Seewölfe - Piraten der Weltmeere 465. Fred McMason
und Disziplin sind es, was ich von Ihnen erwarte. Sie haben eine schwere Verantwortung Seiner Allerkatholischsten Majestät gegenüber.“
Der Teniente stand so stramm, als wäre er zu Stein erstarrt. Sein Blick durchdrang heroisch die Wände der Amtsstube und verlor sich in endloser Ferne.
Dann knallte er die Hacken zusammen und salutierte.
„Don Lope – Sie waren mir immer ein Vorbild“, schnarrte er.
Das schien Don Lope zu gefallen. Vorbilder waren immer gut, besonders dann, wenn es sich dabei um die eigene Person handelte.
„Schön, schön“, winkte er leutselig ab. „Ich verlasse mich auf Sie. Sie werden noch heute abend auslaufen. Bis später dann.“
Der frischbackene Kommandant war kaum draußen, da kriegte er schon einen fiebrigen Blick. Sein heimliches Ziel hatte er erreicht, er war Kommandant der Karavelle geworden.
Sein nächster Gedanke galt der Mannschaft und den fehlenden zehn Kerlen. Aus der Mannschaft würde er Helden formen, und die zehn Kerle, die noch zu „besorgen“ waren, die ahnten nicht, daß sie eines Tages Ruhm an Spaniens Flagge heften würden. Er, Don José de Zavallo, würde den sehr ehrenwerten Don Lope nicht enttäuschen.
Als er zum Hafen stolzierte, fühlte er, daß er immer breiter und größer wurde. Er wuchs über sich selbst hinaus, und er wölbte auch gleich die noch etwas magere Brust vor, weil diese Pose einem Kommandanten ganz besonders gut stand. Gleichzeitig wurde auch sein Blick kälter und schärfer, und seine Mundwinkel verzogen sich etwas verächtlich.
Wer war er denn! Kommandant und Capitán einer requirierten, ehemals deutschen Karavelle, beladen mit der Verantwortung, Wachdienst zu versehen und Aufklärung zu fahren.
Als er an Bord war, trafen auch die ersten Seesoldaten und Artilleristen von den anderen Schiffen ein. Etwas später erschien Vicente Torres, ein wettergegerbter, salzwassergetränkter und stämmiger Mann, der dem Kommandant freundlich zunickte.
„Ah, Teniente de Zavallo“, sagte er. „Hat man Sie auch auf die Karavelle abkommandiert?“
De Zavallo musterte den alten Salzwasserfisch mit einem vernichtenden Blick aus harten Augen.
„Was heißt hier Teniente?“ fuhr er Torres an. „Ich bin Kommandant dieses Schiffes, und ich verbitte mir solche respektlosen Fragen!“
Ach, du lieber Himmel, dachte Torres, dieser schnöselige Hohlkopf ist Kommandant dieses Schiffes. Das „entzückte“ ihn aber! Und diesem eingebildeten Stiesel war er jetzt unterstellt. Das konnte ja heiter werden.
„Ich bin Ihnen als Erster Offizier zugeteilt“, sagte er knapp.
„Hoffentlich beherrschen Sie Ihr Metier“, sagte de Zavallo von oben herab.
Dem ehemaligen Bootsmann klappte fast der Unterkiefer weg. Er war sein Leben lang zur See gefahren, und das schon zu einer Zeit, als dieser halbadelige Floh noch in den Windeln gegen den Strom schwamm.
„Ich habe mehr als dreißig Jahre Berufserfahrung, wenn ich das bemerken darf.“
„Ich habe Sie nicht danach gefragt. Rufen Sie den Profos!“
Zähneknirschend holte Torres den Profos, einen drahtigen Kerl mit tückischen Augen.
„Klären Sie die Kerle darüber auf, wer ich bin“, sagte Don José zu Torres. Dann wandte er sich an den Profos.
„Name?“ fragte er scharf.
„Virgil Savello, Señor Capitán.“
Der verschlagen blickende Profos hatte sofort gespitzt, was hier lief und fuhr sich gleich auf die richtige Spur ein.
„Wir laufen heute abend aus!“ blaffte de Zavallo. „In spätestens drei bis vier Stunden will ich zehn zusätzliche Kerle an Bord haben. Holen Sie sich die, wo Sie sie finden. Und kehren Sie mir ja nicht ohne die Halunken zurück, verstanden?“
Der Profos salutierte.
