Seewölfe - Piraten der Weltmeere 171. Burt Frederick
Weiblichkeit ihrer schlanken Statur in nichts zu schmälern vermochten. Ihre ungewöhnlich zarte Gesichtshaut hatte für Europäer den Hauch des Exotischen.
Siri-Tong war als Tochter einer Chinesin und eines Portugiesen in Shanghai geboren worden. Mit der Crew der „Isabella“ verband sie eine gute Kameradschaft, die sich noch mehr gefestigt hatte, seit sie die Schlangen-Insel verlassen hatten.
„Hasard“, entgegnete Siri-Tong leise und eindringlich. „Eine Frau sieht gewisse Dinge immer etwas anders als ein Mann. Das liegt sicher daran, daß eine Frau manchmal ihre Gefühle nicht ausschalten kann, obwohl sie genau weiß, daß kühle und berechnende Vernunft am Platz wäre. Und dieses Gefühl sagt mir nun einmal …“
„Weißt du was?“ Der Seewolf grinste.
„Warum unterbrichst du mich?“ Ein winziges Funkeln von Zorn entstand in der Tiefe ihrer Pupillen.
„Weil ich auch ein Gefühl habe.“
„So? Und das wäre?“
„Nun, es besagt, daß Frauen sich offenbar allzu gern hinter angeblichen Gefühlen verschanzen. Weil sie damit verbergen wollen, daß sie zu logischen Überlegungen nicht fähig sind.“
Siri-Tong schlug mit ihrer Faust auf den Tisch.
„Das, mein Lieber, macht mir eines klar: Du verstehst von der Seele einer Frau nichts, überhaupt nichts. Du hast dich jahrelang an Bord dieses Schiffes verschanzt, hast dich mit diesen Rauhbeinen von Kerlen umgeben und denkst, das sei alles, was es auf der Welt gäbe. Daß du dabei weltfremd geworden bist, hast du anscheinend nicht gemerkt!“ Siri-Tongs Wangen röteten sich leicht, während sie ihm die Worte hitzig entgegenschleuderte.
Hasard konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, obwohl er wußte, daß sie dadurch nur noch mehr aufbrauste.
„Immer wenn du wütend bist“, sagte er schmunzelnd, „würde ich dich am liebsten sofort in die Arme nehmen.“
„Oh, wage das nur nicht, Sir Hasard! Du würdest dein blaues Wunder erleben, und es würde dir nicht das Geringste nutzen, daß dich die königliche Lissy von England zum Ritter geschlagen hat. Ich würde mich ganz und gar nicht genieren, einen englischen ‚Sir‘ zu ohrfeigen.“
„Nur zu. Du vergißt, daß englische ‚Sirs‘ die wahren Genießer sind. Eine Ohrfeige von deiner Hand wäre Anlaß genug, in höchste Verzückung zu geraten.“
Siri-Tong blies die Luft durch die Nase und blickte flehentlich zur Dekke.
„Es ist zum Verrücktwerden“, sagte sie zähneknirschend, „mit dir kann man nie richtig streiten.“
„Also gut. Dann sag mir jetzt endlich, was dein Gefühl ist.“
„Endlich?“ rief sie empört. „Wer hat mich denn unterbrochen? Wer hat denn vom Thema abgelenkt? Und ausgerechnet du bezichtigst mich jetzt der Schwafelei?“
„O Himmel“, seufzte Hasard, „ich schwöre dir, ich werde dich nie wieder unterbrechen.“
„Hoffentlich.“ Siri-Tong nickte grimmig. „Was ich sagen wollte, ist, daß ich mir wünschte, besser, viel viel besser als bisher, mit deinen Söhnchen zurechtzukommen.“
„Unsinn. Ich weiß nicht, wie oft ich es dir schon gesagt habe: Philip und Hasard haben dich sehr gern. Das ist so gewiß wie das Amen in der Kirche. Aber wenn du behauptest, ich verstünde das Seelenleben einer Frau nicht, so könnte ich ebenso gut behaupten, du kannst dich nicht in die Seele zweier Lausebengel hineinversetzen. Wenn du das könntest, würdest du nämlich begreifen, daß sie dich sogar bereits bewundern.“
Siri-Tong nahm einen langen Schluck und stellte den Becher mit einem Ruck auf den Tisch.
„Du willst mich nur besänftigen. Aber …“
Aufgeregte Stimmen, die plötzlich von Deck zu hören waren, unterbrachen die Rote Korsarin.
Doch ebenso wie Hasard wußte sie, daß es nicht ihr letzter Wortwechsel sein würde, der mit den Zwillingen zu tun hatte.
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