Seewölfe - Piraten der Weltmeere 230. John Curtis
berichten konnte, was auf dem Achterdeck gesprochen wurde, dieser Kerl lag dort und schlief seinen Rausch aus.
Don Bosco lief rot an. Wie eine Woge überschwemmte ihn die Wut, denn er fühlte die Gefahr, die ihm drohte, fast körperlich.
Aber noch schwankte er, was er tun sollte. Aus dem Seewolf kriegte er die Wahrheit sowieso nicht heraus. An den beiden Jungen konnte er sich nicht vergreifen, ohne seine beiden besten Geiseln zu gefährden und damit ein Druckmittel aus der Hand zu geben, das ihm auch auf der Schlangeninsel noch hervorragende, geradezu unschätzbare Dienste leisten konnte. Denn das wußte Don Bosco genau: Trieb er sein Spiel zu weit, dann brachte dieser schwarzhaarige Teufel es glatt fertig und riß sie alle mit sich ins Verderben.
An diesem Punkt seiner Überlegungen richtete sich der ganze Zorn Don Boscos gegen den Mann, der am Steuerbordniedergang lag. Mit ein paar Schritten war der Pirat bei ihm. Ein derber Tritt weckte den Schläfer unsanft auf, und der Mann fuhr hoch. Aus verquollenen Augen blickte er Don Bosco an und begriff im ersten Moment gar nichts.
„Hoch mit dir!“ schrie Don Bosco ihn an. „Dir werde ich zeigen, was es heißt, zu saufen und zu schlafen, wenn Don Bosco Wache befohlen hat!“
Dem Mann dämmerte jetzt, auf was er sich eingelassen hatte. Er kannte Don Bosco, und er wußte, daß ein Menschenleben für ihn nicht zählte.
Das Gebrüll des Tortuga-Piraten hatte auch die anderen Piraten auf die Beine gebracht. Ebenfalls die beiden Wachen vom Hauptdeck eilten herbei. Auch sie musterten Don Bosco mit einem wilden Blick.
„Ihr da“, herrschte er sie an, „habt ihr nicht gesehen, daß dieser Hundesohn sich betrunken hat und dann, statt meinem Befehl zu gehorchen, auf Wache eingeschlafen ist? Wo habt ihr eure Augen gehabt? Für jeden von euch zwölf Hiebe mit der Neunschwänzigen!“
Die beiden Wachen prallten zurück. Aber das half ihnen nichts, denn Don Bosco hatte schon zwei riesigen Kerlen gewinkt, und die packten sie.
„Bindet sie an die Wanten. Vorwärts!“ kommandierte er.
Sein Befehl wurde sofort erledigt. Doch als die beiden ihre Neunschwänzigen aus den Gürteln reißen wollten, stoppte Don Bosco sie.
„Halt! Erst zu diesem Dreckskerl hier. Bindet ihn!“
Erst in diesem Augenblick begriff der Mann, was ihm drohte. Er fuhr lange genug unter Don Boscos Befehl, er wußte, wie Don Bosco derartige Vergehen ahndete. Er war verloren, so oder so. Aber wenn es den beiden erst gelang, ihn zu binden, dann hatte er nicht mehr die geringste Chance. Er warf einen gehetzten Blick zur Schlangeninsel hinüber. Ein guter Schwimmer konnte sie durchaus erreichen. Dabei dachte er allerdings weder an die Haie noch an den Mahlstrom, der bald einsetzen mußte.
Er entschloß sich schnell. Mit einer blitzartigen Bewegung fuhr er herum, packte Don Bosco und schleuderte ihn den beiden Riesen entgegen, die sich eben auf ihn stürzen wollten.
Dann rannte er die wenigen Stufen zum Achterdeck hinauf, und im nächsten Moment, noch während Don Bosco von seinen beiden Henkersknechten aufgefangen wurde, sprang er über Bord.
Der Seewolf sah das, er hörte das wüste Gebrüll, mit dem diese Flucht begleitet wurde, und dann erschien Don Bosco auch schon auf dem Achterdeck. Er stürzte zum Steuerbordschanzkleid, riß seine Pistole hervor, zielte auf den Mann, der eben wieder auftauchte und schoß.
Er traf jedoch nicht, und der Mann tauchte sofort wieder.
Don Bosco stieß einen Fluch aus, und schon wollte er den Befehl geben, ein Boot abzufieren, um den Fliehenden wieder einzufangen, als ihm das Wort plötzlich in der Kehle steckenblieb.
Dort, wo der Flüchtling eben wieder getaucht war, erschien unter der Wasseroberfläche ein großer, grauer Schatten, dem sogleich ein zweiter folgte.
Über Don Boscos Züge ging ein teuflisches Grinsen. Er deutete auf die See, die von einer langen Dünung durchzogen wurde.
