Seewölfe Paket 28. Roy Palmer
Carberry hielt den Araber an der Schulter fest.
„Was ist das hier?“ fragte er drohend. „Eine Kaschemme?“
„Eine Markthalle, Sidi“, versicherte der Kerl treuherzig.
„Wenn das nicht stimmt, kannst du schon jetzt dein letztes Gebet sprechen“, sagte der Profos.
„Ich ehrlich“, sagte der kleine Dicke.
Im dämmrigen Licht der Lampen schritten die Männer durch das Gewölbe und bogen um eine Ecke. Wieder verharrten sie unwillkürlich. Vor ihnen türmten sich Fässer, Kisten und Säcke. In einem schier unüberschaubaren Durcheinander von Waren standen weiße Männer und Araber.
Es duftete nach Pökelfisch und Rosinen, nach Tee und Gewürzen. Einer der Männer – ein vollbärtiger Hüne wandte sich zu ihnen um und blickte den kleinen Dicken fragend an.
Als dieser ihm ein beschwichtigendes Zeichen gab, lächelte der Mann und sagte: „Willkommen in Masquat.“ Er sprach portugiesisch.
Sultan Quabus bin Said war ein großer, gutaussehender Mann um die Mitte der Vierzig, mit glattem Gesicht und durchdringend blickenden dunklen Augen. Wie versteinert war seine Miene an diesem Morgen, als er durch den Park seines Palastes schritt.
Mustafa, sein wichtigster Berater, folgte ihm auf dem Fuß. Entsetzen und Bestürzung herrschten im Haus. Lähmende Furcht hatte die Haremsfrauen, die Eunuchen und Bediensteten gepackt. Keiner vermochte sich das Verbrechen zu erklären, das in der Nacht geschehen war.
Schweigend betraten die beiden Männer das Frauenhaus. Mustafa hatte Sonderrechte – er war außer dem Sultan der einzige Mann, der hier ein- und ausgehen durfte. Quabus bin Saids Vertrauen in den hageren, wendigen Mann war absolut. Vor Jahren hatte er Mustafa das Leben gerettet. Mustafa war ihm dafür ewig dankbar.
Weinen und klagende Laute erfüllten die Haremsgänge. Quabus bin Said schritt durch den Perlschnürenvorhang in eins der Gemächer und blieb vor der Frau stehen, die gekrümmt auf einem Kissenlager hockte. Sie hielt die Hände vors Gesicht gepreßt und schluchzte.
„Zaira“, sagte der Sultan. „Du solltest endlich aufhören. Von deinem Weinen wird Lamia nicht wieder lebendig.“
Zaira, eine vollbusige Brünette, stöhnte verzweifelt auf. Sie war es gewesen, die in der Nacht Lamia gefunden hatte – tot, in einer Blutlache, von mehreren Messerstichen durchbohrt. Zaira gehörte ebenfalls zu den Lieblingsfrauen des Sultans.
Gemeinsam mit Lamia hatte sie in der Nacht ihren Herrn aufsuchen und beglücken sollen. Doch alles war ganz anders gekommen. Schreiend hatte Zaira Alarm geschlagen.
Die Eunuchen hatten den Täter überall gesucht. Vergebens. Er schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Es fehlte jegliche Spur von ihm.
Mit tränenüberströmtem Gesicht sah die Frau zu ihrem Herrn auf.
„Wer hat es getan?“ fragte sie mit bebender Stimme. „Wer kann so grenzenlos grausam und gemein sein?“
„Ich werde den Mörder finden“, erwiderte der Sultan.
„Wir werden ihn stellen“, sagte Mustafa.
Zaira atmete tief durch. „Du hast uns alle verhört, o Herr“, sagte sie. „Aber es kann keiner von uns gewesen sein.“
„Wer sonst?“ fragte der Sultan mit ruhiger Stimme. „Kein Mensch kann diesen Palast betreten, ohne daß er mir gemeldet wird. Sämtliche Ein- und Ausgänge werden Tag und Nacht bewacht.“
„Trotzdem muß sich jemand eingeschlichen haben“, sagte Zaira.
„Wie?“ wollte Mustafa wissen.
Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe nicht die geringste Ahnung.“
„Wir werden Lamia bestatten“, sagte Quabus bin Said. „Dann werde ich nachdenken. Ich werde jeden einzelnen sorgfältig überprüfen. Und der, auf den mein Verdacht fällt, dem gnade Allah.“
Zaira begann wieder zu weinen. „Die arme Lamia! Sie hatte doch keinem etwas getan!“
„Der Mörder will mich treffen“, erklärte der Sultan. „Wer immer es ist, er will sich an mir rächen, mir eins auswischen. Wenn ich ihn gefaßt habe, werde ich ihn aufspießen und vierteilen lassen.“ Mit diesen Worten wandte er sich ab und verließ das Gemach.
An den Räumen, in denen die anderen Frauen den Tod der schönen Lamia beklagten, ging der Sultan nur vorbei. Er begab sich in Lamias Gemach.
Sie lag in der Mitte des Hauptraumes aufgebahrt. Quabus bin Said gab Mustafa einen Wink. Mustafa verschwand wie ein Geist. Quabus bin Said wollte mit der Toten allein sein.
Fast eine halbe Stunde lang hielt der Sultan mit der Toten ein stummes Zwiegespräch. Dann küßte er sie ein letztes Mal. Er verließ den Harem und kehrte in das Hauptgebäude des Palastes zurück. Mustafa durfte ihm nun wieder Gesellschaft leisten. Sie setzten sich und blickten sich schweigend an.
„Ich habe sie wirklich geliebt“, sagte der Sultan schließlich.
„Das weiß ich, o Herr“, erwiderte Mustafa.
„An dem, der sie umgebracht hat, werde ich mich furchtbar rächen.“
„Ich möchte nicht in seiner Haut stecken.“
Quabus bin Said sah seinen engsten Vertrauten voll an. „Hast du keinen Verdacht, wer es gewesen sein könnte?“
„Nein, noch nicht.“
„Eine der Frauen“, sagte der Sultan. „Sie war eifersüchtig auf Lamia.“
„Die Frauen haben zusammengesessen, als es geschah“, erklärte Mustafa. „Und keine von ihnen hat einen Dolch. Wir wissen aber, daß Lamia mit einem Dolch getötet wurde. Der Wundarzt hat sie genau untersucht.“
„Ich traue ihm. Und wenn Zaira es getan hat?“
„Sie hat ebenfalls keinen Dolch und konnte auch aus der Waffenkammer keinen Dolch entwenden“, entgegnete Mustafa. „Wir haben die Waffenkammer kontrolliert. Es fehlt kein einziges Messer.“
„Was ist mit den Eunuchen?“
„Sie schwören, unschuldig zu sein.“
„Wenn ich den Mörder nicht finde, werde ich die Kerle dem peinlichen Verhör unterziehen“, sagte Quabus bin Said. „Und auch das Gesinde.“
„Die Möglichkeit, daß der Täter von außen eingedrungen ist, müssen wir aber auch prüfen, Herr“, sagte Mustafa. „Es ist immerhin denkbar, daß er sich eingeschlichen hat. Vielleicht hat er einen der Wächter bestochen.“
Der Sultan rieb sich nachdenklich das Kinn. „Wir werden es in Erfahrung bringen. In diesem Palast hat es noch nie einen Mord gegeben. Ein Fluch lastet über dem Haus. In Wirklichkeit hat man es auf mich abgesehen. Man will mich vom Thron stürzen, indem man mich verunsichert und mir Angst einzujagen versucht.“
Mustafa sah seinen Herrn entgeistert an. „Aber – das kann ich nicht glauben. Das bildest du dir nur ein, Herr!“
Quabus bin Said schüttelte den Kopf. „Ich ahne, daß sich etwas zusammenbraut. Ein Komplott. Eine Palastrevolution. Aber ich werde meine Gegner vernichten! Ich werde sie eigenhändig in der Luft zerreißen!“ Er sprang auf und schüttelte zornig die Fäuste.
2.
Carberry trat als erster auf den Bärtigen zu.
„Ja, danke“, sagte er. „Wo sind wir hier eigentlich gelandet?“
„In der besten Gegend von Masquat“, erwiderte der andere. Er streckte dem Profos die Hand entgegen. „Ich bin Silvestro Moravia.“
Carberry ergriff die Hand und drückte sie fest. Moravia verzog keine Miene, aber ihm war doch anzusehen, daß er litt.
„Du