Seewölfe - Piraten der Weltmeere 92. Roy Palmer
meisten vom schrecklichen Tod des Kameraden betroffen und schwor seinem Mörder bittere Rache.
„Die Beulenpest soll dieser irische Satan kriegen!“ brüllte er in die Nacht hinaus. „Oh, ich werde ihm zeigen, was es heißt, einen von uns zu massakrieren! Laßt uns erst mal gegenüberstehen, Auge in Auge, dann ramme ich ihm mein Kombüsenmesser in den Leib – so, wie er’s mit Flanagan getan hat!“
Oleg, einer der fünf Wikinger, legte ihm die Hand auf die Schulter. „Cookie, ich wollte dir nur sagen …“
„Ja?“
„Flanagan ging leicht auf die Palme, aber er war kein schlechter Seemann.“
„O nein, das war er nicht.“
„Und ihr hättet auch irgendwann Frieden geschlossen.“
„Und ob wir das getan hätten!“
Sie schwiegen und blickten zu dem Leichnam des Engländers. Sie hatten ihn auf die Kuhlgrätin gebettet, so, als könnten sie ihn doch noch irgendwie verarzten.
„Er kriegt ein ordentliches Begräbnis“, sagte Oleg noch. Dann purrten ihn die Befehle von Thorfin Njal an die Brassen und Schoten, und auch Cookie setzte sich schleunigst in Bewegung. Der schwere Stockanker wurde gelichtet, die Segel gesetzt. Jeder Mann wurde gebraucht.
Auf der „Isabella VIII.“ verließ soeben Philip Hasard Killigrew das Achterkastell. Er hatte den Befehl erteilt, Brian O’Lear mit den Schiffen zu verfolgen, aber er wußte nicht, welchen Ausgang das Unternehmen haben würde.
Severa Guerazi in der Hand der Piraten!
Nur oberflächlich nahm der Seewolf wahr, wie seine Crew über Deck hetzte und die Manöver durchführte. Carberrys barsche Stimme drang wie durch Korkstopfen an seine Ohren.
Er war zutiefst erschüttert. Da war nicht nur die Entführung des Mädchens. Soeben hatte ein weiteres, menschlich tief berührendes Drama seinen Abschluß gefunden.
Nicht nur die Männer auf dem schwarzen Schiff hatten einen Toten zu beklagen. Auch die „Isabella“ führte jetzt einen Leichnam mit. Euzko Guerazi, Severas Vater, war soeben gestorben. Er hatte nicht mehr erfahren, daß seine Tochter von dem verhaßten O’Lear verschleppt worden war.
Gewiß, Hasard und alle anderen an Bord außer Severa hatten gewußt, daß der alte Waljäger früher oder später von der Schwindsucht dahingerafft werden würde. Aber das änderte nichts daran: Der Tod des Basken ging ihnen nahe.
Auf dem Niedergang zum Achterdeck wurde Hasard plötzlich von Dan O’Flynn gestoppt. Dan hielt ihn am Arm fest und stieß hervor: „Verdammt noch mal, Hasard, wenn ich Severa doch bloß begleitet hätte! Wenn ich bei dem Kampf dabeigewesen wäre, ich hätte sie gerettet!“
Hasard drehte sich um und musterte ihn. „Dan, reiß dich zusammen. Dein Posten war im Großmars, du hattest keine Freiwache. Außerdem habe ich dir eben schon gesagt, daß du an dem Verlauf der Dinge nichts geändert hättest.“
„Ich werde wahnsinnig!“ schrie Dan. „Ich halte das nicht aus!“
Hasard packte ihn bei den Schultern. Der junge Mann hatte sich bis über beide Ohren in Severa verliebt – und jetzt dies! Seit der Rückkehr der Männer hatte er sich, die ganze Zeit über wie wild aufgeführt. Jetzt schien er wahrhaftig durchzudrehen.
Hasard schüttelte ihn. „Donegal Daniel O’Flynn! Du bist hier nicht an Bord eines abgetakelten Küstenseglers, verflucht noch mal! Halt die Luft an, und nimm dich zusammen!“
„Ich …“
„Das ist ein Befehl!“ fuhr Hasard ihn an.
„Ja. Ja-wohl.“
„Wir laufen aus, um Severa zurückzuholen, verstanden?“
„Ich – ja, Sir.“
„Hör auf zu stottern, und sprich ganze Sätze“, knurrte Hasard.
