Seewölfe - Piraten der Weltmeere 329. John Curtis
hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen.
Die üblichen Schnapphähne, Beutelschneider, Hasardeure und Galgenstricke hockten in der „Bloody Mary“ und soffen Plymsons Fusel.
Das feiste Schlitzohr Plymson war an diesem Tag kaum wiederzuerkennen. Nicht daß er sich verändert hatte, er trug nur wieder eine neue Perücke, weil die letzte mal wieder bei einer handfesten Auseinandersetzung in seiner Kneipe restlos zertrampelt worden war. Einer der Trunkenbolde hatte damit den Boden aufgewischt und das zerzauste Gebilde dann großzügig über den mumifizierten Stör gehängt, der Plymsons Theke zierte und schon so alt war wie die Welt.
Plymson hatte diesmal eine Perücke nach französischer Art auf seinem kahlen Schädel. Die Perücke war grau gepudert mit einigen dunklen Streifen darin und fiel ihm in kleinen Wellen dicht an dicht bis in sein feistes Genick. Von hinten gesehen, verlieh sie ihm etwas Seriöses. Drehte er sich aber um, dann erkannte man in seinem feisten Gesicht die Schlitzohrigkeit der ganzen Welt, den freundlich-geldheischenden Blick und eine gewisse Art von Hinterhältigkeit, die nie aus seinen Zügen verschwand. Jeder hatte durch Plymsons schwach angedeutetes Grinsen unweigerlich das Gefühl, beschissen worden zu sein, auch wenn das nicht immer zutraf.
„Da ist ein rotes Schiff“, sagte der grobe Johann zu Plymson. Der Schankknecht grinste dazu etwas dümmlich. „Es segelt gerade in den Hafen und legt an.“
„Ein rotes Schiff?“ fragte Plymson. Er sah seinen Schankknecht ungläubig an. „Du meinst ein schwarzes. Das ist der Wikinger mit seiner Lausebande.“
„Ein rotes“, beharrte der grobe Johann, der mit dem Schimpansen Arwenack von der „Isabella IX.“ eine gewisse Ähnlichkeit hatte, was zumindest die Haare auf seinem Körper betraf. Vom Gesicht her sah fraglos der Schimpanse besser aus.
Plymson schüttelte den Kopf, warf seinen Schmierlappen, mit dem er die Bier- und Weinlachen vom Tresen zu wischen pflegte, auf die Theke und ging wortlos hinaus. Ihm folgten gleich darauf noch weitere Kerle.
Draußen starrte sich Plymson die Schweinsäuglein aus, und sein dreifach gestaffeltes Wabbelkinn geriet in lebhafte Bewegung.
„Verdammt“, sagte er ächzend, „ein Schiff mit roten Segeln.“
„Hab ich doch gesagt“, maulte der grobe Johann, der sich ebenfalls die Augen ausstarrte.
Plymson beobachtete das Anlegemanöver. Sein Mund war weit aufgerissen, er glaubte an einen bösen Traum, und er spürte, wie es unter seiner neuen Perücke unangenehm zu kribbeln und zu jucken begann.
Da war ein verdammter höllischer Drache auf dem Großsegel zu sehen, ein gewaltiges Biest, das ihn böse anstarrte, und wenn die merkwürdigen Kerle an Bord an dem Segel zerrten, um es aufzutuchen, dann holte dieser Drache jedesmal tief Luft und blies seinen feurigen Atem genau in seine Richtung.
Als Plymson noch ein kleiner fetter und ungezogener Bengel war, da hatte er oft von solchen Drachen gehört, daß sie Feuer spien und kleine Jungs fraßen, die in den Hühnerställen die Eier klauten.
Ja, genauso war ihm der Drache immer geschildert worden, und jetzt sah er ihn als riesige Abbildung auf einem Segel. Und weil er immer die Leute beschissen und betrogen hatte, richtete der Drache jetzt sein Augenmerk genau auf ihn, als wisse er, was mit Plymson los sei. Jetzt krümmte der Drache seinen fürchterlichen Leib zu einem gewaltigen Sprung.
Plymson schloß die Augen. Er war keines Wortes mächtig. Erst als er sie wieder öffnete, war das Höllenvieh verschwunden und hatte sich zum Schlummer unter die Rah gepackt.
Plymsons entsetzter Blick wanderte weiter. Den Namen des Schiffes vermochte er nicht zu lesen, denn der bestand aus einem krakeligen Gewirr völlig unverständlicher rätselhafter Zeichen, die er nie in seinem Leben gesehen hatte.
Yard um Yard tastete er mit seinen Blicken weiter das unheimliche Schiff ab und zuckte immer wieder zusammen. Er bemerkte Gestalten, wie er sie ebenfalls noch nie gesehen hatte. Kerle mit langen schwarzen Zöpfen und Tellerhüten auf dem Schädel. Ja, und – er sah eine Frau. Eine verteufelt hübsche Frau war das, sehr schlank, mandeläugig, fremd, exotisch mit langen schwarzen Haaren. Sie trug Stiefel und unter ihrer Segeltuchjacke eine Bluse, die so rot war wie die Segel an den Rahen.
