Seewölfe - Piraten der Weltmeere 122. Fred McMason
Durst höhlte ihn aus, fraß in ihm und trocknete das Blut in den Adern, bis er glaubte, er bestände nur noch aus Staub.
Spätestens morgen würden sie elend krepieren, wenn nicht ein Wunder geschah. In dieser Gluthitze überlebte man nicht lange, wenn es kein Wasser gab.
Er sah sich um, starrte auf die übelriechenden Blüten und dachte nach. Wenn hier Blumen wuchsen, mußte es auch Wasser geben, eine winzige kleine Quelle nur, wovon sonst sollten sich diese Pflanzen ernähren?
Er begann mit der Suche, dabei warf er immer wieder einen Blick zu den großen Nüssen, die in schwindelerregender Höhe über ihm in dem Wedel der Palme hingen. Sie waren noch nicht ganz reif, aber das war nicht weiter wichtig. Wichtiger war, wie man sie kriegte.
Zuerst buddelte er mit beiden Händen wie besessen in dem Sand bei den Pflanzen, doch der Sand war trocken und heiß, und von dem Geruch, den die Blüten verströmten, wurde ihm schlecht.
„Madre de Dios“, betete er laut, „laß es auf dieser beschissenen Insel Wasser geben! Jeden Tag nur einen Schluck!“
Er wühlte weiter wie ein Tier. Er hatte ein tiefes Loch gebuddelt, über dem er mit dem Oberkörper hing. Schweiß rann ihm über das Gesicht, verklebte ihm die Augen, aber er gab nicht auf und grub weiter, bis seine Hände auf etwas Kühles stießen. Seine Finger wurden feucht, dann naß. Mit einem irren Auflachen erkannte er vor sich tief im Boden ein Rinnsal, das aus dem Sand quoll und einen Teil des Bodens bedeckte.
Als er sich vorbeugen wollte, wurde er zur Seite gerissen. Eine Hand packte ihn, schleuderte ihn fort, ein Fuß trat nach ihm.
Der Steuermann warf sich in das Loch. Sein Gesicht war vom Wahnsinn gezeichnet, seine Hände hielt er wie Klauen gestreckt abwehrbereit zur Seite.
Virgil hatte seine letzten Kräfte verbraucht. Er lag halb auf der Seite im Sand und stöhnte leise.
„Du verdammter Hund“, murmelte er immer wieder. „Laß mir auch einen Schluck, ein paar Tropfen nur!“
Antonio zuckte zurück, als hätte er einen Hieb ins Gesicht erhalten. Erstaunlich rasch kroch er aus dem Loch heraus, Sand auf den Lippen, in den Augen. Sandige Brühe troff ihm aus dem rechten Mundwinkel, und er spuckte.
„Salzwasser!“ heulte er laut. „Und ich habe fast alles gesoffen.“
Virgil konnte kein Mitleid mit ihm empfinden. Der Steuermann hätte ihm keinen Tropfen übriggelassen, wäre es Süßwasser gewesen.
Der Steuermann erbrach sich, aber so sehr er auch zuckte und bebte, er brachte nur ein paar Tropfen heraus. Das schwächte ihn so, daß er wieder in den Sand fiel und sich nicht mehr rührte.
Auch Virgil wollte sich erschöpft und ausgelaugt wieder in den Schatten lehnen, als ihn ein Gedanke durchzuckte, der seine Lebensgeister schlagartig aufpeitschte.
Im Boot lag eine Muskete!
Er lief los, stolperte, fiel der Länge nach hin und raffte sich wieder auf, bis er das Boot erreichte.
Ja, die Muskete lag noch da, sie hatten sie auf ihrer überstürzten Flucht mitgenommen, als sie sich gegen die Wilden gewehrt hatten. Mit der Muskete konnte er ein paar Kokosnüsse herunterschießen, und wenn sie nur eine oder zwei erwischten, dann würde das in jedem Fall ihr Leben verlängern. Virgil hatte von einem spanischen Schiffbrüchigen gehört, daß man ein ganzes Jahr lang leben konnte, wenn man jeden Tag nur eine einzige Kokosnuß verzehrte.
Die nächste Enttäuschung versetzte ihm einen fast körperlich spürbaren Schlag. Das Pulver war naß und matschig, ein unbrauchbarer dunkler Brei. Er goß die dunkle Suppe vorsichtig auf die Ducht und wartete darauf, daß die Sonne es trocknen möge.
Antonio rührte sich nicht. Es hatte den Anschein, als würde er den morgigen Tag nicht mehr erleben, und er selbst, Virgil, konnte sich trotz seiner besseren Kondition ausrechnen, wann es auch mit ihm soweit war.
