Seewölfe - Piraten der Weltmeere 441. Roy Palmer
Luis Carrero schwieg auch weiterhin. Er hatte die Beine an den Leib gezogen und starrte auf die düstere Schiffswand. Irgendwann hat alles ein Ende, dachte er – alles.
Carrero sollte nicht den Trupp von Männern führen, die nach Potosi aufbrachen – so hatte der Seewolf entschieden. Ursprünglich hatte der Oberaufseher der Silberminen tatsächlich als „Lotse“ dienen sollen, jetzt aber hatte Hasard die Pläne geändert.
Pater Aloysius hatte die Rolle des Bergführers übernommen, oben, im Tal von Tacna, wo die Männer der „Estrella de Málaga“ und der „San Lorenzo“ die Dominikanermönche unter Pater Franciscus und die dort ansässigen Indios vor dem Zugriff der Spanier bewahrt hatten – und vor dem Schicksal, als Sklaven in den Minen des Cerro Rico zu enden.
Mithin konnte der Potosi-Trupp auf Carrero verzichten. Mit Pater Aloysius hatten sie einen guten Mann auf ihrer Seite, einen, der in den Bergen zu Hause war, der Potosi kannte und außerdem auf der Seite der Indios stand. Dieser Mann, so hatte Hasard von Anfang an richtig erkannt, war mehr als Gold für das Unternehmen wert.
Smoky hatte den Potosi-Trupp bis auf Hasard selbst, Carberry, Dan O’Flynn und Karl von Hutten, die bereits oben in Tacna gewesen waren, zum Tal hinaufgebracht, und inzwischen rüsteten die Männer dort zum Aufbruch: Hasard, Pater David, Pater Aloysius, Jean Ribault, Karl von Hutten, Carberry, Dan O’Flynn, Matt Davies, Gary Andrews, Stenmark, Mel Ferrow und Fred Finley. In den nächsten Tagen und Wochen würden die Männer an Bord der Schiffe nichts mehr von ihren Kameraden hören. Eine lange Wartezeit begann.
Ben Brighton hatte von Hasard das Kommando über die „Estrella de Málaga“ übernommen. Auf der „San Lorenzo“ war es Jan Ranse, der Jean Ribault als stellvertretender Kapitän ersetzte.
Smoky hatte über diesen Beschluß Hasards berichtet, als er zur Ankerbucht der Schiffe zurückgekehrt war. Weiter hatte er erzählt, daß der Seewolf mit von Hutten, Carberry, Dan und Pater Aloysius am Vortag die drei Hängebrücken zwischen Arica und dem Tal von Tacna zerstört und einen weiteren spanischen Trupp, der ihnen ins Gehege geraten war, vernichtet hatten. Am Vormittag dieses neuen Tages – man schrieb den 27. November 1594 – pullte Smoky mit der Jolle, mit der man nur den Unterteil des Rio Tacna befahren konnte, zur „Estrella de Málaga“. Er ging längsseits, legte an der Bordwand an und enterte an der Jakobsleiter auf.
Als Ben Brighton sich nach Hasards vorerst letzten Befehlen erkundigte, erwiderte Smoky: „Die Order lautet, daß wir auch weiterhin den Gefangenen scharf bewachen sollen. So lange, bis der Trupp aus Potosi zurückgekehrt ist.“
„Und was geschieht dann mit Carrero?“ wollte Ferris Tucker wissen. „Hasard will ihn doch wohl hoffentlich nicht laufen lassen.“
Smoky hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Das weiß ich nicht. Hasard hat es noch nicht entschieden. Er hat nur etwas angedeutet.“
„Raus damit“, sagte Shane schroff. „Du willst es doch wohl nicht für dich behalten.“
„Er will ihn vielleicht auf einer Insel aussetzen.“
„Was, den Carrero?“ sagte Roger Brighton ziemlich aufgebracht. „Das fehlte noch. So ein Dreckskerl ist eine Gefahr für die Menschheit, wo immer er sich auch aufhält.“
„Er muß verschwinden“, sagte Shane. „Für immer.“
„Also töten wir ihn?“ fragte Ben.
