Seewölfe - Piraten der Weltmeere 486. Davis J.Harbord

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Kapitän warf ihm nur einen schrägen Blick zu, preßte die Lippen zusammen und starrte wieder zu dem U-Boot.

      Der dicke Mensch watschelte an die Brückenverkleidung, schnippte schnalzend mit Daumen und Zeigefinger und sagte über die Schulter zum Brückenhaus hin: „Ein Glas!“

      Der Rudergänger brachte ein gummiummanteltes Nachtglas.

      Der dicke Mensch hing es schnaufend um den Hals, hob es dann an und stierte hindurch.

      „Ein U-Boot“, sagte er.

      Das war auch mit bloßem Auge zu erkennen. Und daß diese stählerne Zigarre kein Paddelboot oder Tanker war, hätte vermutlich auch ein Würstchenverkäufer gewußt.

      Dem Kapitän lag so eine ähnliche Antwort auf der Zunge, aber er verbiß sie sich. Señor Ortega war politischer Kommissar. Das heißt, er hatte für die richtige Gesinnung der Genossen Seeleute an Bord des Frachters „Libertad“ zu sorgen und darüber zu wachen, daß die Genossen Seeleute Parteikurs steuerten. Wer den nicht steuerte, galt als ein „Verräter des Volkes“. Aber steuern ließ sich zur Zeit schon gar nichts mehr – ob mit oder ohne den Genossen Kommissar.

      Der dicke Mensch ließ das Glas sinken und räusperte sich. Der Kapitän drehte sich zu ihm um.

      Der dicke Mensch sagte: „Na und? Na und? Wollen Sie nichts unternehmen, Genosse Kapitän?“

      „Ich warte ab, was das U-Boot unternimmt“, erwiderte der Kapitän gepreßt. „Denn ich kann überhaupt nichts tun, gar nichts.“

      „Und warum nicht?“

      Jetzt klang satter Hohn in der Stimme des Kapitäns. „Weil die ‚Libertad‘ manövrierunfähig ist, verehrter Genosse Kommissar, deswegen. Die Maschinen sowie die Ruder- und Kompaßanlage sind ausgefallen.“

      Wie zur Bestätigung erschien der Leitende Ingenieur auf der Brücke, käseweiß, Schweißperlen auf der Stirn. Er zuckte hilflos mit den Schultern.

      „So was hab’ ich noch nicht erlebt“, sagte er verstört. „Alles ist in Ordnung, und trotzdem ist nichts in Ordnung. Alles ist ausgefallen – alles, total, nichts läuft mehr, gar nichts. Verrückt, einfach verrückt, als sei alles gelähmt …“

      „Papperlapapp!“ unterbrach ihn der dicke Mensch ärgerlich. „Gelähmt! Wollen Sie uns verulken, Genosse? In fünf Minuten sind die Schäden behoben, verstanden?“

      „Wir haben keine Schäden“, sagte der Leitende verbissen.

      „Unfug!“ Der dicke Mensch schnaufte. „Wollen Sie die Gesetze der Logik auf den Kopf stellen, Genosse? Wenn das Schiff keine Schäden hat, müßte alles funktionieren. Aber da nichts funktioniert, wie Sie behaupten, hat es Schäden, also muß repariert werden. Wenn Sie dazu nicht fähig sind, müssen Sie abgelöst werden. Das Amt für Tourismus sucht dringend Schuhputzer für die Hotels, in denen wir die kapitalistischen Urlauber unterbringen. Können Sie wenigstens Schuhe putzen, Genosse Ingenieur?“

      Bei dem Leitenden war jener Punkt erreicht, bei dem man – wenn man noch ein Kreuz hat und keinen Buckelrücken – auf die Parteidisziplin im allgemeinen und die Person des Genossen Kommissar im besonderen pfeift.

      Und darum sagte er voller Gift und Galle: „Ich kann Schuhe putzen, Genosse Kommissar! Ich kann sogar noch mehr – zum Beispiel Ihnen mit meinem rechten geputzten Schuh in den fetten Hintern treten! Oder bevorzugen Sie einen Tritt mit links?“

      „Aha!“ Der dicke Mensch zückte ein Notizbuch, schlug es auf, fummelte nach einem Bleistift, beleckte ihn und begann zu schreiben. Was er schrieb, murmelte er vor sich hin.

      „Dreiundzwanzigster Mai zwotausendundneun – Uhrzeit“, Blick auf die Armbanduhr, „dreizehn Uhr siebenzehn – der Genosse Ingenieur – Name Pablo Gonzales – geboren – wann geboren?“

      „Steht in meinen Akten!“ fauchte der Leitende. „Falls Sie aber nicht lesen können: geboren am einundzwanzigsten Juni neunzehnhundertsiebenundsiebzig.“

      Der dicke Mensch wiederholte das Geburtsdatum und fügte hinzu: „Ort der Geburt?“

      „Havanna!“ Der Leitende verdrehte die Augen zum Himmel.