Er fühlte sich hundeelend und war den Tränen nahe. Einmal begann er laut zu fluchen, dann wieder betete er laut und inbrünstig, und schließlich verfluchte er Gott und die Welt.
Drei Tage hatten sie gebraucht, um diese verdammte Insel zu erreichen. Drei Tage mindestens würden sie auch wieder brauchen, um zum Festland zu gelangen, wo es Trinkwasser gab.
Aber da gab es auch die Kopfjäger und Menschenfresser, die sie unbarmherzig jagen würden.
Nein, es war nicht zu schaffen, entschied er. Sie würden auf See verdursten oder hier, es blieb sich gleich. Hier hatten sie wenigstens die Wilden nicht zu fürchten.
Alle Augenblicke sah er nach, ob das Pulver trocken war. Es klebte langsam zu einer kuchenartigen Masse zusammen, war im Innern aber immer noch feucht.
Die Hitze nahm zu. Mörderisch heiß schickte die Sonne sengende Strahlen zur Erde. Selbst im Schatten war es kaum zum Aushalten. Die heiße und schwüle Luft legte sich beklemmend auf die Lungen.
Gegen Mittag zerbröselte Virgil einen Teil des Pulvers und lud mühsam und mit gequollenen Händen die Muskete.
Doch das Pulver entzündete sich nicht, er konnte tun, was er wollte, es gab keinen Blitz, nichts.
Wütend und enttäuscht warf er die Muskete ins Boot zurück.
Danach versuchte er es mit Steinen, und als er damit ebenfalls keinen Erfolg hatte, rüttelte er wie besessen am Stamm der Palme, ohne daß es etwas einbrachte.
Schließlich versuchte er sie zu erklimmen. Er schaffte nur ein paar Schritte, dann hielten seine Hände nicht mehr fest, er konnte nicht zupacken, verlor den Halt und stürzte kopfüber in den heißen Sand.
Der Tobsuchtsanfall, der dann folgte, zehrte seine letzten Kräfte auf. Dort hoch oben hing das, was sein Leben verlängerte, kühle süßliche Milch, die seinen Durst löschte, Fruchtfleisch, das seinen Hunger stillte, aber es war so weit entfernt wie der Mond.
Zwei Stunden lang lag er reglos da, mit pochendem Herzen, rasselndem Atem und jagenden Lungen, dann verfiel er auf die Idee, den Stamm der Palme zu kappen.
Er kroch zu dem Steuermann hinüber und riß ihm das Messer aus dem Hosenbund. Antonio rührte sich nicht, er hatte sich in der letzten Zeit überhaupt nicht mehr bewegt. Vielleicht war er tot, oder das Salzwasser hatte ihm den Rest gegeben.
Mit dem Messer hieb er wütend und knurrend wie ein gereizter Hund immer wieder in den Stamm der Palme. Er hieb zu, als hätte er seinen Todfeind vor sich, immer und immer wieder.
Aus dem zerfetzten Stamm rann etwas Flüssigkeit. Virgil preßte die aufgesprungenen Lippen daran und begann gierig zu saugen.
Er spürte, wie neue Kraft in ihm aufloderte, und wie besessen hackte er weiter. Er hatte nicht gedacht, daß das Holz dieser Palme so unglaublich hart und zäh war und sich immer nur winzige Späne herausfetzen ließen.
Aber mit dem weiteren Abspänen sickerte auch immer wieder etwas von dieser Flüssigkeit aus dem Stamm, die ihm neues Leben verlieh.
Nach einer Ewigkeit hörte er auf. Diese Arbeit war allein nicht zu schaffen, und er sah nicht ein, daß sich der lausige Steuermann im Sand ausruhte und nichts zur Arbeit beitrug. Schließlich kam er ja auch in den Genuß der Früchte, sobald die Palme gefällt war.
Er stieß ihn mit dem Fuß an.
„Steh auf“, sagte er heiser. „Hilf mir, den Stamm zu fällen, du fauler Hund! Dann haben wir Milch, kühle Milch!“
Antonio ächzte leise und sah aus blicklosen Augen in den Himmel.
„Wasser!“ brüllte Virgil ihn an, um seine Lebensgeister zu mobilisieren, doch der Steuermann begriff nicht mehr, was er wollte. Ein häßliches Grinsen hatte sich um seine Mundwinkel eingekerbt, in den blicklosen Augen lag ein fast spöttischer Ausdruck.
Virgil zuckte mit den Schultern und wollte sich abwenden. Geschieht dem Kerl ganz recht, sagte eine innere Stimme in ihm. Um den ist es nicht schade. Warum sollst du dich mit ihm abrackern?
Aber da war auch noch