„Dieser Hund kriegt genau das, was ich ihm zugedacht habe!“ sagte er, und die beiden Hünen traten neben ihn. Auch sie grinsten und bleckten bereits die Zähne in der Vorfreude auf das Schauspiel, das sich ihren Augen in den nächsten Sekunden unweigerlich bieten würde. Aber sie warteten vergebens, nichts geschah. Weder tauchte der Verurteilte wieder auf, noch sahen sie von den Haien auch nur die Rückenflosse.
Don Boscos Gesicht überlief es wie Ärger.
„Die Haie haben ihn unter Wasser geschnappt und sind mit ihrer Beute sofort abgetaucht!“ sagte er. „Los, verschwenden wir keine Zeit mehr auf diesen Dreckskerl, verpaßt diesen beiden anderen Hundesöhnen jetzt ihre Hiebe!“
Enttäuscht, daß ihnen das makabre Schauspiel, wie ein Mann von Haien angefallen und zerrissen wurde, entgangen war, enterten sie zum Hauptdeck ab. Sie ließen ihre Wut an den beiden Unglücklichen aus, die bereits an den Backbordwanten hingen.
Don Bosco trat auf den Seewolf zu. Dicht vor ihm blieb er stehen und starrte ihn an.
„Du planst irgendeine Teufelei, Seewolf!“ sagte er. „Ich sehe dir das an, und ich habe auch gesehen, wie du deine Söhne angegrinst hast. Ihr habt etwas vor, und vielleicht könnte ich es aus den beiden da herausholen. Aber ich werde mich damit jetzt nicht mehr aufhalten, denn viel Zeit haben wir nicht mehr. Aber ich warne dich. Hüte dich, oder du und deine Söhne werdet es bereuen. Jener Mann, den ich dort unten am Niedergang postiert hatte, damit er mir melden konnte, was zwischen euch gesprochen wurde, hat auf Wache geschlafen. Dafür haben ihn die Haie zerrissen, zwei prächtige, große Burschen sage ich dir. Bringe mich nur nicht erst auf die Idee, daß deine beiden Söhne oder auch nur einer von ihnen vielleicht ebenfalls eine prächtige Beute für die Haie abgeben könnten!“
Don Bosco stieß ein teuflisches Lachen aus, dann wandte er sich ab und winkte die beiden Hünen heran, die eben mit dem Auspeitschen der beiden Piraten fertiggeworden waren und die Delinquenten wieder von den Wanten losgebunden hatten.
„Holt die beiden Söhne des Seewolfs. Schließt sie auf dem Vorderkastell, nein, auf dem Galionsdeck an. Sie sollen die ersten sein, die sterben, falls der Seewolf die ‚Isabella‘ auf ein Riff steuern sollte, um uns zu verderben!“
Die beiden nickten, dann stiegen sie zum Achterdeck empor, schlossen die Zwillinge los und trieben sie zum Vorschiff hinüber. Zähneknirschend mußte der Seewolf das mit ansehen, aber was in diesem Moment hinter seiner Stirn vorging, das bedeutete für Don Bosco nichts Gutes.
Nur eines ahnten beide Männer in diesem Augenblick noch nicht: Die Flucht des von Don Bosco zum Tode Verurteilten sollte für sie alle noch ungeahnte Folgen haben.
Genau zwanzig Minuten vor Sonnenaufgang setzte der Mahlstrom ein. Erst war es nur, als ob etwas an der „Isabella“ zu zerren begann. Der Dreimaster schwoite um die Ankertrosse, bis sein Heck zur Schlangeninsel zeigte. Dabei straffte sich die Ankertrosse.
Der Seewolf spürte die Bewegung seines Schiffes, und wenig später tauchte Don Bosco bei ihm auf.
„Der Mahlstrom hat eingesetzt, Seewolf! Du übernimmst jetzt das Kommando, aber ich werde neben dir stehen, vergiß das nicht. In meinem Gürtel steckt eine, geladene Pistole, ich werde immer noch Zeit finden, dir den Garaus zu machen, wenn du uns auflaufen läßt. Merk dir das gut. Und neben deinen Söhnen steht ebenfalls ein zuverlässiger Mann, auch er wird dafür sorgen, daß deine Brut nicht überlebt, wenn etwas geschieht. Pablo auf der „Conchita“ hat von mir strikte Order, alle deine Männer zu töten, wenn du uns in eine Falle lockst, Seewolf.“
Don Bosco sah ihn aus schmalen Augen an, und deutlich erkannte der Seewolf die Furcht und das Mißtrauen, die ihn erfüllten, in seinen Zügen.
„Ich sehe Angst in deinen Augen!“ höhnte er. „Und du hast recht, Don Bosco. Es ist nicht leicht für einen Mann, den man ans Ruder kettet, ein Schiff wie dieses im Mahlstrom durch den Felsendom zu steuern. Vielleicht schaffe ich das, aber ich rate dir, stelle deine Leute am Ankerspill bereit, denn sie müssen Anker werfen, sobald ich es ihnen befehle, oder wir sind verloren!“
Don Bosco schloß seine Augen zu schmalen Schlitzen.
„Du