„Ich gebe mir Mühe, mich nicht wie ein Narr zu benehmen – Sir.“
„Dein Posten ist im Großmars, hast du das vergessen?“
„Nein, Sir.“
„Dann enter auf, ehe ich mich vergesse, Dan O’Flynn!“
„Aye, aye, Sir.“ Dan besann sich auf seine Selbstbeherrschung und die strenge Borddisziplin. Er wandte sich um, lief zu den Hauptwanten und klomm in den Großmars hinauf.
Hasard trat zu Ben Brighton, seinem Bootsmann und ersten Offizier, der die Manöver vom Achterdeck aus mit kritischem Blick verfolgte. „Wir haben El Asesino, den Mörderwal, besiegt, Ben. Aber jetzt haben wir es mit einem weitaus gefährlicheren Gegner zu tun.“
„Glaubst du, daß wir O’Lear nicht packen können?“
„Ich will nicht mehr Philip Hasard Killigrew heißen, wenn wir das nicht schaffen.“
„Aber das Mädchen …“
„Das ist es ja, Ben“, erwiderte der Seewolf mit verschlossener Miene. „O’Lear hat sie sich als Faustpfand genommen. Und wie ich ihn einschätze, wird er diesen Trumpf brutal ausspielen.“ Er senkte die Stimme. „Ein Teufel wie dieser Ire schreckt vor nichts zurück. Auch nicht davor, eine Frau zu mißhandeln.“
Philip Hasard Killigrew!
Maccallion kauerte auf der Heckgalerie der „Isabella“, als der Seewolf oben auf dem Achterdeck seinen Namen aussprach. Seine Züge waren verkniffen und spiegelten den Haß und die Anspannung, die sein Inneres erfüllten. Doch jetzt verzerrten sie sich noch mehr.
Killigrew!
Schwimmend hatte Maccallion die Galeone erreicht. Er wußte, daß sie das Führungsschiff des Gegners war. Dann hatte er den schwarzhaarigen Mann mit den breiten Schultern auch auf dem Oberdeck erkannt. Soviel ließ das fahle Licht des Mondes gerade noch zu.
Maccallion war am Steuerruder hochgekommen. Wieder hatte ihn keiner beobachtet. Auch für die Männer und die schwarzhaarige Frau drüben auf dem Viermaster war er so gut wie unsichtbar gewesen, denn die Heckpartie der „Isabella“ lag für sie im toten Sichtbereich. Sie hätten schon um die Ecke sehen müssen, um ihn zu entdecken.
Er war katzengewandt auf die Heckgalerie geklettert, das Messer zwischen den Zähnen. Jetzt beschäftigte er sich mit der Tür zur Kapitänskammer. Als er das Messer in den Spalt schob, gelang es ihm, den Riegel zu öffnen. Ganz lautlos ging das nicht vonstatten, aber das Knarren des Schiffsrumpfs, der Blöcke und Rahen, das Plätschern des Wassers und das Rufen der Männer auf Deck überlagerten es völlig.
Maccallion schob die Tür halb auf und schlupfte durch den Spalt. Er stand in der Kammer des Kapitäns.
Killigrew!
Er drückte die Tür wieder hinter sich zu und dachte nach. Er war von der irischen Armee desertiert, weil man ihn wegen Diebstahls zur Rechenschaft hatte ziehen wollen. So war er an Bord von O’Lears Piratenschiff gelangt, hatte den Atlantik überquert und die Karibik kennengelernt, hatte geraubt, geplündert, gemordet und vor den Spaniern bis hierher, zum Archipel kurz vor Feuerland, flüchten müssen.
Aber das hatte nichts an seinen patriotischen Gefühlen geändert. Als irischer Fanatiker war er bei dem Unternehmen an der Dungarvan-Bai dabeigewesen, damals, Ende 1576.
Er hatte diesen Philip Hasard Killigrew seinerzeit nicht gesehen, aber er hatte gehört, wie der Mann unter seinen Landsleuten aufgeräumt und den spanischen Alliierten das Fürchten gelehrt hatte.
Das hatte Maccallion nie vergessen. Und jetzt, hier, auf der anderen Seite der Welt, erfuhr er, wer dieser Seewolf war. Killigrew! Der Verdammungswürdigste aller elenden englischen Bastarde. Höchstens Francis Drake hatte Irland größeren Schaden zugefügt.
Maccallion war jetzt froh, den Mordauftrag angenommen zu haben. Er war dazu ausersehen, Killigrew die Kehle durchzuschneiden. Der Gedanke daran erfüllte ihn mit Genugtuung. Spät, aber nicht zu spät würde er sich für die fast acht