Seewölfe - Piraten der Weltmeere 592. Fred McMason
auch getan – einfach einen Kerl vor eine Kanone gebunden und sie dann abgefeuert. Wenn ich euch nicht mehr wert bin …“
Edwin Carberry sah in grinsende Gesichter. Ganz besonders der Kutscher grinste wieder einmal sehr infam.
„Ist was?“ fragte Carberry verwirrt.
„Du hast wieder mal was in den falschen Hals gekriegt“, erklärte der Kutscher. „Kanonisieren hat absolut nichts damit zu tun, vor eine Kanone gebunden zu werden. Kanonisation ist eine Heiligsprechung.“
„Hört sich trotzdem gemein an“, beharrte Carberry. „Zu was benutzt man unverständliche Fremdwörter, wenn man das auch einfacher ausdrücken kann?“
„Das tut man sehr oft.“
„Und warum?“ fragte der Profos angriffslustig.
Es sah ganz danach aus, als würden sich die beiden wieder mal in die Haare geraten, aber dann winkte der Kutscher fast entsagungsvoll ab, als die Haarspaltereien begannen.
„Der Klügere gibt nach“, sagte er lässig.
„Wenn der Klügere immer nachgibt“, sagte der Profos mit einem hinterhältigen Grinsen, „dann würden nur noch die Dummen die Welt regieren, oder sehe ich das falsch?“
Der Kutscher wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, aber dann schluckte er sie doch hinunter.
„Damit hast du gar nicht mal so unrecht“, gab er zu.
„Das solltest du allmählich anerkennen.“
„Und ihr hört jetzt mit eurem Streit auf“, sagte der Seewolf. „Sonst lassen wir Plymouth an Backbord und segeln gleich durch nach London.“
Dem Profos hätte er damit wirklich nichts Schlimmeres antun können, denn der war schon ganz wild darauf, endlich wieder mal das alte Schlitzohr Nathaniel Plymson zu sehen. Und nicht nur das, denn schließlich war in der alten Spelunke an der Ecke Millbay Road und St. Mary Street immer etwas los. Ein bißchen Heimweh war natürlich auch dabei.
„Aber nicht doch, Sir“, sagte der Profos bescheiden. „Der Kutscher und ich streiten doch nicht. Wir tauschen nur gegenseitige, Erfahrungen aus, oder stimmt das nicht, mein liebes Kutscherlein?“
Das „liebe Kutscherlein“ nickte augenzwinkernd.
„Natürlich“, versicherte er. „Ein reiner Erfahrungsaustausch, mehr steckt nicht dahinter.“
Die beiden waren wieder ein Herz und eine Seele, wie Hasard lächelnd feststellte. Wenn es bei Carberry um Plymouth ging, dann war er recht schnell zu besänftigen, besonders dann, wenn ihm angedroht wurde, an dem Städtchen vorbeizusegeln.
„Nun gut“, meinte der Seewolf. „Dann bleiben wir also auf dem Kurs. Zwei oder drei Tage können wir in Plymouth verbringen, wenn ihr alle einverstanden seid.“
Sie waren alle einverstanden, ganz besonders der Profos, der sich grinsend die Hände rieb und schon riesig auf das alte und ausgekochte Schlitzohr Plymmie freute.
Aber dann kam doch noch etwas dazwischen.
Die Bewegungen der voraussegelnden Galeone wurden träger. Sie wälzte sich jetzt buchstäblich durch das Meer. Auch die Schaumkronen der hochgehenden Dünung verschwanden nach und nach. Leichter Dunst lag in der Luft, ein Dunst, der scheinbar aus dem Nichts entstand.
„Wir kriegen Nebel“, erklärte Smoky. „Ich rieche das ganz deutlich.“
„Seit wann kann man Nebel riechen?“ fragte Luke Morgan. „Das ist doch nichts weiter als Stuß.“
„Ich kann, das aber“, behauptete der Decksälteste. „Die Luft hat dann einen ganz besonderen Geruch, aber dafür muß man eine feine Nase haben. Wollen wir wetten, daß es bald Nebel gibt?“
„Nein“, sagte Luke, „lieber nicht. Im Wetten hast du immer die Nase vorn, da bleibe ich draußen.“
Schon nach einer knappen Stunde stellte sich heraus, daß Smoky recht hatte. Die Luft war noch dunstiger geworden, und der Wind stellte langsam sein Fauchen ein.