      „Havanna“, wiederholte der dicke Mensch, leckte wieder am Bleistift und fuhr fort: „Hat an Bord des kubanischen Frachters ‚Libertad‘ gegen die Gesetze der Parteidisziplin verstoßen, indem er den Genossen Kommissar mit Fußtritten bedrohte, nachdem dieser im Beisein des Kapitäns den Genossen Ingenieur für unfähig erklärt hatte, plötzlich aufgetretene Schäden in der gesamten Maschinenanlage der ‚Libertad‘ beheben zu können.“

      „Mahlzeit“, sagte der Leitende.

      Der Kapitän sagte gar nichts. Er trommelte nervös mit den Fingern der rechten Hand einen Marsch auf der Brückenverkleidung und beobachtete mit zusammengekniffenen Augen das U-Boot.

      Es hatte seine Position nicht verändert. Noch immer wandte es dem Frachter den scharfen Bug zu, also die schmale Silhouette, die von vorn wie ein kleiner Leuchtturm auf gewölbtem Buckel wirkte. Aber Leuchttürme hatten etwas Beruhigendes.

      „Kapitän!“ sagte der dicke Mensch. „Sie werden bezeugen, daß der Genosse Ingenieur gegen die Parteidisziplin in grober Weise verstoßen hat, verstanden?“

      „Ich habe zur Zeit andere Sorgen, verdammt!“ sagte der Kapitän ruppig. „Wir liegen hier manövrierunfähig wie auf einem Präsentierteller. Wissen Sie, was das heißt?“

      „Na?“

      „Das heißt, daß ein Torpedotreffer genügt, die ‚Libertad‘ samt Besatzung ins ewige Paradies aller Werktätigen zu blasen! Und wenn ich sage: ‚Libertad‘ samt Besatzung, dann sind Sie auch dabei, verehrter Genosse Kommissar, trotz niedriger Parteinummer oder Ihrer persönlichen Beziehungen zum Genossen Oberpolit-Kommissar. Den Torpedo kümmert das nämlich einen Dreck! Den kümmert es auch nicht, daß der Genosse Ingenieur Ihrer Meinung nach gegen die Parteidisziplin verstoßen hat. Kapiert?“

      „Ihr Ton mißfällt mir, Kapitän!“ Der dicke Mensch schnaufte. „Stellen Sie sofort die Identität dieses Dingsda – äh – U-Boots fest!“

      „Haben Sie jetzt die Schiffsführung übernommen?“ fragte der Kapitän höhnisch.

      Das war der wunde Punkt in dieser leidigen Anordnung, die vor drei Jahren von der „Nationalen Generalversammlung des Volkes“ auf Betreiben irgendwelcher Vollidioten erlassen worden war. Sie besagte, daß ab dem 1. Mai 2006 an Bord aller kubanischen Schiffe ein politischer Kommissar mitzufahren habe, der für die politische Erziehung, Überwachung und Betreuung der werktätigen Genossen Seeleute verantwortlich und zuständig sei. Nur sagte diese Anordnung nicht – oder drückte sich verklausuliert darum herum –, ob und wieweit der politische Kommissar berechtigt war, in die Belange der Schiffsführung hineinzureden.

      Nun wußte der Kapitän, daß der Genosse Kommissar zwar mehrfach ausgezeichneter und dekorierter „Held der Arbeit“ auf dem Sektor des Zuckerrohranbaus war, aber von der Seefahrt verstand er soviel wie die Kuh vom Tangotanzen. Und da schieden sich eben die Geister. Früher hatte man gesagt, ein Schuster solle bei seinem Leisten bleiben, aber das war eben früher gewesen. Heute war es anders. Heute wurden diese Zuckerrohrheinis Polit-Kommissare, fuhren zur See, schnüffelten durchs Schiff und prüften die Gesinnung der werktätigen Genossen Seeleute. Eine Welt war das!

      Das Schnaufen des dicken Menschen wurde heftiger.

      „Sie müssen die Identität dieses Dingsda feststellen, damit unsere Regierung der Regierung dieses Dingsda eine Protestnote übermitteln kann“, erklärte der Dicke zornbebend.

      „Du meine Güte!“ Der Kapitän knirschte mit den Zähnen. „Können Sie mir mal verraten, gegen was unsere Regierung protestieren soll? Bis jetzt liegt dort nur ein unbekanntes U-Boot. Ist das eine feindliche Handlung? Nein! Es kann da liegen, solange es will.“

      „Wir liegen auch“, sagte der dicke Mensch, „aber wir wollen nicht liegen, sondern weiterfahren, weil wir einen


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