Seewölfe - Piraten der Weltmeere 22. John Roscoe Craig
Mac Dundee merkte, daß er unverletzt geblieben war, sprang er wieder auf. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen. An der Stelle, wo eben noch eins der Geschütze gestanden hatte, klaffte ein breites Loch im Schanzkleid. Das Brooktau, das die Lafette halten sollte, hing nur noch in einer Verankerung. Mac Dundee wandte den Kopf.
Das Geschütz war mit der Lafette über die gesamte Breite des Decks gerutscht und hatte eine blutige Spur der Zerstörung hinterlassen. Zwei Männer lagen reglos da, ein weiterer kroch davon und schrie seinen Schmerz hinaus. Ihm fehlten beide Füße.
Das schwere Geschütz war gegen das Steuerbordschanzkleid geprallt und abermals umgekippt. Ein paar Männer waren bereits dabei, die Lafette zu vertäuen, damit sie nicht zusammen mit der Kanone zurück zur Backbordseite schlitterte und noch einmal mit Urgewalt zwischen die Männer raste.
„Schießt, ihr Hundesöhne!“ brüllte Mac Dundee die Männer an den anderen beiden Geschützen an. Er sah, daß sich einer der Männer immer noch um den kleinen Italiener kümmerte, dessen rechter Fuß von der Lafette der ersten Kanone zerquetscht worden war. Mac Dundees Schläfenadern schwollen an. „Verdammt, Bowie!“ brüllte er. „Ich habe befohlen, den Kerl über Bord zu schmeißen! Er ist uns hier nur im Weg!“
Mac Dundee spürte ein unangenehmes Kribbeln im Nacken, als er in die eisgrauen Augen des Engländers blickte, der seinen Befehl ignorierte.
„Du hast hier einen Dreck zu befehlen, Einohr“, sagte Jeff Bowie kalt. „Wenn hier einer im Weg steht, dann bist du es. Spring doch selbst über Bord.“
Mac Dundee sah rot. Er hieb mit der Axt zu. Der Engländer tauchte im letzten Augenblick unter der scharfen Schneide weg. Mit einem dumpfen Laut schnitt die Axt in das Schanzkleid, daß Mac Dundee Mühe hatte, sie wieder herauszureißen.
Jeff Bowie hatte den kleinen Italiener aufgehoben und trug ihn unter die Back. Mac Dundee wollte hinter ihm her, als die nächste Kugel der Spanier in die Takelage schlug. Ein Blick nach oben sagte Mac Dundee, daß nun alles verloren war.
Die Vormarsstenge neigte sich nach Steuerbord. Der Vormars war von der Kugel völlig zerschmettert worden. Die Männer flüchteten von der Back, um den herabstürzenden Spieren zu entgehen.
Zu allem Unglück brach auch noch das Großmarsstag. Das Großmarssegel riß völlig entzwei. Die Rahe krachte auf den Großmars und rasierte ihn weg, bevor sie mit ohrenbetäubendem Krachen wie ein Speer ins Deck schlug und sich durch die Gräting bohrte.
Der ersten Geschützmannschaft gelang es, trotz des Zustandes in der Kuhl einen weiteren Schuß abzufeuern, der die zweite spanische Galeone in Höhe der Wasserlinie traf.
Mac Dundee hatte von dem Treffer nichts gesehen.
Er trieb die Männer an, das Durcheinander von Takelwerk und Spieren über Bord zu befördern. Er selbst hieb wieder mit seiner Axt auf das Wirrwarr ein und schickte die Männer an die Großmarsrah, die wie ein überdimensionaler Zahnstocher aus der Mitteldeckgräting ragte. Mit vereinten Kräften gelang es ihnen, die Spiere nach Steuerbord zu schaffen und über das Schanzkleid zu wuchten.
Mac Dundee erschrak, als er über die Reling blickte. Die Vormarsstenge hing mit ihrem Takelwerk über Bord, und das gesplitterte Ende konnte sich jeden Moment in den Schiffsrumpf bohren. Mit der immer noch an den Fallen und Brassen hängenden Großrah wirkte die Vorstenge wie ein Treibanker. Einen Moment lang überlegte Mac Dundee, ob sie dadurch einem Auflaufen auf die Klippen entrinnen konnten.
Er starrte zu den Klippen hinüber. Er kniff seine Augen ein paarmal zusammen, aber er hatte sich nicht getäuscht.
Hinter den Klippen segelte ein weiteres Schiff heran!
Für Mac Dundee stand außer Frage, daß es sich um einen Spanier handelte, denn andere Schiffe gab es nicht in diesen Gewässern. Sie waren verloren. Sie würden diesem Schiff genau vor die Kanonen treiben, und eine einzige Geschützsalve würde genügen, ihr Schiff in tausend Teile zu pusten.