Nach einer weiteren halben Stunde bewegten sich Schebecke und Galeone mit der gleichen Geschwindigkeit, obwohl Hasard etwas mehr Tuch setzen ließ.
„Nebel“, sagte auch Hasard. „Nicht mehr lange, und wir geraten in eine ganz besonders dicke Suppe. Wir werden versuchen, zur Galeone hin aufzuschließen.“
„Noch besser wäre, wir blieben zusammen“, schlug Dan O’Flynn vor. „Sollten wir die Galeone aus den Augen verlieren, kann es vielleicht Schwierigkeiten geben. Allein ist das schwerbeladene Schiff ziemlich hilflos.“
„Das stimmt allerdings“, gab Hasard zu. „Auch hier treiben sich ein paar Schnapphähne herum. Wir werden also aufschließen und bei der ‚Fidelidad‘ längsseits gehen.“
Der Dunst schien jetzt direkt aus dem Wasser zu wachsen. Leichter Wind verwirbelte ihn zu abstrakten Gebilden, die sich an manchen Stellen wie Kreisel drehten.
Old O’Flynn starrte wie gebannt auf diese Nebelfetzen und dachte dabei wieder an Wassergeister, die ruhelos aus der Tiefe nach oben strebten. Er sagte jedoch nichts, denn er sah den grinsenden Blick Edwin Carberrys, der nur auf ein Wort von ihm zu lauern schien.
Ganz unmerklich begann der Wind einzuschlafen. An der Dünung änderte sich jedoch nichts. Sie blieb weiterhin langgezogen und träge.
Die Schebecke segelte der Galeone von achtern auf, schob sich immer näher heran und ging schließlich längsseits. Leinen flogen hinüber und wurden an den Holzpollern belegt.
„Es ist besser, wenn wir zusammenbleiben“, rief Hasard zu Don Juan hinüber. Der hochgewachsene Spanier mit dem kühn geschnittenen Gesicht hatte das Kommando über die Silbergaleone. „In spätestens einer Stunde ist der Nebel so dicht, daß wir die Hand nicht mehr vor den Augen erkennen.“
„Und der Wind läßt uns ebenfalls im Stich!“ rief Don Juan zurück. „Es sieht nach einem längeren Aufenthalt aus.“
„Das befürchte ich auch.“
Hasard blickte zu den Segeln hinauf. Sie wurden zusehends schlaffer, nur ein kleiner Windstoß beulte sie noch aus. Mit den Flögeln war es nicht anders. Die Windbüdel fielen in sich zusammen.
Die ersten Nebelbänke begannen über dem Wasser zu schweben. Sehr schnell wurden sie dichter und kompakter. Manche sahen wie unheimliche schwimmende Inseln aus.
Es dauerte nur noch eine halbe Stunde, dann hingen die Segel wie Leichentücher von den Rahen. Auf der Schebecke trat derselbe Zustand ein. Auch hier war kein Leben mehr in den Segeln.
Auf dem Meer breitete sich eine unnatürliche Stille aus. Kein Wind sang mehr im laufenden oder stehenden Gut, kein Plätschern von Wasser war mehr zu hören. Beide Schiffe liefen keine Fahrt. Die einzigen Geräusche waren das Knarren und Ächzen von Blöcken und Taljen und das leise Aneinanderreihen der Bordwände.
Immer dichter wurde der Nebel, der jetzt in langen dicken Schwaden über das Wasser trieb und es einhüllte, bis die Wasseroberfläche unter einem dunklen Grauschleier verborgen war.
„Dann können wir ja gemeinsam kochen“, schlug der Kutscher vor. „Zeit genug haben wir.“
Der Vorschlag wurde mit Begeisterung aufgenommen, und so gingen die Männer bald darauf ans Werk.
Trotz der Kühle aßen sie an Deck. Inzwischen war der Nebel so dicht geworden, daß man vom Vorschiff aus das Achterdeck nicht mehr erkennen konnte. Die Arwenacks waren zu Scheinen geworden, die in den Konturen immer wieder zerflossen oder sich aufzulösen schienen.
Immer noch ging die Dünung langgezogen, und hin und wieder klatschte es zwischen den Bordwänden, wenn Wasser emporstieg.
Das Essen verlief recht schweigsam. Die meisten hingen ihren Gedanken nach und dachten an England, wo sie lange nicht mehr gewesen waren.
Eine kompakte Nebelwand schob sich heran. Sie sah