Seewölfe - Piraten der Weltmeere 130. Fred McMason
für einige Zeit aufgenommen zu werden, war sofort stattgegeben worden.
Waffen und Schmuck, die der Seewolf Sarego und Batuti ausgehändigt hatte, hatte der Häuptling als Geschenke zwar nicht annehmen wollen, aber nach einigem Palaver hatte er sie dann doch akzeptiert. Der Weg in den Kral war geebnet, er stand Sarego, den Frauen und den Kindern offen.
Hasard blickte über das kniehohe Büffelgras nach Südwesten. Dort, wo der Pfad zum Kral nach zwei bis drei Meilen in dichten Busch führte, hatte sich eine illustre Gesellschaft eingefunden – gut zwei Dutzend Dickhäuter mit großen, wachen Ohren und forschenden Augen. Ganz langsam bewegten sie sich voran, ließen die Menschen jedoch nicht aus den Augen und waren bereit, jeden Moment die Flucht zu ergreifen. Graue Kolosse, in deren faszinierendem Erscheinungsbild die schneeweißen Stoßzähne einen erstaunlichen Kontrast bildeten.
Smoky folgte Hasards Blick. „Ja, das sind schon stolze Kameraden, diese Elefanten. Ich frage mich nur, wie die Bantus es ohne Feuerwaffen fertigbringen, diese Giganten zu erlegen.“
„Sie bauen Fallgruben.“
„Das hat Sarego dir erzählt?“
„Ja. Die Bantus nehmen den männlichen Elefanten aber nicht nur ihre bis zu zwei Yards langen, manchmal fünfzig Pfund wiegenden Stoßzähne ab, sie leben auch von dem Fleisch der Tiere und gerben deren Haut, um aus dem Leder Kleidung und Hütten herzustellen“, sagte der Seewolf. „Sie würden niemals versuchen, die Großtiere auszurotten, sondern jagen immer nur so viele, wie sie wirklich brauchen.“
„Ich verstehe“, sagte Smoky. „Erst der weiße Mann hat dem Elfenbein den Wert verliehen, den man ihm heute auch in den vornehmen Häusern unserer Heimat beimißt.“
„Weißes Gold“, erwiderte Hasard. „Es ist so begehrt, daß sich die Menschen seinetwegen die Köpfe einschlagen. Wohin soll das noch führen?“ Sein Blick streifte die Ladung Stoßzähne, die von seinen Männern an Land geschafft worden war. Sarego, die beiden Krieger des befreundeten Stammes und die jungen Frauen würden das Elfenbein zum Kral tragen und dort gut verstecken. Nur im Notfall würden sie dereinst versuchen, sich mit diesem Reichtum freizukaufen, falls die Spanier jemals bis zu dem verborgenen Dorf vordrangen und sich Sklaven holten. Bislang hatten sie die Elfenbeinjäger verschont. Es hatten erst die Hamiten auftauchen müssen, skrupellose Banditen, die das ganze Land Zanguebar verunsicherten und das Leben der Bantus in eine Hölle verwandelten.
Injuru, eine der tapfersten jungen Frauen des Stammes, trat auf den Seewolf zu. Sie sprach auf ihn ein, und die Mädchen, die inzwischen alle den breiten Sandstrand erreicht hatten, verstummten auf einen Wink von Negwa, Saregos Braut, hin.
„Batuti“, sagte der Seewolf. „Ich verstehe nicht, was sie mir erzählt. Komm her und übersetze.“
Der Herkules aus Gambia schritt auf seinen Kapitän zu. Er lauschte den Worten der jungen Frau und betrachtete sie von der Seite. Injuru war wie Negwa eine Naturschönheit mit weichen Zügen, sinnlich gewölbten Lippen und festen Brüsten, die in der Ebenmäßigkeit und Harmonie ihres vollkommenen Körpers dominierten. Ein Anblick, der das Herz jedes Mannes schnell schlagen ließ – und doch, niemand wagte es, Injuru anzurühren, denn sie hatte bei dem Kampf im Kral ihren Mann verloren. Man sah ihr nicht an, daß sie schwanger war, aber alle wußten es.
