Seewölfe - Piraten der Weltmeere 597. Sean Beaufort

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 597 - Sean Beaufort


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einer Theke und über einer Werkbank im Hintergrund des halbdunklen Raumes befanden sich Musketen, langläufige und kurzläufige Pistolen, ein seltsamer Drehling, zweiläufige Waffen und winzige Kanonen, die wie Spielzeug aussahen.

      Eine Tür klapperte, dann trat der Waffenschmied in den Laden, ein großer, hagerer Mann mit scharfgekerbtem Gesicht, einem Schopf blonder Haare und hellen Augen.

      Er nickte den Fremden zu und sagte in breitem Londoner Dialekt: „Die Gentlemen sind willkommen. Was kann ich für Sie tun?“

      Auch Roger legte seine Pistole auf den Ladentisch und erwiderte: „Master Handicap, so steht es über dem Eingang. Man sagte uns, daß Sie einer der besten Waffenschmiede in der Stadt seien.“

      „Das mag sein. Der schlechteste bin ich nicht“, sagte der Meister sachlich. „Probleme mit den Pistolen? Oder mit dem Treffen?“

      „Nicht wirklich.“

      Roger Brighton erklärte, daß diese beiden Waffen keineswegs schlecht, aber auch nicht sonderlich hervorragend seien. Der Hersteller war unbekannt, und nach langem Gebrauch hatten die Waffen in jedem Teil gelitten.

      Der Waffenschmied prüfte sie sehr gründlich und sagte: „Keine gute englische oder französische Arbeit. Ihr habt recht, es ist fast alles in wenig gutem Zustand. Seid ihr verliebt in diese Schießprügel? Oder sucht ihr etwas wirklich Besseres?“

      „Master Handicap will uns neue Waffen verkaufen und die alten hoch in Zahlung nehmen?“ fragte Roger und zuckte mit den Schultern. „Bisher haben wir immer das getroffen, auf das wir zielten.“

      „Euer Vorteil“, meinte Handicap. „Wie oft haben Sie feuern müssen?“

      „Es hielt sich in Grenzen“, sagte Ben Brighton und grinste breit. „Wie Sie sehen, überlebten wir.“

      „Ich sehe.“

      Hinter dem kleinen Verkaufsraum, in dem viele Reparaturen ausgeführt werden konnten, befanden sich weitere Räume, in denen offenbar die Gehilfen des Waffenherstellers arbeiteten. Gedämpfter Lärm von Feilen, Hämmern und Sägen drang heraus.

      Handicap musterte die beiden hochaufgeschossenen, selbstbewußten Männer und nahm nach einigem Überlegen zwei langläufige Waffen von den Wandgestellen. Er brachte sie ins helle Licht und schwenkte sie hin und her.

      „Wenn ich alles recht überlege“, sagte er mit der Sicherheit des Fachmannes, „dann gibt es wenig Auswahl. Ich empfehle Ihnen diese beiden Feuerröhrchen.“

      Er reichte Ben und Roger je eine Pistole. Zwei fein gearbeitete, sparsam, aber elegant verzierte Läufe, verblüffend dünn, lagen nebeneinander, von einem Metallsteg getrennt. Die Griffe schmiegten sich gut in die Hände, die Hähne hatten genau die Größe, die ein sicheres Handhaben ermöglichte und sich nirgendwo festhaken würde. Je länger die Seewölfe die doppelläufigen Waffen in den Händen hielten, betrachteten, Zielübungen damit veranstalteten, desto genauer sahen sie, daß jede noch so winzige Einzelheit perfekt überlegt und gestaltet war.

      „Nichts Überflüssiges.“ Handicap wies auf verschiedene Teile des Mechanismus. „Ich habe sie selbst eingeschossen. Man kann größere Ladungen verwenden. Das Geschoß wird sauber geführt, der Rückstoß ist vergleichsweise weich. Überaus preiswert, denke ich.“

      „Wieviel?“ fragte Roger.

      Master Handicap nannte einen Preis, der in der Tat dem Wert der Waffen entsprach.

      „Für Pulver und Geschosse kann ich ebenso garantieren. Wenn wir handelseinig werden, repariere ich die alten Einläufer für denselben Preis. Wie wollt ihr es, Gentlemen?“

      „Mit den ausgeleierten Dingen können die Zwillinge üben“, bestimmte Ben und nickte. „Ich bin einverstanden.“

      Sie zahlten zur sichtlichen Verwunderung des Handwerkers mit Einhalbguineas und einigen silbernen Pennystücken.

