Seewölfe - Piraten der Weltmeere 564. Burt Frederick

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 564 - Burt Frederick


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Türke sah ihn überrascht an. „Das hat noch nie jemand zu mir gesagt“, gestand er leise.

      „Dann waren Sie noch nie an Bord eines englischen Schiffes“, sagte Dan O’Flynn.

      „Ehrlich gesagt, nein“, erwiderte Kaymaz. „Obwohl Istanbul eine große Hafenstadt ist, gibt es eben doch manches, was einem von der Welt verborgen bleibt. Aber“, er senkte erneut den Blick, „mit Verlaub, Ihr Schiff ist nicht gerade englischer Bauart. Eine russische Dubas, schätze ich.“

      Hasard und Dan lachten. „Manchmal ist man gezwungen, auf Dinge zurückzugreifen, die eben möglich sind“, antwortete der Seewolf. „Wir haben unser eigenes Schiff verloren. Aber wir sind zufrieden mit dem Ersatz, den wir beschaffen konnten.“ Er klopfte mit der Hand auf die Verschanzung.

      Ismail folgte den beiden Männern auf das Achterdeck, wo Ben Brighton und Don Juan de Alcazar standen und das Geschehen im Hafen beobachteten. Jetzt wandten sie sich dem Besucher zu. Der hochgewachsene Spanier lächelte freundlich. Ben Brightons Miene war verschlossener, wie meist, wenn er es mit Fremden zu tun hatte.

      Die Bemerkung des Türken rief die Erinnerung an Varna in Bulgarien wach. Dort hatten die Arwenacks ihr jetziges Schiff „erworben“. Jene Russen, die ihnen den Liegeplatz streitig gemacht hatten, waren mit ihrer eigenen Unverfrorenheit schlecht beraten gewesen.

      Da die Dubas der Russen wesentlich größer und besser war als die bisherige eigene, hatte sich der Seewolf zu einem Raid entschlossen. Und die „Umtauschaktion“ hatte geklappt. Jetzt verfügten sie über das neue Schiff, das ebenfalls zweimastig und mit sechs Drehbassen armiert war.

      Der Seewolf stellte die Männer einander vor. Erwartungsvoll blickten die Engländer und die Spanier ihren Besucher an. Hasard forderte Kaymaz mit einer Handbewegung auf, zu sprechen.

      „Mein Herr ist Kemal Yildiz, wie schon gesagt“, erklärte der Türke. „Ihnen, als Fremde, wird der Name nicht viel sagen. In unserer Stadt jedoch ist es einer der klangvollsten Namen. Mein Effendi gehört zu den bedeutendsten Kaufleuten Istanbuls. Aber er erfreut sich als politisch verantwortungsbewußter Mann auch der Gunst des Sultans. Ich will meinen Herrn nicht in den Himmel heben, Gentlemen, das würde ihm selbst auch am allerwenigsten gefallen. Aber er ist ohne Übertreibung eine der wichtigsten Persönlichkeiten der Stadt.“

      „Um so mehr ehrt es uns, wenn er mit uns in Verbindung treten möchte“, entgegnete der Seewolf.

      Ismail Kaymaz schüttelte den Kopf und lächelte mild. „Kemal Yildiz läßt Ihnen ausrichten, daß er den Kontakt mit Ihnen aus sehr eigennützigen Motiven sucht.“

      Der Seewolf zog die Brauen hoch. „Das nenne ich Offenheit.“

      „Mein Herr ist bekannt dafür“, erwiderte Kaymaz stolz. „Allerdings hat er sich auf diese Weise auch schon eine Menge Feinde geschaffen. Nicht jeder schätzt es, wenn die Wahrheit ausgesprochen wird. Nun, ich habe den Auftrag, ein Gespräch vorzubereiten. Effendi Yildiz möchte sich gern mit Ihnen treffen, falls Sie bereit sind, über bestimmte Themen zu sprechen.“

      „Welche Themen?“ fragte Hasard knapp.

      „Mein Herr ist sehr interessiert, seine Handelsbeziehungen auszuweiten. Es ist die Neue Welt, die ihn fasziniert. Unser Land ist aus eigener Kraft kaum noch in der Lage, sich neue Handelswege zu erschließen. Das ist es, worüber Effendi Yildiz mit Ihnen reden möchte.“

      Der Seewolf lächelte erneut. „Wir haben als Engländer zwar nicht unbedingt den direkten Zugang zur neuen Welt, aber ich denke, es ist doch ein lohnendes Thema.“

      „Mein Herr wird beglückt sein. Er würde Sie gern auf Ihrem Schiff besuchen.“

      „Nichts dagegen einzuwenden. Wann?“

      „Morgen, am späten Vormittag, wenn es Ihnen recht ist.“

      „Einverstanden“, sagte Hasard. „Richten Sie Ihrem Herrn meine Grüße aus. Ich erwarte ihn morgen hier an Bord, wie vereinbart.“ Er begleitete den Türken zur Pforte im Schanzkleid.

