Seewölfe - Piraten der Weltmeere 203. Burt Frederick
Impressum
© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-539-2
Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]
Inhalt
1.
Das Meer verwandelte sich in flüssige Lava.
Weit entfernt, im Osten, entstand die hellrote Glut als winziger Fleck, breitete sich aber aus wie ein gefräßiges Ungeheuer aus rätselhaften Tiefen. Erst jetzt erschien der Feuerball, als habe er sich seine Freiheit mit grimmiger Urgewalt erkämpfen und die starre Linie des Horizonts erst durchbrechen müssen, um sich nun als strahlender Sieger erheben zu können.
Während die Sonne rasch höher stieg, schob sich der Widerschein ihrer Glut mit dem Wellengang des Ozeans auf die Insel zu und schien sie verschlingen zu wollen.
Der einsame Wächter erschauerte, zog die dunkle Decke fester um seinen schmalen, doch muskulösen Körper. Sein Gesicht war mit schwarzer Erde eingerieben, sein jettschwarzes Haar besorgte ein übriges, um ihn mit dem düsteren Felsenhintergrund verschmelzen zu lassen. Er zählte zu den Jüngsten im Volk des Raja Sohore Jugung Moharvi, doch seinen Dienst an diesem heiligen Ort verrichtete er nicht zum ersten Male.
Noch immer bereitete ihm aber das Wissen um die Nähe der Götter Unbehagen. Sie wohnten nur einen Lanzenwurf weit über ihm, im Krater des Vulkans Prakjat. Doch sie duldeten seine Nähe, denn er gehörte zu den Auserwählten, die davon befreit waren, die vorgeschriebene weiße Kleidung anzulegen, wenn sie ihnen gegenübertraten. Von der kleinen Felsplattform unterhalb des Vulkankegels genoß der Wächter einen hervorragenden Blick in die drei Himmelsrichtungen Osten, Süden und Westen. Und nur von Südwesten waren die Feinde zu erwarten. Nur von dort ging die ständige Bedrohung für das Volk des Raja aus.
Die Brahmanen hatten lange um die Entscheidung gerungen, einen Wächter am heiligen Ort zu postieren. Mehrere eindeutige Zeichen waren abgewartet worden, ehe man sich des Wohlwollens der Götter sicher gefühlt hatte.
Der junge Inselbewohner blickte auf das Meer hinaus, das sich im Sonnenaufgang glutrot gefärbt hatte. Weniger die Nähe der Götter als dieses glühende Rot war es, das ihm Unbehagen einflößte. Er hatte es selbst nie miterlebt, wenn die Götter zürnten und feurige Lava über die Insel spien. Doch aus den Erzählungen der Alten kannte er das Grauen, das dann aus dem Schlund der Erde hervorbrach. Unzählige Vorväter der Bewohner von Seribu waren jenem Todeshauch göttlichen Zorns nicht entronnen. Alle, die heute auf der Insel lebten, brachten immer wieder Opfergaben dar, mit denen sie ihr Leben in Frieden zu sichern hofften.
Unvermittelt erstarrte der Wächter in seiner Haltung. Seine Augen wurden schmal, während er nach Süden spähte.
Segel schoben sich über die Linie des Horizonts. Große, helle Segel.
Der Herzschlag des jungen Kriegers begann zu rasen. Jähe Anspannung griff nach ihm wie eine übermächtige Faust.
Dem menschlichen Zorn konnten sie niemals entrinnen. Dafür waren auch jene Opfer sinnlos, mit denen sie das Wohlwollen der Götter auf ihrer Seite hatten. Denn die Andersgläubigen von jenseits des Meeres verachteten die Götter, nach deren Maßregeln die Menschen auf der Insel Seribu lebten.
Das fremde Schiff näherte sich mit weißschäumender Bugwelle. Noch wartete der Wächter, bis er Einzelheiten erkennen konnte. Bald darauf hatte er Gewißheit. Es war eins dieser Schiffe, wie es die weißen Männer aus der fremden Welt verwendeten. Nur, dieses Schiff war größer und stolzer als das eine, das er kannte. Etwas Majestätisches ging davon aus. Er mußte sich von dem Anblick losreißen und sich selbst daran erinnern, daß es nichts anderes als eine tödliche Bedrohung sein konnte, die dort mit dem heraufziehenden Morgen nahte.
