Seewölfe - Piraten der Weltmeere 129. Roy Palmer
die ersten hatten den Hügel erreicht und wurden von Negwa in Empfang genommen, sie sprudelten hervor, was Sarego ihnen gesagt hatte, und hörten nicht auf, zu laufen.
Negwa begriff, was sie zu tun hatte.
Der Hamite war bärenstark und wußte den Säbel gut zu führen. Sarego spürte sofort, daß er hier seinen Bezwinger fand, wenn er nicht die Technik des anderen durch seine Gewandtheit ausglich. Noch war der Hamite benommen durch den Sturz vom Dromedar, und die unbändige Wut, die in Sarego war, bewirkte ein weiteres.
Sarego kämpfte wild, trieb die Deckung des Gegners auf, setzte sofort nach und hieb die Säbelklinge in die Schulter des Mannes.
Der Hamite brach zusammen. Sarego dachte an die Toten, die Verletzten, die Gehetzten seines Stammes und hieb noch einmal zu. Dann fuhr er herum, ließ die letzte Frau mit dem stolpernden, stammelnden Kind passieren und lief wieder auf den Kral zu, wo neue Feinde auf ihn warteten.
Er war bereit, es mit allen zusammen aufzunehmen, sich zu schlagen, bis es auch mit ihm zu Ende war. So gelangte er wieder bis an die Hütte, deren Rückwand er mit dem Messer geöffnet hatte, drosch auf zwei Hamiten ein, fällte den einen und trieb den anderen zurück. Sekunden verstrichen, bevor neue Kämpfer der gegnerischen Bande heran waren, Sekunden, die den Frauen und Kindern zwischen den Köcherbäumen genügten, sich den Blicken der Feinde ganz zu entziehen.
Sarego hätte weiterhin wie ein Berserker gekämpft, wenn nicht einer der Hamiten inzwischen seine alte, rostige Muskete nachgeladen hätte. Mit dieser Waffe sprang der Kerl zwischen den Hütten hervor und legte auf Sarego an.
Sarego hatte keinen Pfeil mehr, den er diesem Burschen zwischen die Rippen setzen konnte. Er wollte mit dem Säbel auf ihn zustürmen, aber da drückte der Hamite schon ab.
Grollend brach der Schuß. Weißer Qualm puffte hoch, ein Feuerblitz stach Sarego in die Augen und etwas unsagbar Heißes fraß sich in ihn hinein. Er breitete die Arme aus, schleuderte den Säbel von sich und war nur noch ein willenloses, wehrloses Bündel Mensch, das sich zweimal auf dem Boden überrollte und dann in der Nähe des hastig geschaffenen zweiten Ausganges der Rundhütte liegenblieb.
Nur Mulungu kann dir die Kraft verliehen haben, dies durchzustehen – das dachte Sarego, als er zu sich kam und sich unter Aufbietung aller Kräfte zu der Rundhütte schleppte. Sie hatten sie nicht angezündet, sie hatten wohl diese eine Hütte nicht mehr beachtet, und es gab auch niemanden, der den verletzten Bantumann daran hinderte, durch das ausgefranste Loch in dem Schilfmattengeflecht ins Hütteninnere zu kriechen.
Hier, im völligen Dunkel, fühlte Sarego sich vorerst sicher. Es flirrte und kreiste vor seinen Augen, und er konnte die Übelkeit und die Schmerzen kaum bezwingen, die ihn zu überwältigen drohten.
Aber er kämpfte erfolgreich gegen die Ohnmacht an.
So lag er da und vernahm, wie die Hamiten hin und her liefen und in offenbar großer Eile den Rest ihres Werkes verrichteten. Kein Zweifel, sie hatten die in einer großen Hütte gelagerten Stoßzähne der Elefanten längst entdeckt und waren jetzt dabei, diese auf die Rücken ihrer Dromedare zu hieven.
Das Ziel war erreicht. Die Hamiten würden neben ihren vollgepackten Tieren herlaufen und auf das Reiten verzichten. Der Gewinn, der ihnen irgendwo dort oben in ihrer Heimat winkte, glich alle Entbehrungen mehr als aus.
Sie kannten die Wege an den Niederlassungen der Spanier und Portugiesen vorbei, die sie sicher nach Hause führten. Und sicherlich hatten sie schon den Abnehmer, der sie für diesen Reichtum entlohnen würde – einen oder mehrere mächtige Männer, die den weißen Schatz mit barer Münze bezahlten.
Die Schmerzen waren wie eine Schlange, die um sich beißend durch Saregos Körper kroch. Sie setzte sich in seinem Hals fest, preßte, würgte und wollte ihm den Atem nehmen, den er zum Leben brauchte. Sie wollte ihn um jeden Preis umbringen.