„Schmeißt das Zeug über Bord!“ schrie er. Er wußte, was sie jetzt tun mußten. Es gab keine andere Möglichkeit mehr. Noch waren das Focksegel, die Blinde und das Lateinersegel am Besan gesetzt und unbeschädigt. Wenn es ihnen gelang, die Spieren an Steuerbord loszuwerden, konnten sie das Schiff drehen und vor dem Wind in die Bucht einlaufen.
Mac Dundee war sich klar darüber, daß sie die Bucht von Puerte de Caldera mit ihrem eigenen Schiff nie wieder würden verlassen können. Aber warum sollte es ihnen nicht gelingen, eine der spanischen Galeonen zu entern? Die Spanier hatten nur von dem Fehler des Araber profitiert, sonst hätten sie ihre wenigen Geschütze nicht so zielsicher ins Treffen führen können.
Als Mac Dundee den Aufgang zum Quarterdeck erreichte, spürte er, wie ein Ruck durch das Schiff ging. Er blickte nicht zurück. Er wußte, daß die Männer es geschafft hatten, die Spieren über Bord zu werfen und das Schiff von der Umklammerung durch das Takelwerk zu befreien.
„Ruder hart Backbord!“ brüllte Mac Dundee, kaum daß er das Quarterdeck betreten hätte. Mit Genugtuung registrierte er, daß der Rudergänger seinen Befehl ohne Zögern ausführte.
Das Schiff neigte sich leicht nach Steuerbord, als sich der auffrischende Wind in den Segeln fing und sie zu füllen begann.
Mac Dundee hatte nur Augen für den Araber, dessen rechte Hand hinunter zur Hüfte tastete, wo sein Krummschwert, mit dem er so fürchterliche Wunden schlagen konnte, in einer edelsteinbesetzten Scheide steckte.
Die Augen Ali Paschas waren aufgerissen und rollten. Kleine Äderchen waren geplatzt und färbten das Weiße rot.
Mac Dundee sah die Angst in diesen roten Augen und hätte jubeln können. Er wußte, daß er den Araber in diesem Augenblick hätte töten können, ohne daß einer der Mannschaft einen Vorwurf gewagt hätte, doch er wollte seine Rache auskosten.
„Ich übernehme das Schiff, Araber“, sagte er kalt. „Dir haben wir diesen Mist zu verdanken, weil du im entscheidenden Moment zu feige warst, alles zu riskieren. Jetzt sitzen wir in der Falle, und wir können ihr nur entrinnen, wenn wir alle wie die Teufel kämpfen. Einen Feigling können wir dabei nicht gebrauchen!“ Er hatte seine Stimme erhoben und blickte die beiden Vertrauten Ali Paschas an, die wortlos ein paar Schritte zurücktraten. „Bindet ihn an den Besan“, fuhr Mac Dundee fort. „Wenn wir sterben müssen, dann soll der Araber zusehen. Bevor es mit uns vorbei ist, werde ich ihm persönlich den Kopf abschlagen.“
Mac Dundee blickte in die Runde. In vielen Gesichtern sah er Zustimmung, andere wirkten teilnahmslos. Drei Männer führten Mac Dundees Befehl aus und banden Ali Pascha am Mast fest.
Mac Dundee hatte den abgesetzten Piratenkapitän absichtlich nicht bei seinem Namen genannt, den sich der größenwahnsinnige Araber selbst gegeben hatte. Die Männer an Bord sollten erkennen, daß der Araber ein Nichts war ohne seine beiden muskelbepackten Leibwächter und ohne sein Krummschwert, mit dem er so meisterlich umgehen konnte.
Mac Dundee hatte die beiden Leibwächter keine Sekunde aus den Augen gelassen. Er wußte, daß er ihnen nicht den Rücken zukehren durfte, wenn die akute Gefahr, in der sich das Schiff jetzt befand, erst einmal vorbei war.
Ohne Hast zog er seine Pistole aus dem Gürtel, legte an und schoß. Der Leibwächter, der die Kugel einfing, hatte so schnell gar nicht begriffen, was geschehen war. Er preßte die Hände auf das Loch in der Brust und sackte zur Seite, ohne einen Laut von sich zu geben.
Der zweite Mann reagierte sofort. Sein Messer flog blitzend durch die Luft, doch Mac Dundee war auf der Hut. Er warf sich einfach nach vorn und tauchte nur einen Schritt vor dem Leibwächter auf. Der Mann war nicht schnell genug, um den Hieb mit der Axt zu entgehen, der die rechte Schulter bis tief hinunter zur Brust spaltete.
Mac Dundee ließ seine Männer nicht zur Besinnung kommen.
„O’Driscoll!“ brüllte er. „Vorbereiten zum Entern! Roskill und Buchanan an die Drehbassen auf der Back! Beharkt die Dons, bevor wir sie rammen! Und dann will ich jeden von euch kämpfen sehen, als gelte es, einen Ausweg aus der Hölle zu finden, verstanden?“
„Aye,