Eilends verließ er die Felsplattform. Mit federnden Bewegungen, die seine jungen und gestählten Muskeln erlaubten, lief er den Hang hinunter, bis der tropische Dschungel ihn verschluckte.
Die Menschen auf Seribu würden gewarnt sein – rechtzeitig, bevor das große Schiff die Insel erreichte. Dieses Schiff hatte sich mit dem Feind verbündet. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.
„Scheint unbewohnt zu sein“, sagte Ben Brighton, während er das Spektiv sinken ließ.
Philip Hasard Killigrew legte seine Hände auf die Steuerbordbalustrade des Achterkastells und nickte. Feine Gischt, die von der schäumenden Bugwelle der „Isabella VIII.“ aufstieg, wehte ihm ins Gesicht. Der Wind wühlte im schwarzen Haar des Seewolfs, ein handiger Südost, der die Galeone über Backbordbug vor sich hertrieb.
Es war vorerst nicht mehr als ein sattgrüner Fleck, der sich Steuerbord voraus in der Javasee abzeichnete. Ein deutlicher Kontrast, weil die Morgensonne dem Waschbrettmuster des Wellengangs eine unvergleichliche Färbung verlieh.
„Ob bewohnt oder nicht“, entschied Hasard, „wir werden uns um diese hübsche kleine Insel nicht kümmern. Unsere Frischwasservorräte reichen für mehr als zwei Wochen.“ Was den Proviant betraf, hatten sie noch weniger Sorgen. Auf Java, das hinter ihnen lag, hatten sie der „Isabella“ den Bauch kräftig vollgeschlagen.
„Bist du sicher, daß die Seekarten stimmen?“ Ben Brighton blickte Hasard von der Seite an. „Inseln sind jedenfalls nicht verzeichnet. Oder?“
„Das muß nichts heißen, Ben. In der Sundastraße soll es eine Menge kleinerer Eilande geben. Überhaupt scheint mir dieses ganze Südostasien eine Inselwelt von unvorstellbarer Größe zu sein.“
Ben Brighton hob wieder den Kieker. Er war ein besonnener und ruhiger Mann, der möglichen Überraschungen stets dadurch begegnete, daß er sich mit Unbekanntem gründlich beschäftigte – sofern die Zeit dazu blieb. An diesem Morgen hatten sie an Bord der „Isabella“ allesamt Zeit im Überfluß. Der stete Südost bereitete keine Schwierigkeiten, und der klare Himmel ließ vermuten, daß es auch den Tag über so bleiben würde.
Pete Ballie, der stämmige Rudergänger mit Fäusten so groß wie Ankerklüsen, konnte es sich leisten, dem Wortwechsel zwischen dem Seewolf und dem Ersten mehr Aufmerksamkeit zu widmen als dem Steuerruder. Und die Crew konnte sich mit Hingabe einem herzhaften Frühstück widmen, das der Kutscher mit nicht geringerer Hingabe in der Kombüse zusammengezaubert hatte.
Fütterung der Raubtiere, hatte Edwin Carberry, der bullige Profos, augenzwinkernd gebrummt, bevor er selbst ins Logis verschwunden war, um das zu betätigen, was in seinem herzhaften Sprachgebrauch unter der Bezeichnung Futterluke rangierte. Entsprechend ruhig war es an Deck. Moses Bill, der als Ausguck im Großmars ausharrte, hing seinen Gedanken nach. Außer dem grünen Farbtupfer der Insel gab es nichts mehr zu vermelden, denn weit und breit glich die See besagtem Waschbrett, an dessen Muster sie erinnerte. Sir John, der Arakanga-Papagei, hockte hoch oben auf der Vormarsrah und ließ sich den frischen Wind durch das karmesinrote Gefieder blasen. Schon in einer Stunde, wenn die Sonne ihren Aufstieg beschleunigte, würde es wieder drückend heiß sein. Die extrem hohe Luftfeuchtigkeit