Die Aufregungen reißen einfach nicht ab, dachte Plymson wie betäubt. Da war der Seewolf mit seiner wilden Horde von Kerlen gewesen, dann der Wikinger mit seiner Satansbrut und dann noch ein Kerl, der genau wie der Seewolf aussah, genauso breit, so groß und stark, der aber blonde Haare hatte. Und jetzt lief dieses Schiff ein! Das war fast zuviel.
Erst jetzt ging dem Schankwirt auf, daß diese exotische Frau auf dem Achterdeck beileibe kein Passagier war. Sie gab Befehle, und die Zopfkerle flitzten nur so, wenn sie etwas in einer Sprache rief, die Plymson nicht verstand. Diese Sprache bestand nur aus Zischen, Gurgeln und Miauen, etwa so wie die Kater maunzten, wenn sie nachts über die Dächer strichen.
Plymson verstand die Welt nicht mehr. Er hatte, weiß Gott, schon viel erlebt, aber in Plymouth artete das immer mehr aus. Wilde, verwegene Kerle, dachte er, die einer Frau aufs Wort gehorchen, so was gibt es doch gar nicht! So ein zierliches Persönchen kann doch keine ausgewachsenen Kerle beliebig hin und her scheuchen!
„Eine Frau“, sagte neben ihm der grobe Johann staunend. „Die kommandiert da!“
„Seh ich selbst“, murmelte Plymson halb erschlagen von dem wunderlichen Anblick. „Scher dich wieder in die Kneipe.“
„Aber ich will doch die Frau sehen. Sie ist schön, was?“
„Ja, sie ist schön, sehr schön“, sagte Plymson ächzend. „Aber sie scheint auch gefährlich zu sein. Sie muß aus einem sehr fernen und fremden Land stammen.“
„Vielleicht aus Frankreich“, sagte der grobe Johann, dessen geistiger Horizont bestenfalls bis über den Kanal reichte.
Dann, nach nochmaliger Aufforderung, er möge sich gefälligst sofort in die Kneipe verziehen, verschwand er, während Plymson noch eine ganze Weile blieb und das Schiff beobachtete, das ihm ein Rätsel nach dem anderen aufgab.
Die Neugierigen säumten fast den ganzen Hafen und starrten wortlos das Schiff an. Hin und wieder murmelten die Leute leise, fast ehrfurchtsvoll, und sie starrten sich die Augen aus, denn nach einer Weile erschien eine weitere Frau flüchtig an Deck und besprach sich mit der Frau in der roten Bluse. Diese junge Frau stammte von der Insel Mocha und hieß Araua. Sie war die Tochter der Schlangenpriesterin Arkana und des Seewolfs, aber das wußte keiner in Plymouth, denn niemand kannte die Hintergründe dieser Geschichte.
Araua war noch sehr jung und wohnte auf der Schlangen-Insel in der Karibischen See. Siri-Tong hatte ihr versprochen, sie mitzunehmen, sobald sie nach England segelte, und das war jetzt geschehen.
Für die Gaffer wirkte Araua ebenfalls fremd und exotisch. Sie staunten über diese aufblühende Schönheit. Doch die Tochter der Schlangenpriesterin verschwand kurz darauf wieder unter Deck.
Plymson wischte sich den Schweiß von der Stirn und merkte nicht, daß seine neue Perücke halb verrutschte und an Backbord sein kahler Schädel blanklag.
Himmel, dachte er, was ist das nur für ein Schiff? Zwei Frauen an Bord, beide von ausgesuchter Schönheit, und eine von ihnen kommandiert eine rauhe und wilde Männerschar! Der Teufel mochte wissen, was ganz Plymouth wohl bald bevorstand. In letzter Zeit hatten sich die Ereignisse ja ständig überschlagen, und jetzt gesellte sich ein neues hinzu.
Heftig schluckend kehrte er in die „Bloody Mary“ zurück, lehnte sich über die Theke und begann in seiner Erinnerung zu kramen und zu grübeln, denn das Schiff ließ ihm keine Ruhe mehr. Es füllte sein ganzes Denken aus, ganz besonders natürlich die Frauen an Bord.
Da war doch mal irgend etwas mit dem Seewolf gewesen, wenn er sich recht erinnerte. Natürlich wurde viel getuschelt, und es wurden auch Märchen erzählt und Legenden verbreitet. Ein Körnchen Wahrheit aber steckte meist darin, und jetzt entsann sich der dicke Kneipenwirt auch an das Getuschel in seiner Kneipe und auch an das, was die ehrbaren Bürger von Plymouth oft gemunkelt hatten.
Der