„Wir sollten über ihn richten“, entgegnete Ferris Tucker. „Was anderes als den Tod hat so ein Kerl ja wohl nicht verdient.“
„Darüber sind wir uns einig“, sagte Ben. „Aber die Entscheidung liegt bei Hasard. Wenn ein Bordgericht zusammentritt, wird er den Vorsitz haben, das wißt ihr genau.“
„Klar“, sagte Will Thorne, der Segelmacher, von der Kuhl aus. „Und deshalb lohnt es sich auch nicht, über diesen Punkt weiter herumzudiskutieren. Morgen bricht der Potosi-Trupp auf, und wir halten hier Wache und passen auf, daß Carrero uns nicht entwischt.“
„Es müßte schon mit dem Teufel zugehen, wenn ihm das gelingen sollte“, murmelte Sam Roskill.
„Aber jetzt mal weiter“, meinte Shane zu Smoky. „Du hast noch nicht zu Ende berichtet. Was hat Hasard noch alles gesagt?“
Smoky grinste. „Nichts Besonderes. Nur, daß er uns alle herzlich grüßen läßt und auf ein gemeinsames gesundes und glückliches Wiedersehen hofft.“
Sie alle standen beieinander und lauschten Smokys Worten. Die Zwillinge schnitten allerdings etwas mürrische Mienen. Sie waren enttäuscht, daß sie bei dem Potosi-Unternehmen nicht dabeisein konnten. Aber wer war das nicht? Araua ging es ebenso, und auch Jan Ranse und die Männer der „San Lorenzo“ waren alles andere als begeistert, daß sie nun so lange warten mußten.
Ja – etwas traurig waren sie schon, denn die Kameraden fehlten ihnen. Dann mußten sie aber doch grinsen. Der Anlaß dafür war Smokys Äußerung.
„Übrigens, von Ed soll ich auch was ausrichten“, sagte er und grinste von einem Ohr zum anderen.
„Was denn?“ fragte Ferris sofort. „Was kann der uns schon wünschen?“
„Einen herzlichen Gruß zunächst mal“, sagte Smoky fröhlich. „Und dann hat er sogar was für uns gedichtet, unser guter alter Profos. Ist das nicht rührend?“
Big Old Shanes Augen verengten sich ein wenig. „Was denn? Ein Gedicht? Für uns? Was hat das jetzt wieder zu bedeuten?“
„Du traust dem Braten nicht, was?“ fragte Ben und mußte lachen.
„Ich hab’ meine Gründe“, brummte Shane.
„Also“, sagte Roger aufmunternd zu Smoky. „Nun mal los. Wie lautet denn das Verslein?“
Smoky räusperte sich, dann legte er los: „Lebt wohl, ihr alten Affenärsche, ihr Rübenschweine und ihr Hirsche! Wir zieh’n jetzt los nach Potosi, vergeßt nicht euren Carberry!“
„He!“ rief Batuti von der Kuhl zum Achterdeck. „Habe ich das richtig verstanden? Affenürsche?“
„Ja“, erwiderte Smoky, und er grinste immer noch.
„Das haut dem Faß den Boden aus“, sagte Shane. Was anderes fiel ihm nicht ein.
„Affenürsche ist ein starkes Stück“, sagte nun auch Ben.
„Und Potosi“, sagte Ferris. „Das heißt doch gar nicht so. Das heißt Potosi.“
„Er hat aber Potosi gesagt“, erklärte Smoky.
„Potosi – wieso?“ fragte Bob Grey. „Das kapier’ ich nicht.“
„Das hat was mit Pott zu tun“, sagte Al Conroy.
„Quatsch“, entgegnete Luke Morgan. „Hör doch auf. Ich glaube, Carberry ist es ganz egal, ob er Potosi oder Potosi sagt.“
„Paddy scheint anders darüber zu denken“, meinte Sam Roskill. „Seht mal, er ist schwer beschäftigt.“
Verstohlen blickten sie zu Paddy Rogers, bei dem der Groschen bekanntlich nicht ganz so schnell fiel wie bei den anderen. Manchmal fiel er überhaupt nicht, der Groschen. So wie jetzt – und nicht einmal Jack Finnegan, sein bester Freund, konnte Paddy auf die Sprünge helfen.
Jack war selbst einigermaßen erstaunt und sann darüber nach, was es mit dem Profosspruch auf sich haben könnte.
„Affenürsche!“ stieß Paddy plötzlich etwas heiser hervor. Auf seiner Stirn hatten sich schwere Denkfalten gebildet. „Was ist das denn?“
Die Männer lachten. Smoky schaute zu Paddy und sagte: „Na, dann will ich dich aufklären. Das muß sich doch auf Hirsche reimen, klar?“
„Was denn?“
„Na, das mit den Ürschen.“
„Den Affenürschen?“
„Richtig“,