Seewölfe - Piraten der Weltmeere 346. Davis J.Harbord

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 346 - Davis J.Harbord


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Josés ragte, riß es heraus und federte hoch. Das Grinsen auf seinem Gesicht belebte sich wieder.

      Dieser Kerl, einer aus dem verluderten Haufen Duvaliers, war Wohl so das Übelste, was die Seewölfe jemals erlebt hatten. Und man hätte nicht behaupten können, daß sie wenig erlebt hatten. Aber dieser Kumpan eines Oberschnapphahns hatte schlicht die mieseste Visage, der sie je begegnet waren.

      Dem Kerl hing das linke Lid halb übers Auge. Es wirkte, als schiele er. Die Nase stand quer und war dabei breitgeschlagen. Das rechte Ohr fehlte – bis auf zerfranste Reste. Und hohlwangig war der Kerl, als sauge er alle Luft gierig nach innen. Die Wangenknochen schienen durch die Haut zu stoßen. Unter diesem wenig erfreulichen Gesicht ragte ein spitzes Kinn vor, ein nach oben gespitztes Kinn, das sich dem Mund entgegenwölbte, als sei es darauf erpicht, abgebissen zu werden.

      Vom Scheitel bis zur Sohle war dieser Galgenvogel verdreckt. Man konnte buchstäblich sehen – nicht riechen –, wie dieser Kerl stank. Scheitel war auch übertrieben, weil er den nicht hatte. Dieses schmierige, strähnige Haar war nie mit einem Kamm durchforstet worden – nie! Da mußten sich Generationen von Läusen angesiedelt haben.

      Die Seewölfe und die Timucuas waren wie erstarrt. Niemand hatte damit gerechnet, noch auf einen der Kerle zu stoßen, die entweder außenbords befördert worden waren oder aber freiwillig die Flucht ergriffen hatten, als ihnen klar geworden war, daß sie hier auf der Verliererseite standen. Das war zu jenem Zeitpunkt der Fall gewesen, als Hasard den Erpressungsversuch mit den beiden Timucua-Frauen vereitelt und den Oberschnapphahn Duvalier mit einem wüsten Faustschlag ins Wasser befördert hatte.

      Was diesen verluderten Kerl bewogen hatte, auf Hasard zu schießen, war schleierhaft. Vielleicht hatte er gedacht, bei einem Treffer die Bestürzung des Gegners ausnutzen und über Bord springen zu können. Gleichviel – er hatte kaum eine Chance, ob mit oder ohne Treffer.

      Nur Sekunden waren seit dem Schuß vergangen. Hasard und Marcos hatten sich auf den Kuhlplanken überrollt und schnellten jetzt hoch.

      Der Kerl tänzelte etwas vor und fintierte mit dem Messer nach allen Seiten. Es sollte wohl eine Drohgebärde sein, ihm vom Leibe zu bleiben. Mit einem Schuß brauchte er nicht zu rechnen. Die Feuerwaffen waren noch nicht nachgeladen worden. Aber die Arwenacks und die Krieger der Timucuas hatten zum Teil noch ihre Blankwaffen in den Fäusten.

      Jetzt zischte auch Hasards Degen wieder aus der Scheide. Er hatte ihn zurückgesteckt, bevor er über die Querbalustrade auf die Kuhl hinuntergeflankt war.

      Der Kerl zuckte zusammen.

      „Laß das Messer fallen“, sagte Hasard eisig und hob den Degen etwas an.

      Einen Schritt rechts neben ihm stand Marcos. Er hatte sein Messer gezogen.

      Der Kerl duckte sich lauernd. „Und wenn nicht?“

      Hasard zuckte mit den Schultern. „Rechne dir’s selbst aus. Es führen viele Wege in die Hölle.“

      Der Kerl blickte tückisch. „Für dich auch.“

      „Mag sein, aber du wirst den Vortritt haben.“ Hasards Gesicht blieb ausdruckslos, als er sah, was sich auf der „Isabella“ tat. Der Alte war wahnsinnig. Aber es war zwecklos, jetzt in dieser Situation noch eine Warnung auszustoßen – zwecklos und sogar gefährlich, weil nicht im voraus zu berechnen war, wie dieser Lumpenkerl reagieren würde.

      Old O’Flynn mit dem Holzbein zeigte mal wieder seine Turnkünste. Der Kerl konnte ihn nicht sehen. Er stand mit dem Rücken zur „Isabella“, die an der Backbordseite der „San Donato“ lag.

      Der Alte war am Großfall der „Isabella“ lautlos hochgeklettert – nur mit Armzug! Die Beine konnte er wegen der Prothese ja nicht zum Kletterschluß mit einsetzen. Hasard und Philip junior zogen den Alten weit nach Backbord hinüber, peilten den Kerl an, richteten das Fall auf ihn aus, liefen an, schwangen den Alten vor und ließen los.

      Old O’Flynn segelte weiter, ein schwebender Kobold mit zerfurchtem, granithartem Gesicht, das rechte Holzbein angehoben und wie eine Lanze vorgereckt.