„Sie sagt, die Unbekümmertheit der jungen Mädchen und die Gesundheit der Kinder sei die Kraft, die ihren Stamm aufrechterhalte“, sagte Batuti. „Darin und in der Frucht, die sie unter dem Herzen trägt, liege die Zukunft.“
„Sie werden noch eine Zeitlang um ihre Toten trauern“, entgegnete der Seewolf. „Aber sie werden es auch lernen, alles Geschehene zu vergessen. Ich weiß, daß sie es schaffen.“
Batuti dolmetschte wieder, und Injuru sah daraufhin dem Seewolf fest in die Augen und fragte: „Werden wir uns wiedersehen?“
„Bestimmt.“
„Wann?“
„Eines Tages …“
„Wenn mein Kind geboren ist?“
„Wenn es auf die Welt gekommen und ein bißchen gewachsen ist“, sagte der Seewolf lächelnd. „Und nun laßt uns Abschied nehmen. Ich weiß, ihr würdet es gern sehen, wenn wir mit euch ins Dorf gingen und eine Weile bei euch blieben – aber das geht nicht. Ich habe euch erklärt, warum es nicht möglich ist.“
Injuru lauschte den Erläuterungen Batutis, dann nickte sie stumm. Sie machte aus ihren Tränen keinen Hehl und hielt sie nicht zurück. Ganz kurz stellte sie sich auf die Zehenspitzen, beugte sich vor und hauchte Hasard einen Kuß auf die Wange. Dann wandte sie sich rasch ab und lief zu Negwa hinüber.
Einzelne Mädchen sagten auch den Seewölfen in den Booten durch Küsse ade.
Hasard war inzwischen zu Sarego getreten und sagte: „Sarego, ich werde auch die andere Hälfte des Elfenbeins noch an Land bringen. Batuti, übersetze bitte.“
Sarego hob abwehrend die Hände, als Batuti ihm dies in der Bantusprache auseinandergesetzt hatte. „Nein! Niemals! Das weiße Gold ist unser Geschenk an euch, ihr dürft es nicht ablehnen! Ihr würdet mich und die Frauen zutiefst beleidigen.“
„Ihr könnt das Elfenbein noch gut gebrauchen“, erklärte der Seewolf. „Und wir haben nicht das Recht, es euch abzunehmen.“
So ging das noch eine Weile hin und her, aber Sarego sträubte sich so eisern, daß Hasard zum Schluß nur eins übrigblieb. Er zuckte mit den Schultern und sagte: „Na dann – belassen wir’s dabei. Ich bedanke mich und verspreche dir, daß wir euch immer in unserer Erinnerung behalten werden.“ Er streckte die Hand aus, Sarego ergriff und drückte sie. Die beiden so unterschiedlichen Männer blickten sich schweigend an. Dann drehte Sarego sich zu seinen Leuten um und schritt davon, um nicht zu zeigen, wie nahe auch ihm dieser Abschied ging.
Hasard sah zu Smoky, Batuti und den anderen vier Männern seiner Crew.
„He, was sind denn das für Gesichter?“ sagte er. „Ist euch eine Laus über die Leber gekrochen?“
Smoky fing sich als erster. „Nein, Sir. Na los, Jungs, keine Müdigkeit vorschützen und keine Löcher in die Luft glotzen. Wir rauschen ab, gehen an Bord unsrer alten Lady und sehen zu, daß wir den Wind ausnutzen, der so schön frisch von Nordosten weht.“
„Pullen“, sagte Jeff Bowie. „Uns bleibt ja doch nichts anderes übrig. O Jesus, wie gern wäre ich hiergeblieben.“
„Wem sagst du das“, murmelte Will Thorne.
„Feine Mädchen waren das“, sagte nun auch Bill schwärmerisch. „Einfach zum Anbeißen.“
„He“, knurrte Luke Morgan. Er musterte den Moses aus schmalen Augen. „Seit wann verstehst denn du was von Weibern? Lern erst mal deine Lektionen, dann kannst du mitreden.“
„Ich bin jetzt siebzehn, vergiß das nicht.“
„Na und?“ sagte Luke.
„Vielleicht habe ich bei Mädchen mehr Chancen als ihr alle zusammen“, erwiderte Bill mit erhobenem Kopf.
„Mann“, sagte Luke Morgan. „Dir ist wohl eine Muck aus dem Schapp gefallen, was? Werd bloß nicht frech. Mehr Chancen – da lachen ja die Hühner.“
Jeff und Will hatten den Dialog der beiden amüsiert verfolgt und grinsten sich jetzt eins. Ja, Bill, der auch nicht mehr ganz so grün hinter den Ohren war, konnte durchaus recht haben. Und wenn man ganz ehrlich sein wollte: So mancher Seewolf kriegte glatt das Grausen, wenn er sein Spiegelbild mal zufällig im Wasser betrachtete.
Ben Brighton und die anderen, die auf der „Isabella“ zurückgeblieben waren, hatten die Trennungsszene schon hinter sich, aber sie lehnten jetzt natürlich alle am Steuerbordschanzkleid ihrer Galeone, auf Achter- und Quarterdeck, Kuhl und Back verteilt und sahen den davonziehenden Schwarzen nach. Bedauern und Sehnsucht, etwas Entsagungsvolles, ja, sogar Unglückliches mischte sich in ihren Blicken, und in der Luft schien ein nicht ausgestoßener Seufzer zu hängen.
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