Seewölfe - Piraten der Weltmeere 126. Fred McMason
ja“, sagte Dan trocken. „Er hat ja auch genug andere Dinge zu tun, da kann er sich nicht um jeden einzelnen und seine Sanduhr kümmern.“
Der Reverend lief etwas rötlich an. Sekundenlang verschlug es ihm glatt die Sprache, als er den jungen Kerl ansah, der sich betont gleichgültig gab.
„Richtig, richtig“, sagte er pikiert und leicht verärgert.
So ganz langsam wollte er sich an sein eigentliches Ziel heranpirschen, doch er erkannte, daß er hier höllisch aufpassen mußte, denn die Burschen waren gewitzt und ausgekocht. Sie erkannten seine Autorität einfach nicht so richtig an, wie er zu seinem wachsenden Unbehagen feststellte.
„Sie haben sicher eine Menge zu erzählen, Reverend“, sagte der Seewolf. „Wie sind Sie auf diese Insel gelangt? Möchten Sie nicht Ihre Geschichte erzählen?“
„Es ist eine lange und blutige Geschichte“, sagte Thornton und senkte den Blick seiner Augen in den Sand. „Ich schäme mich, wenn ich daran denke, ich schäme mich für die Spanier, deren Bekanntschaft ich mit Gottes Hilfe gerade noch entgehen konnte. Zum Glück ist es schon eine Weile her, als sie hier landeten.“
Jetzt spitzten alle die Ohren.
„Spanier, hier, auf dieser Insel?“ fragte Hasard. „Was hatten die hier zu suchen?“
„Später, Kapitän Killigrew, das ist nicht weiter wichtig, es handelt sich nur um das berüchtigte ‚Goldene Kalb‘, diesen verfluchten Götzen, den der Mensch anbetet. Ich will weiter ausholen. Sie sollen alles erfahren.“
Thornton hatte den ersten Samen ausgesät, die Neugier war da, und wurde immer stärker. Bald würde aus dem Samen ein Gewächs werden. Er versprach sich schon jetzt einen dicken Anteil, ohne einen Finger gerührt zu haben. Diese Männer hier waren keine wilden brutalen Piraten, hier herrschten Zucht und Ordnung, dieser Killigrew hatte sie alle im Griff.
Mittlerweile hatten sich immer mehr der Seewölfe um den vermeintlichen Reverend geschart.
Carberry und der Schiffszimmermann warfen sich einen Blick zu.
„Gott hat uns einen neuen Fletcher beschert“, sagte der Profos leise und grinste dabei.
Auch Ferris Tucker grinste.
„Der stößt mir heute noch auf mit seinen frommen Sprüchen“, sagte er ebenso leise. „Allerdings halte ich den Kerl nicht für ehrlich, der hat etwas vor.“
Carberry nickte und sah den Reverend an, der salbungsvoll sprach und den Blick seiner hellen Augen mitunter zum Himmel richtete, als empfange er von dort Eingebungen.
Auch die anderen blieben wach und mißtrauisch. Thornton war ein Typ, der sich allen durch seine Gesten und seine salbungsvollen Worte von selbst offenbarte, und davon hatten die Männer noch nie viel gehalten.
Inzwischen kriegte der Seewolf eine haarsträubende Geschichte zu hören. Thornton berichtete von der großen Reise, davon, daß sie etliche Spanier gekapert hätten und von allem Möglichen.
„Wie passierte das mit dem Floß?“ fragte Hasard, denn der Gottesmann hatte dieses Thema immer wieder hinausgeschoben und drückte sich sichtlich vor einer Antwort.
„Auch das ist eine lange Geschichte“, sagte er und überlegte fieberhaft, wie er sich da herauswinden konnte.
„Hat man Sie ausgesetzt, Reverend?“ fragte Matt Davies direkt.
Thornton hob entsetzt die Hände.
„Einen Priester setzt man nicht aus“, sagte er etwas von oben herab. „Das Schiff ging unter, langsam, es dauerte ein paar Tage, aber wir wußten es und konnten uns darauf einrichten. So hat unser Zimmermann kleine Flöße gebaut für den Fall, daß wir das Schiff verlassen mußten. Und siehe da: Der Herr hatte ein Einsehen und rettete uns.“
Hasard eisblaue Augen forschten in Thorntons Zügen.
„Gab es bei Ihnen an Bord keine Beiboote?“ fragte er.
