Seewölfe - Piraten der Weltmeere 303. Roy Palmer

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 303 - Roy Palmer


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Umschlag in beiden Händen und sagte: „Hiermit breche ich das Siegel auf, wie es mit Lord Gerald Cliveden vereinbart wurde. Ihr alle seid Zeugen, daß es noch unversehrt ist.“

      „Aye, Sir“, brummelte der alte O’Flynn. „Aber könntest du die Sache etwas weniger spannend machen? Ich werde schon ganz zappelig.“

      „Das gehört mit dazu“, sagte sein Sohn grinsend.

      „Ruhe bitte“, sagte Ben Brighton. „Wo bleibt denn hier die Disziplin?“

      „Die haben wir irgendwo zwischen den Friesischen Inseln und Jütland verloren“, ließ sich Carberry von unten vernehmen. „Aber ich bleue sie dieser Bande von Rübenschweinen schon wieder ein, darauf kannst du dich verlassen, Mister Brighton.“

      Old O’Flynn tat zwei Schritte auf den Steuerbordniedergang zu und hatte den Profos genau unter sich.

      „Willst du mir etwa auch beibringen, wie sich ein Seemann benimmt, Mister Carberry?“ fragte er mit diabolischem Grinsen.

      Carberry schnitt eine Grimasse. „Komm doch ’runter, dann erkläre ich dir ganz genau, wie ich mir die Sache vorstelle. Du reißt dein Schott mal wieder entschieden zu weit auf.“

      „Ruhe!“ rief jetzt der Seewolf, und augenblicklich trat Stille ein. Er hatte das Kuvert geöffnet. Die Männer verfolgten seine Bewegungen mit ihren Blikken, die Spannung wuchs. Hasard entnahm der Mappe Schriftstücke und faltete sie auseinander, einige davon entpuppten sich als Seekarten, die anderen enthielten mit schwarzer Tinte geschriebene Anweisungen.

      Hasard reichte die Karten an Ben Brighton weiter. Ben sah nur kurz darauf, dann erklärte er: „Alle Karten zeigen den Bereich der Ostsee.“

      „Und hier nun die Order“, sagte der Seewolf und begann aus den Schriftstücken vorzulesen. „Es ist der feierliche Auftrag Ihrer Majestät Elizabeths I. an Philip Hasard Killigrew, Ritter von königlichen Gnaden und Inhaber eines vom Hofe ausgestellten Kaperbriefes, das Baltikum zu erforschen mit dem klaren Ziel, zu ergründen, ob es nicht ratsam ist, den bisherigen Handel mit den Ostseeanliegern allein und unter Ausschluß der Hanse zu betreiben. Lord Gerald Cliveden, der Sonderbeauftragte Ihrer Majestät in außerenglischen Angelegenheiten, ist dabei besonders interessiert an Möglichkeiten, Pelzwerk, Bernstein und Holz aus den Ostseeländern zu beziehen. Zu diesem Behufe wird es Sir Hasard und seinen Getreuen ans Herz gelegt, neue Handelsbeziehungen anzuknüpfen, wobei die Order weiterhin streng geheim zu behandeln ist, so daß kein Außenstehender davon erfährt, welches die Pläne der englischen Nation sind.“

      Hasard hielt im Lesen inne und sah seine Männer an. Das Schweigen dauerte fort, nur Big Old Shane räusperte sich vernehmlich. Die Mienen waren teils betroffen, teils verwirrt, und von der anfänglich guten Stimmung an Bord schien nicht viel übriggeblieben zu sein.

      Hasard dachte nach. Eins war ihm bekannt: Die Eröffnung und Erschließung der Neuen Welt war einer der Hauptgründe für den Niedergang der Hanse, die zu diesem Zeitpunkt allerdings noch in dem sogenannten „Stahlhof“ in London eine Niederlassung unterhielt. Dort wurden die Güter aus den Ostseeländern umgeschlagen – doch ein Nachlassen des Handels zeichnete sich schon seit einiger Zeit mehr als deutlich ab. Daher also rührte der Auftrag der Königin und Lord Geralds. Gelang es, die Hanse auszuschließen, so konnte das Ostseegeschäft nach wie vor ertragreich für England sein.

      Dies leuchtete dem Seewolf ein, aber er hatte eine völlig andere Art von Auftrag erwartet, die sich mit Abenteuern verband. Indes hatte man ihm nun eine ausgesprochen trockene und nüchterne Aufgabe überantwortet, bei der nichts auf verwegene Raids und tollkühne Fahrten hinzuweisen schien.