      Marcos war es, an dessen überraschter Miene der Kerl bemerkt haben mußte, daß sich hinter ihm etwas abzuspielen schien. Aber als er herumwirbeln wollte, war es bereits zu spät.

      Old O’Flynns Holzbein prallte ihm wie eine Ramme an den Schädel und legte ihn um. Er stürzte in das Messer von Marcos und spießte sich auf.

      Als Old O’Flynn grinsend zurückpendelte, sprang Ferris Tucker hinzu, fing ihn ab und holte ihn an Deck.

      Hasard sah fast rot vor Wut. Sein Degen schepperte in die Scheide zurück.

      „Bist du wahnsinnig?“ fuhr er Old O’Flynn an.

      Old Donegal verging das Grinsen, und er wurde bockig. Und schon hackte er zurück: „Was paßt dir denn jetzt wieder nicht, he? Wenn ich nicht eingegriffen hätte, wärt ihr von dem Kerl aufgeschlitzt worden, Donner, Arsch und Halleluja!“

      „Von dem doch nicht!“ schmetterte Hasard zurück.

      Wie zwei Kampfhähne standen sie sich gegenüber – ein aller und ein junger Kampfhahn, Schwiegervater und Schwiegersohn. Es war eine groteske Szene, und die Arwenacks begannen verstohlen zu grinsen, während die Timucuas nicht wußten, was sie davon halten sollten. Dieser alte Mann mit dem Holzbein hatte doch eine kühne Tat vollbracht, nicht wahr?

      „Du bist zu alt für solche Kinkerlitzchen, Mister O’Flynn!“ fauchte Hasard. „Das hätte für dich verdammt ins Auge gehen können. Aber nein, Mister O’Flynn muß immer noch zeigen, was er für ein Kerl ist, nämlich ein Affe, der an Tauen hochturnt und von Schiff zu Schiff schaukelt, wozu ihm die Enkel noch Schwung geben müssen. Aber wir sind hier nicht beim Zirkus, Mister, ganz und gar nicht!“

      Old O’Flynn schnappte nach Luft und war seinerseits am Kochen. Außerdem war es eine Beleidigung, ihn als zu alt und als Affen zu bezeichnen. Das ließ er sich nicht bieten. Doch bevor er in die Gegenparade gehen konnte, setzte das Donnerwetter erneut ein.

      „Ich wollte den Kerl lebend!“ schnappte Hasard. „Le-bend! Verstehst du? Denn von einem Toten kann ich nichts mehr über diese französische Piratenbande erfahren. Sie haben gezielt angegriffen. Woher wußten sie, daß hier zwei Galeonen lagen? Wo ist ihr Schlupfwinkel? Müssen wir mit weiteren Angriffen rechnen? Und so weiter und so fort! Aber nein, Mister O’Flynn muß mal wieder auf eigene Faust handeln. An mögliche Folgen wird kein Gedanke verschwendet. Soll der Kapitän doch zusehen, wie er das geregelt kriegt, nicht wahr?“

      „Das konnte ich doch alles nicht wissen!“ schrie Old O’Flynn wütend.

      „Ach nein? Wer ist denn der Hellseher an Bord, he?“ Jetzt legte Hasard so richtig los. „Wer schaut denn dauernd hinter die Kimm und weiß immer schon im voraus, was die Glocke geschlagen hat? Heißt dieser Mann nicht Donegal Daniel O’Flynn, der auf dieser verdammten ‚Empress of Sea‘ bereits zehnmal zur Hölle und zurück gesegelt ist, als wir noch in den Windeln lagen? Hat er da nicht alles schon tausendfach erlebt, wovon wir bisher nur geträumt haben? Aber was hier und jetzt auf diesem Deck passiert ist, das konntest du nicht wissen – der hinter die Kimm schielende, neunmalkluge und weise Mister O’Flynn, der die Kakerlaken husten hört, der weiß von nichts, der hängt sich nur an Taue und spielt das Schaukelmännchen! Und grinst dabei dämlich, als habe er das Pulver erfunden, mit dem man um die Ecke oder im Zickzack schießen kann! Und wer hat dir befohlen, die ‚Isabella‘ zu verlassen, verdammt noch mal? Was ist, wenn jetzt plötzlich von der Backbordseite her erneut irgendwelche Kerle angreifen? Veranstalten wir hier kindliche Spiele – oder wie?“

      Old O’Flynn ruckte herum, stelzte zum Schanzkleid und kletterte hinüber zur „Isabella“. Er war voller Zorn, aber er ließ sich nicht vorwerfen, seinen Posten verlassen zu haben. Also nahm er ihn wieder ein.

      Hasard starrte ihm erbittert nach. Dieser alte Knochen wurde verdammt wunderlich und immer querköpfiger. Wahrscheinlich war es doch die beste Lösung, wenn er auf der Schlangen-Insel eine Kneipe eröffnete. Das Gezeter, das er angestimmt hatte, als Buddy Boldens Hausboot unter Wehklagen, Trommeln und Gesang vor Stunden an ihnen vorbeigezogen


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