Es dröhnte im Schädel des schwarzen Mannes. Die Kraft, die in seinem Inneren hauste und wütete, drohte seinen Kopf zu zersprengen. Sarego wußte, daß dies unweigerlich das Ende War: Wenn der düstere Vorhang fiel, wenn er noch einmal hinabsank in jene bodenlose Finsternis, dann gab es keine Hoffnung mehr.
Er suchte verzweifelt nach einem Weg, die Schmerzen und den Wundfraß zu unterdrücken. Der Schuß hatte die linke Schulter getroffen. Sarego wußte, daß die Donnerrohre Kugeln ausspuckten, aber ob diese Kugel in seiner Schulter steckte oder nach hinten ausgetreten war, war ihm nicht klar. Er tastete nach seiner Blessur und stellte fest, daß sie ziemlich stark blutete.
Mit dem Blut verließ auch die Kraft seinen Körper.
Sarego sah in die Glut des erlöschenden Hüttenfeuers. Er stöhnte auf, als er daran dachte, was er tun konnte – und dann tat er es doch. Die Schulter leicht vorgezogen, ließ er sich mit verbissener Miene in die glimmenden Reste des Feuers gleiten. Er fühlte Hunderte von Marterwerkzeugen, die Schlange verbiß sich weiter in ihn und ließ ihr ganzes Gift in seine Schulter strömen, aber er wurde nicht besinnungslos.
Während die Glut seine Schulter versengte; lag Sarego da und hörte, wie die Hamiten mit dem erbeuteten Elfenbein abrückten. Ja, sie zogen fort! Sarego glaubte zunächst an einen Trick, der auch die letzten Überlebenden des Massakers aus ihren Schlupfwinkeln locken sollte. Aber dann entsann er sich der Tatsache, daß irgendwann eine spanische Patrouille auftauchen konnte, durch die Schußgeräusche und den Feuerschein angelockt.
Auch die mordenden Banditen mußten dies in ihr Kalkül einbeziehen. Da ihnen weiß Gott nicht daran gelegen war, sich mit den gut bewaffneten und kampferprobten Spaniern herumzuschlagen, die im übrigen das Elfenbein als ihren rechtmäßigen Besitz ansahen, hatten sie es für besser gehalten, rechtzeitig zu verschwinden.
Sarego lag da und dachte an Rache, die gewaltigen Schmerzen konnten dem abgehärteten Naturmenschen den Wunsch nach Vergeltung auch nicht austreiben.
Schritte näherten sich.
Saregos Muskeln spannten sich. Die Schrittgeräusche steuerten auf seine Hütte zu, und er rechnete noch damit, es mit einem Feind aufnehmen zu müssen, der zurückgekehrt war – da vernahm er das Weinen.
Eine Gestalt schlüpfte zu ihm in die Hütte.
„Negwa“, hauchte er.
„Ja, ich bin es, Sarego, und mit mir sind alle jungen Frauen gekommen“, wisperte sie.
„Zurück – zum Hügel …“
„Nicht sprechen. Du bist verwundet.“ Sie kauerte sich neben ihn, und er bewunderte in diesem Moment, mit welcher Überwindung sie in das Dorf der Toten gegangen war. Hier lagen ihre ermordeten Eltern, ihre Verwandten, ihr zukünftiger Schwiegervater und ihre Schwiegermutter – ein grausiges Bild. Und doch, die Sorge um den geliebten Mann war größer gewesen.
„Die anderen“, flüsterte Negwa. „Sie haben sich alle in den Erdlöchern versteckt, die du mir auf der anderen Seite des Hügels gezeigt hattest. Der Feind ist fort, aber selbst wenn er zurückkehren sollte, wird er die Frauen und Kinder dort nie entdecken.“
„Gut“, preßte Sarego hervor. „Die Kugel, Negwa, ich muß wissen, ob sie steckt …“
„Mit Hilfe der anderen Frauen werde ich dir die Eisenkugel aus der Wunde holen, falls sie noch darin ist. Und wir werden dir heilende Blätter auflegen.“
„Jetzt, Negwa.“
„Sarego, du bist zu schwach …“
„Ich verblute, wenn ihr mir nicht helft“, sagte er.
Er erhob sich aus eigener Kraft, stolperte zu der Büffelhaut, die den Eingang verdeckte und zwängte sich ins Freie. Hier brach er in den Knien zusammen, und sofort stürzten die Frauen von allen Seiten heran, um ihn zu stützen.
Saregos Blick ruhte auf den Toten. „Beeilt euch“, flüsterte er. „Wenn ihr mich versorgt habt, will ich den Spuren dieser Bestien folgen. Ich werde sie wiederfinden.“
„Das darfst du nicht“, stieß Negwa entsetzt aus.
„Ich muß. Und keiner widerspricht