„Natürlich gab es ein Beiboot, aber das wäre zu eng geworden, schließlich waren wir mehr als zwanzig Mann, und daher verteilten wir uns auf das Boot und mehrere Flöße. In meiner Bescheidenheit verzichtete ich darauf, das große Boot zu benutzen. Ein paar andere und ich nahmen mit den Flößen vorlieb. Wir befanden uns ja in Sichtweite der anderen, und wir dachten, es könne nichts passieren. Die See war ruhig, es ging kein Wind. Erst in der darauffolgenden Nacht begann das Unheil.“
Der Blick in Hasards Augen wurde fast träge. Er glaubte dem Kerl kein einziges Wort. Aber der Seewolf gab sich verbindlich und gelassen, er wollte auch noch den Rest hören.
Er stellte auch absichtlich keine Fragen, und das schien den Reverend zu verwirren. Beim Erzählen stockte er, geriet ins Stottern, und dabei fiel sein Blick auf Luke Morgan, der ihn unverschämt angrinste.
Die Kerle glauben mir nicht, dachte er. Aber sie konnten nichts wissen, sie konnten nicht einmal Vermutungen anstellen.
„In jener Nacht briste es auf“, erzählte er weiter, „und innerhalb kurzer Zeit löste sich unser Verband auf, der Kontakt brach ab, und wir haben uns nicht mehr gesehen.“
„Und das Schiff war untergegangen?“ fragte Hasard.
„Es war bereits am Sinken. Ratten hatten Löcher in den Rumpf gefressen, die Vorpiek war undicht, und die See sprühte in ganz feinem Strahl herein.“
„Und das ließ sich nicht beheben?“ fragte Tucker ungläubig.
„Nein, da half alles nichts. Unser Zimmermann und seine Gehilfen taten alles Mögliche, doch es war aussichtslos.“
„Woher wollen Sie denn eigentlich wissen, Reverend, daß die anderen alle gerettet wurden?“ fragte Hasard.
„Ja, äh, ich nehme das an. Unser Captain sagte, daß es hier viele Inseln gäbe, und dann ist es doch nur natürlich, daß auch die anderen Land erreicht haben.“
„Ja, das ist anzunehmen“, sagte Hasard und dachte sich seinen Teil über den Reverend. Irgend etwas verbarg der Mann vor ihnen, das war sicher, und vielleicht würde sich später auch einmal herausstellen, was der Bursche vor ihnen verbarg.
„Wie war das mit den Spaniern?“ erkundigte sich der Seewolf weiter. „Sie erzählten davon.“
Thornton hatte sich eine nette glaubhafte Geschichte aufgebaut, sie im Handumdrehen aus den Fingern gesogen, aber wenn er die Männer jetzt so anblickte, dann fand er, daß seine Geschichte eigentlich nicht viel wert war. In der Theorie sah das immer ganz anders aus als in der Praxis.
Nun gut, die Sache mit den Schätzen hatte noch Zeit, da wollte er nichts übereilen, und außerdem durfte er kein auffälliges Interesse zeigen. Daher winkte er ab.
„Eine Bande lausiger spanischer Räuber und Piraten landete hier. Sie luden eine Schatztruhe aus und eine große hölzerne Figur, die sie zu der Höhle trugen.“
Thorntons abgewinkelter Daumen wies lässig auf den brausenden Wasserfall.
Hasard kniff jetzt die Augen zusammen und warf einen nachdenklichen Blick auf Ben Brighton. Wenn der Reverend von der Höhle und den Schätzen wußte, dann gehörte ihm auch ein Anteil davon, überlegte Hasard. Andererseits aber war es durchaus möglich, daß der Reverend sie beobachtet hatte und deshalb alles über die Grotte und ihren Inhalt wußte.
Hasard hatte noch einen anderen Gedanken. Die Gebeine in der Höhle waren schon sehr alt, die Truhe halb verrottet und das Ledersäckchen vermodert. Was sich hier am Wasserfall abgespielt hatte, mußte also schon einige Jahre zurückliegen, und solange war der Reverend auf keinen Fall hier.
„Haben Sie die Grotte gesehen?“ fragte er.
Da beging Thornton seinen ersten entscheidenden Fehler.
„Die Neugier ließ mir später keine Ruhe“, sagte er. „Ich mußte einfach nachsehen, was sich in der Höhle alles befand.“
„Hatten Sie das nicht beobachtet?“