wenn große Wassermassen durch die Enge zwischen beiden Inseln gedrückt wurden.

      Mit Backstagswind lief die Schebecke ein.

      Tortugas Südküste hüllte sich in eine üppig blühende Vegetation, da das vorgelagerte Hispaniola Stürme und Unwetter aus südlichen Richtungen weitgehend abhielt. Gleich hinter dem Hafen stieg das Gelände steil an. Die Häuser – seit dem letzten Besuch der Seewölfe waren es wieder mehr geworden – duckten sich eng an den Berg. Sie bildeten einen angenehmen Kontrast zu den Bananenstauden, den Feigen- und Manschinellenbäumen, die nicht nur die Hänge überzogen, sondern auch auf den natürlich entstandenen terrassenförmigen Abschnitten wucherten.

      Die Insel, von den Spaniern einst für zu unbedeutend gehalten, hatte sich im Laufe vieler Jahre zum bedeutenden Umschlagplatz und Treffpunkt all jener entwickelt, die von dem zu leben verstanden, was die Karibik ihnen bot. Die Seeräuberei erwies sich als durchaus einträgliches Geschäft.

      Im Augenblick lagen allerdings nur zwei Karavellen, einige Ruderbarken und Schaluppen vor Anker.

      „Wir haben wohl alle ein wenig mehr erwartet“, murmelte Big Old Shane, nachdem die Segel geborgen waren. „Besonders viel scheint nicht los zu sein.“

      „Das läßt sich ändern.“ Edwin Carberry grinste breit. „Frauen gibt es genug an Land, und wenn deren Männer auf See sind – was können wir dafür?“

      Kopfschüttelnd deutete Old Donegal Daniel O’Flynn zu den leichtgeschürzten drallen Weibern hinüber, die gaffend an der Pier zusammenliefen.

      „Böse Geister lauern auf uns“, sagte er orakelhaft. „Ich spüre es deutlicher als jemals zuvor.“

      „Geister?“ Der Profos blickte erst ungläubig drein, begann dann aber dröhnend zu lachen, als er Old Donegals Blickrichtung folgte und feststellte, daß sie sich auf den Strich genau mit seiner deckte. „Mann, Mister O’Flynn, hat dir die Sonne den Verstand durcheinandergebracht? Da warten feine Schnuckelchen auf uns, so hübsch und gesünder, wie du sie selten zu sehen kriegst, und du faselst von körperlosen Gestalten?“

      „Soll Dan sich um seinen Alten kümmern“, sagte Roger Brighton. „Wir haben Landgang.“

      „Sie sind nahe“, murmelte Old Donegal.

      „Falls du die Geister auf der Pier meinst, die hätte ich gerne noch näher bei mir. Kannst du die nicht herbeiwünschen, Mister O’Flynn?“ Gary Andrews Augen funkelten erwartungsvoll.

      „Dein Spott wird uns alle umbringen.“ Old Donegal hob beide Hände zum Zeichen gegen den bösen Blick. Das aufbrandende Gelächter störte ihn herzlich wenig.

      Im Nu waren sie von den anderen Mannen umringt, die den Grund für die Heiterkeit erfahren wollten.

      „Old Donegal sieht mal wieder Geister“, erklärte Shane.

      „Überaus gefährliche Blutsauger“, bestätigte Carberry, wobei er unmißverständlich weibliche Formen in die Luft malte.

      „Genug gegafft!“ O’Flynn bahnte sich mit Fäusten und Ellenbogen einen Weg bis zu seinem Vater.

      „Wenigstens du glaubst mir, mein Junge. So ist es doch, oder?“

      Das Gesicht des Alten nahm einen verbissenen Ausdruck an, als Dan schwieg. „Ihr werdet euch gehörig wundern“, fügte er hinzu. „Old Donegal Daniel O’Flynn ist kein alter eigensinniger Mann, wie ihr zu glauben scheint. Ich habe das Zweite Gesicht, und ich verstehe es, meine Visionen zu deuten. Wie war das denn damals, am Berg Ararat, mit dem Stück Kielschwein von der Arche Noah?“

      „Das hast du gefunden“, bestätigte Big Old Shane. „Kein anderer hatte so etwas zuwege gebracht.“

      „Das will ich meinen.“ Old Donegal kehrte auf dem Absatz um und enterte durchs nächste Luk ab.

      Die an Land wartenden Frauen gelangten sehr schnell in feste Hände, und diese Hände verstanden kräftig zuzupacken, wenn es darum ging, unbekanntes Terrain zu erkunden. Lachend und schäkernd zogen die ersten Arwenacks mit Kurs auf Diegos Kneipe davon. Die Mannen, die nach ihnen von Bord gingen, durften sich mit dem Gedanken trösten, daß Diego sicher noch genügend Gespielinnen auftreiben würde.

      Der Segelmacher Will Thorne, Bill, Piet Straaten, Sven Nyberg und die beiden O’Flynns blieben auf der Schebecke zurück. Natürlich erhielt die Wache Unterstützung durch Plymmie, der Wolfshündin.

      Die Zwillinge nahmen den Acaranga-Papagei Sir John sowie den Schimpansen Arwenack mit an Land, weil die beiden in Diegos Kneipe bestimmt nicht fehl am Platz waren.

      „Wir sind die einzigen, die schon vorher einen Affen haben“, sagte Philip junior spöttisch.

      Die Kneipe mit dem sinnigen Namen „Zur Schildkröte“ lag hinter den Häusern versteckt. Ursprünglich eine einfache Höhle, war sie im Laufe der Zeit zu einem wahren Labyrinth von Gängen, Nischen und kühlen Gewölben geworden, in denen die Wirkung des Alkohols vergleichsweise harmlos blieb. Mancher Zecher landete erst dann recht unsanft auf seinem Achtersteven, wenn er die umwerfende Wirkung der Außenluft verspürte.

      Ein schwer zu beschreibender Dunst, eine Mischung aus vergorenem Wein, abgestandenem Bier, erkaltetem Rauch und ranzigem Fett schlug dem Seewolf und seinen Begleitern entgegen, als sie die Kneipen-Grotte betraten. Irgendwo aus dem Hintergrund erklangen die Stimmen der Mannen, die schon unter vollen Segeln und in Begleitung der aufgetakelten Hafenhuren in das Gewölbe eingelaufen waren.

      „Dreckiger Bums hier“, krächzte Sir John und trippelte unruhig auf Hasard juniors Schulter herum. Sein buntes Gefieder aufgeplustert, reckte er stolz den Kopf und spähte in alle Richtungen.

      „Halt den Schnabel!“ zischte der junge Killigrew.

      Allerdings mit mäßigem Erfolg, denn der Papagei begann mit den Flügeln zu schlagen und noch lauter zu kreischen: „Ein Bums! Ein Bums!“

      Wer jetzt noch nicht geschnallt hatte, daß da neue Zecher einen Platz suchten, der war entweder sturzbesoffen oder längst so im Tran, daß er eine spanische Silbergaleone nicht mehr von einer trächtigen Seekuh hätte unterscheiden können. Eingedenk der Tatsache, daß der Vormittag erst seinem Ende zuging, war die Kneipe erstaunlich gut besucht, was wiederum für die Geschäftstüchtigkeit des Wirtes sprach.

      Die Typen, die sich an den vorderen Tischen drängten, gehörten derselben miesen Kategorie an, wie dies schon in früheren Zeiten der Fall gewesen war. Insofern schien sich in der „Schildkröte“ wenig geändert zu haben. Die Galgenvögel, Schnapphähne


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