      Nun, er mußte die Dinge nehmen, wie sie kamen. Eigentlich war er kein Kaufmann und Handelsfahrer, doch er würde Lord Gerald beweisen, daß er auch diese Materie zu bewältigen wußte. Außerdem – das fiel ihm jetzt ein – gab ihm der Auftrag die Möglichkeit, noch eine weitere Motivation für die Reise durch die Ostsee zu finden. Vielleicht konnte er nach seiner väterlichen Familie, den Manteuffels, forschen, die irgendwo „im Pommerschen“ ansässig sein sollten. Er hatte schon lange auf eine Gelegenheit gewartet, etwas mehr Licht in das Dunkel seiner Vergangenheit zu bringen. Diese Chance schien sich jetzt zu bieten.

      So gesehen war er also nicht enttäuscht. Doch die Crew und auch die Männer vom Achterdeck der „Isabella IX.“ zogen lange Gesichter. Sie hatten von bunten Abenteuern geträumt – und nun dies.

      „Sir“, sagte Carberry. „Steht noch mehr in der Order drin?“

      „Nur Hinweise auf die Häfen, die wir anlaufen sollen“, erwiderte Hasard. „Es sind mehr oder weniger technische Daten.“

      „Technische Daten, aha“, sagte Big Old Shane.

      „Die Ostsee“, sagte Ferris Tucker. „Soso. Da schau mal einer an, was für eine großartige Überraschung.“

      „Ja, wer hätte das gedacht!“ rief Blacky. „Aber irgendwie haben wir das ja geahnt, nicht wahr? Und wenn mich nicht alles täuscht, hat in Plymouth auch schon mal irgendwer davon geschwärmt, wie wir in den Ostseehäfen die Kneipen auskundschaften und die Mädchen anlächeln!“

      „Das schon“, sagte Dan O’Flynn. „Von Handelsbeziehungen war jedoch nicht die Rede.“

      „Sind wir vielleicht eingetrocknete Kontorknüppel oder so was Ähnliches?“ brüllte Carberry, dem die ganze Geschichte auch nicht geheuer war. „Was? Wie? Ich hab’ von Pelzen und Bernstein nicht die geringste Ahnung, von Behufen schon gar nicht!“

      Ein paar Männer lachten, aber es klang gezwungen. Mac Pellew zog ein Gesicht, als sei er in ein Faß voll saurer Gurken gefallen, und stöhnte: „O Lord, ausgerechnet die Ostsee! So ein elender Ausflughafen für Hausenten! Das ist ja gar kein richtiges Meer!“

      „Ich hatte gehofft, wir würden nach Norwegen segeln“, sagte Ferris. „Da weht einem der Eiswind um die Ohren, daß es eine Freude ist. Vielleicht wären wir dort auch dem alten Thorfin wiederbegegnet.“

      Carberry stieß einen Fluch aus, dann rief er: „Eine Pißrinne für Schwäne und Reiher ist diese idiotische Ostsee, sage ich! Ein Heringstümpel, eine Kakerlakenbilge! Da hätten wir ja auch gleich auf der Themse herumpaddeln können!“

      „Augenblick!“ sagte der Seewolf mit harter, lauter Stimme. „Spart euch eure Vorurteile für später auf. Ich selbst bin noch nicht in der Ostsee gewesen, ich weiß nicht, wie es dort aussieht.“

      „Aber vorstellen kann ich es mir!“ stieß Shane hervor. „Bei Ebbe muß man aufpassen, daß man nicht irgendwo auf Grund geht, so flach ist der ganze Teich.“

      „Das scheint mir nun doch etwas übertrieben zu sein“, sagte Ben Brighton. „Denk mal an das Mittelmeer, das ist auch nicht gerade ein Ententümpel.“

      „Es ist ja auch viel größer“, bemerkte Roger Brighton.

      „Irrtum.“ Ben hielt seinem Bruder die Karten hin. „Sieh dir das Material mal genau an! Die Ausmaße der Wasserfläche sind ganz beachtlich. Wir alle haben keine Vorstellungen davon, wie es dort wirklich aussieht.“

      „Ich schon“, sagte Nils Larsen. „Und ich muß dir voll beipflichten, Ben. Die Ostsee sollte man nicht unterschätzen.“

      „Das scheinen auch die Beschreibungen zu bestätigen, die mir hier vorliegen“, fügte der Seewolf hinzu, indem er die Schriftstücke ein Stück anhob. „Schluß der Debatte also.“

      „Man wird ja wohl noch seine Meinung äußern dürfen“, brummte Old O’Flynn. „Was mich betrifft, so habe ich meine Bedenken. Wer weiß denn überhaupt, was uns jenseits von Skagen erwartet? Vielleicht ist der ganze Scheiß-Bach ja zugefroren, und wir bleiben im Eis stecken wie seinerzeit, als …“

      „Darf ich jetzt auch mal was sagen?“ unterbrach ihn Stenmark, der ein Stück vorgetreten war und nun zur Balustrade aufblickte. „Ich stamme aus Schweden, falls ihr das vergessen habt, und mir ist die Ostsee besser bekannt als Nils Larsen.“

      „Sicher“, meinte Nils. „Hölle, das hatte ich ja


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