„Wo soll ich die Männer hernehmen, Señor Capitán?“
„Falls Sie keine Herumlungerer am Hafen finden, versuchen Sie es mal in den Spelunken. Verschwinden Sie jetzt, Mann, und nehmen Sie einen Steckenknecht zur Unterstützung mit.“
Mit dem neuen Alten ist nicht gut Salzwasser schlürfen, dachte der Profos. Das ist ein totaler Militär, ein Kerl, der rigoros über Leichen geht.
In aller Eile verschwand er mit seinem Steckenkecht von Bord. Er ahnte jetzt schon, daß er auf dieser Reise seine Neunschwänzige zerfetzen würde, denn der Ex-Teniente ließ nichts durchgehen. Der brüllte jetzt schon wieder mit dem Ersten Offizier herum und hatte an allem etwas zu meckern.
Im Hafen lungerte das übliche Gesindel herum, wie es überall auf der Welt zu finden war. Strolche, Diebe, Beutelschneider, Beachcomber und Glücksritter gaben sich da ein Stelldichein, oder sie bevölkerten schon am Mittag die Spelunken.
Der Profos Virgil Savello musterte erst einmal unauffällig die umherstrolchenden Galgenvögel.
„Zehn Kerle müssen wir bringen“, sagte er zu seinem Steckenknecht Pedro. „In drei bis vier Stunden müssen wir die eingesammelt haben, sonst kriegen wir Ärger mit dem Capitán.“
Pedro, ebenfalls ein bulliger untersetzter Kerl mit einem tagealten Bart, nickte beipflichtend. Er und der Profos kannten sich schon seit langem und waren zusammen auf einer spanischen Kriegsgaleone gefahren.
„Die kriegen wir“, versicherte er. „Wir haben ja freie Hand und brauchen nicht zimperlich zu sein.“
Nein, dachte der Profos grinsend, das brauchten sie nicht. Sie würden sich das schnappen, was ihnen in die Hände fiel. Später ging man mit den Kerlen auch nicht zimperlich um, und eiserne Manneszucht hatte noch keinem geschadet.
„Da drüben bettelt einer“, sagte Pedro, „sehen wir uns den Kerl mal näher an.“
Es war jedoch kein Bettler, wie sich herausstellte. Der Mann war zerlumpt, unrasiert, aber kräftig und gesund. Er trug eine zerfetzte Hose und ein schmieriges Hemd. Ein breiter Lederriemen lief über seine Schulter und hielt eine Tasche fest, die an der linken Hüfte hing.
Der spanische Profos setzte ein harmloses Grinsen auf, damit der Kerl nicht gleich abgeschreckt wurde.
„Seid gegrüßt, ihr ehrenwerten Señores“, sagte der Zerlumpte. „Immer zu euren Diensten. Möchten die Señores ein Bild von ihren eigenen Gesichtern?“
„Ein Bild?“ fragte Pedro verblüfft. „Was für ein Bild?“
„Ich bin Silhouettenschneider“, erklärte der Mann eifrig, „und ich bin auch ganz billig. Alles was ich dazu brauche, habe ich hier in der Tasche.“
Übereifrig zog er schwarz gefärbtes Papier hervor und eine ziemlich rostige Schere.
„Ein Profilbild für die ehrenwerten Señores?“ fragte er nochmals.
Die beiden Männer sahen sich in stillem Einvernehmen an.
„Du scheinst eher ein Grimassen- oder Beutelschneider zu sein“, sagte der Profos freundlich. „Aber so ein Bild wäre nicht schlecht. Unsere Kameraden an Bord würden sicher auch gern eins haben. Hör zu“, sagte er dann zu dem Mann, „wir verschaffen dir ein paar Aufträge, wenn wir jeder ein Bild umsonst kriegen. Einverstanden?“
Der Kerl, der seit zwei Tagen kaum noch etwas gegessen hatte, war überglücklich.
„Wie viele Aufträge verschafft ihr mir denn?“ fragte er gierig.
„So zehn bis fünfzehn etwa werden es schon werden. Aber ich kann nicht die ganze Mannschaft vom Schiff holen. Geh mit, und wenn du deine Arbeit gut gemacht hast, gibt’s auch noch einen Rum extra.“
Das klingt ja lieblich nach Schalmeien, dachte der Silhouettenschneider erfreut. Bedenken hatte er nicht die geringsten, die hatte der Profos schon in dem Augenblick zerstreut, als er auf zwei kostenlosen Scherenschnitten