      Die Männer an Bord der Dubas blickten dem Reiter nach, wie er im Gewühl des Hafens verschwand.

      Edwin Carberry trat auf den Seewolf zu. „Keine Falle, Sir? Bist du sicher, daß nicht wieder irgendeine Schweinerei dahintersteckt?“

      Der Seewolf hob die Schultern. „Sicher kann man selten sein. Mir scheint aber, daß wir es mit einem ehrlichen Menschen zu tun hatten.“

      „Ehrliche Menschen können mißbraucht werden. Von irgendwelchen verdammten Schlitzohren.“

      „Kein Widerspruch, Mister Carberry.“ Hasard lächelte. „Sag mal, willst du jetzt unserem Ersten nacheifern?“

      „Als Schwarzseher.“

      „O nein, Sir!“ rief Carberry grollend. „In dieser Stadt braucht man kein Schwarzseher zu sein, um böse Ahnungen zu kriegen. Ich wette, der alte O’Flynn spitzt schon wieder die Ohren. Wenn du dich jetzt nicht verziehst, Sir, wirst du gleich den neuesten Stand der Prophezeiungen hören.“

      Der Seewolf nickte dem Profos zu, indem er zur Verschanzung auf der anderen Seite der Dubas blickte. Old Donegal lehnte dort, in der Tat mit aufmerksam-wachem Gesichtsausdruck.

      „Danke für den Hinweis“, sagte Hasard und erwiderte das Grinsen des Profos.

      Er wandte sich ab und dem Achterdeck zu. Es gehörte keine besondere prophetische Gabe dazu, um in Istanbul mit weiteren Komplikationen zu rechnen. Nach den Geschehnissen der vergangenen Tage konnte man sich an den Fingern zweier Hände ausrechnen, daß in dieser Stadt in absehbarer Zeit kaum jemals Ruhe einkehren würde.

      Was Old Donegal Daniel O’Flynn als Anlaß nahm, seine düstersten Voraussagen vom Stapel zu lassen, beruhte auf Geschehnissen, die niemandem verborgen waren. Es war eine Tatsache, daß der Niedergang des Osmanischen Reiches – von seinen Feinden lange ersehnt – begonnen hatte. Überall in dieser einst glorreichen Stadt konnte ein aufmerksamer Beobachter die Anzeichen sehen.

      Vor 14 Jahren hatten die Osmanen das damalige Konstantinopel nach langer Belagerung erobert und es zum Regierungssitz ihres Reiches gemacht, zum kulturellen Zentrum und zum Wirtschaftszentrum. Aber die Expansionsgelüste der Türken waren letztlich nicht von Erfolg gekrönt gewesen.

      Eine vereinte Gegnerschaft hatte den Machtanspruch der Osmanen im Mittelmeer zum Scheitern verurteilt und dem Türkenreich zugleich den entscheidenden Todesstoß versetzt. Spanier, Venezianer und der Papst hatten 1571 in der Seeschlacht bei Lepanto eine Kriegsflotte eingesetzt, die den Türken eine Niederlage beigebracht hatte, von der sie sich nie wieder erholen sollten.

      Die Folgen, das hatte Hasard inzwischen beobachten können, waren in der einst blühenden Metropole Istanbul deutlich zu erkennen. Zwar bewahrte die Stadt nach außen hin weiter ihren Glanz. Aber die Zeichen des Verfalls waren unübersehbar und sie zeigten sich hinter den Kulissen ebenso deutlich wie am äußeren Erscheinungsbild.

      In der Stadt des Sultans und der Wesire herrschten die Privilegierten als eine geschlossene Gesellschaft, in die ein Außenstehender niemals eindringen konnte. Aber die Macht der Reichen begann zu zerbröckeln. Mit den politischen Schwierigkeiten des Osmanischen Reiches gingen in Istanbul Parteihader und Haremsintrigen einher.

      Was Stimmen in der abendländischen Welt lange vorhergesagt hatten, war nach Hasards Eindruck nicht mehr von der Hand zu weisen: Der Niedergang des Osmanienreiches hatte eingesetzt.

      Der Seewolf kehrte auf das Achterdeck zurück.

      „Was haltet ihr von dieser Verabredung?“ wandte er sich an die Männer. „Auf der Kuhl kursieren schon wieder die schlimmsten Weissagungen.“

      Dan O’Flynn lachte leise. „Ein gefundenes Fressen für den Old Man, wette ich. Nach allem, was schon schiefgegangen ist, dürfte der Verdruß nun ja auch wirklich nicht mehr abreißen.“

      „Ein anständiger Kerl, dieser Kaymaz“, sagte Ben Brighton. „Ich halte deine Entscheidung für richtig, Sir. Außerdem erscheinen mir die Absichten dieses Kemal Yildiz plausibel.“


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