      Handicap war zufrieden und fragte plötzlich in fast fröhlicher Leutseligkeit: „Die Gentlemen sind womöglich von der Schebecke, die beim Tower vertaut hat?“

      „So ist es“, brummte Roger. „Dorthin können Sie, wenn’s nicht mehr kostet, die alten Piratentöter schicken.“

      Mit sicheren Handgriffen lud Handicap schnell die vier Läufe, ließ sich einige Säckchen voller Bleigeschosse bringen und führte mit Pulverhorn und frischen Steinen den beiden Seewölfen jeden einzelnen Griff vor. Dann übergab er ihnen, den Griff nach vorn, die Waffen.

      „Treffen müßt ihr selbst, Gentlemen. Aber meine Pistolen sind so gut und schnell wie Ihre Manöver. Ich habe zugesehen, wie ihr es dem Essex gezeigt habt.“

      Der Erste Offizier, der an dieser aufsehenerregenden Wettfahrt keinen geringen Anteil gehabt hatte, nickte grimmig.

      „Essex hat die Niederlage nicht im mindesten sportlich genommen. Danach hat er unserem Kapitän ernsthafte Ungelegenheiten bereitet. Aber letzten Endes siegt immer der bessere Kämpfer.“

      Sie lächelten einander höflich an, während die Brüder die Waffen in den Gürtel schoben und einige Handvoll Kugeln in den Taschen verstauten.

      Roger fragte: „Welche Schenke ist zu empfehlen? Wir wollen gut und preiswert essen und den einen oder anderen Humpen Bier trinken?“

      „Gehen Sie in Richtung der London Bridge. Rechts auf einem Platz befindet sich die Schenke ‚The Dragon‘. Sagt dem Wirt, Langdon heißt er, ich hätte Sie geschickt.“

      Die Brüder verbeugten sich nur etwas weniger tief als der Meister der Feuerrohre und verließen den Laden. Ihre Laune hatte sich gebessert, und auf ihrem Weg zu dem bezeichneten Platz störten sie weder Lärm noch Gestank oder rempelnde Einwohner.

      Den Seewölfen war London zwar einigermaßen gut bekannt, aber nach so langer Zeit schien sich die Stadt nicht nur in ihrer Vorstellung drastisch verändert zu haben.

      Das Wahrzeichen der Stadt war, abgesehen von der Mauer, einigen höheren Gebäuden und den vielen Toren, zweifellos die London Bridge. Sie führte von der Stadt in den Vorort Southwark. Der Gezeitenstrom der Themse ließ sich bis zur Höhe dieser einzigen Brücke über den Fluß nutzen. Zahllose Kähne und Fähren fuhren ununterbrochen zwischen den Ufern hin und her und transportierten Menschen und Waren von Ufer zu Ufer.

      Mittlerweile war, unweit des Pools, der Steel Yard oder Stahlhof – der Hanse geschlossen worden. Der Wein mußte jetzt also an anderer Stelle eingekauft werden. Im weiten Gebiet des Hafens allerdings herrschten Verhältnisse, die selbst die abgebrühten Seewölfe noch verblüfften: zahllose heruntergekommene und bettelnde Arbeiter, einige betrunken, Seeleute und Dirnen, Kapitäne und Händler bevölkerten das meist chaotische und überaus schmutzige Gebiet, das nach Teer, Holz und Fisch, fauligem Wasser und Brackwasser, nach fettem Rauch und jeder Art von Abfall roch.

      Weitab vom Pool, mit direktem Blick auf die Brücke, war die Schebecke der Seewölfe in der Nähe des Towers vertäut. Am gegenüberliegenden Themseufer breitete sich ein kümmerlicher Vorort aus. Allein fünf berüchtigte Gefängnisse lagen an den Straßen von Southwark, dessen breiteste Straße nach Newington und weiter nach Osten führte.

      Edwin Carberry und Ferris Tucker wußten inzwischen sehr genau, warum sie an Bord geblieben waren.

      „Wenn ich nicht wüßte, daß die Kerle aus Not und Armut klauen wie die Raben, würde ich sie alle in den Fluß kippen“, brummte der Profos. „Aber arbeiten können sie, Respekt.“

      „Wir müssen wirklich aufpassen, daß sie uns nicht ausplündern“, antwortete der Schiffszimmermann versöhnlich. „He, Francis!“ rief er und winkte dem Mann.

      Francis war der Vormann einer kleinen Gruppe von Zimmerleuten, die Philipp Hasard Killigrew angeheuert und schon zur Hälfte bezahlt hatte. Sie arbeiteten seit zwei Tagen daran, die vielen kleinen Schäden im Holzwerk des Schiffes auszubessern, bis hinunter zur Wasserlinie und auch unter Deck.

      Dort paßten eine Handvoll aus der Crew auf den gemeinsamen Besitz auf. Keiner langweilte sich dabei.


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