Seewölfe - Piraten der Weltmeere 633. Fred McMason

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 633 - Fred McMason


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einen kleinen Schluck, bitte.“

      Martinez haute auf den Gong. Der Kerl mit dem sichelförmigen Schnauzbart erschien zu schnell, als habe er darauf gewartet.

      „Rotwein!“ befahl Martinez und sah ungeduldig zu, wie der Mann den Wein in zwei kostbare Gläser einschenkte. Ein Blick aus Martinez’ Augen ließ ihn erneut wie ein Flaschengeist verschwinden.

      De Mérida nahm nur einen winzigen Schluck, dann legte er die Fingerspitzen aneinander und sah den Gouverneur durchdringend an.

      „Ich bedaure zutiefst, Ihnen das Ableben Seiner Allerkatholischsten Majestät, des Königs von Spanien, mitteilen zu müssen. Gott, der Herr, sei seiner Seele gnädig.“

      Martinez blieb der Rotwein vor Schreck im Hals stecken. Ein riesiger Felsen lastete plötzlich auf seiner Seele. Die Eröffnung ging ihm durch und durch. Er war keinesfalls über den Tod des Königs von Spanien bestürzt, er dachte nur an die Konsequenzen, die sich daraus für ihn ergaben. Vermutlich wurde jetzt alles anders. Vielleicht setzte die neue Regierung einen neuen Gouverneur ein und schickte ihn zum Teufel.

      „Das – das ist unfaßbar“, murmelte er bestürzt. „Ich kann meine Trauer kaum in Worte kleiden. Seine Majestät war mir immer ein großes vaterländisches Vorbild, und jetzt – nein, ich kann es wirklich nicht fassen. Das ist der größte Schicksalsschlag, der mich jemals getroffen hat, Capitán.“

      Martinez schniefte und wischte sich verstohlen über die Augen. Hoffentlich weiß der Kerl nichts über mich, dachte er angsterfüllt. Der Capitán schien mit einigen sehr unangenehmen Vollmachten ausgestattet zu sein, die seinen Hals kosten konnten. Aber noch war nicht alles verloren.

      „Ganz Havanna wird in Schmerz und Trauer versinken“, prophezeite er, obwohl eher das Gegenteil zu erwarten war. Vermutlich würde hier alles eskalieren, wie das schon ein paarmal der Fall gewesen war, wenn Umbesetzungen bevorstanden.

      De Mérida sah den heuchelnden Gouverneur durchdringend an. Er erkannte auf Anhieb, daß diese Trauer nur gespielt und keinesfalls echt war. Der ehrenwerte Gouverneur scherte sich den Teufel um Seine Majestät und dachte offensichtlich nur an seine eigenen Pfründe. Der Kerl war ein verdammter Heuchler.

      Martinez murmelte etwas von „ewigem Verlust für Spanien und tiefer Betroffenheit in der Neuen Welt“, doch der Capitán nahm ihm schnell den Wind aus den Segeln und blieb kühl und gelassen.

      „Die Betroffenheit in der Neuen Welt dürfte sich in bescheidenen Grenzen halten“, sagte er. „Man sollte das Kind ruhig beim Namen nennen, Señor. Spanien hat einen neuen König, und damit werden Spekulationen hervorgerufen. Jeder fragt sich, wie es jetzt weitergehen wird, und darin bilden auch Sie keine Ausnahme.“

      „Nun, das ist zweitrangig“, entgegnete Martinez. „Wenn man mich offiziell ernennen sollte, werde ich natürlich aus rein vaterländischen Motiven nicht ablehnen und meinem Volk weiterhin ein treuer Diener sein. Vielleicht wissen Sie mehr darüber, Capitán?“

      Der Capitán legte wieder die Fingerspitzen gegeneinander.

      „Ich bin bevollmächtigt, in Havanna genaue Untersuchungen anzustellen“, sagte er freundlich. „Vorrangig ist dabei der aus elf Galeonen bestehende Geleitzug, den das Land dringend braucht. Spanien ist mit hundert Millionen Golddukaten verschuldet.“

      „Hundert Millionen“, staunte Martinez.

      Ein paar davon gingen auch auf sein Konto, wenn er an die gehorteten Schätze auf seinem Schiff dachte. Außerdem hatten die anderen „Gouverneure“ ebenfalls kräftig abgesahnt.

      „Ja, hundert Millionen. Das sind nüchterne Fakten, eine traurige Hinterlassenschaft. Spanien braucht daher jeden Gold- und Silberbarren. Natürlich setzt das eine peinliche Kontrolle voraus. Die Beamten an Bord meines Schiffes werden die Bestände, die demnächst in See gehen, einer genauen Kontrolle unterziehen, damit alles seine Richtigkeit hat. Ist Ihnen nicht gut, Señor?“

      Martinez war ziemlich bleich geworden. Er faßte sich jedoch schnell wieder.

      „Diese Nachricht, diese entsetzliche Nachricht“, stöhnte er, „sie hat mich zutiefst aufgewühlt.“

      „Ja, das sehe ich. Es hat Sie sehr mitgenommen, aber viele andere ebenfalls. In etwa einer Stunde werden wir damit beginnen, alles aufzulisten. Ich setze voraus, daß Sie mir dabei behilflich sind. Sie wissen ja, daß es immer wieder korrupte Beamte gibt, die keine Skrupel haben, sich an den Schätzen des Königs zu vergreifen.“

      „Ja, das soll es geben“, sagte Martinez tonlos, der sehr schnell merkte, daß jetzt ein anderer Wind in Havanna zu wehen begann. Mit den linden Lüften war es vorbei. „Was geschieht dann mit denjenigen? Ich – äh – ich meine, falls es hier auch solche Halunken geben sollte, von denen ich natürlich nichts weiß.“

      „Kraft meiner Vollmachten lasse ich die Kerle aufknüpfen, öffentlich natürlich. Das ist doch selbstverständlich“, entgegnete der Capitán freundlich. „Aber Sie möchten sicherlich die neuen königlichen Vollmachten sehen, Señor.“

      Martinez wollte am liebsten gar nichts mehr sehen. Er schluckte hart und wäre am liebsten getürmt, aber so schnell ging das nicht.

      Aufknüpfen, öffentlich! dachte er. Das waren ja feine Aussichten. Ganz sicher kriegten diese Beamten und dieser kühle Capitán sehr schnell heraus, was er bisher getrieben hatte und daß er außerdem über ein eigenes Schiff verfügte. Sie würden dann auch noch schneller herausfinden, daß dieses Schiff vollgestopft war mit Gold- und Silberbarren, Kleinodien und Perlen. Daß man diesen gewaltigen Reichtum dem „Gouverneur“ nicht geschenkt oder geopfert hatte, würde den Kerlen auch bald klar sein.

      Zudem störte ihn ganz entsetzlich, daß ihn dieser Capitán offenbar nicht für voll nahm oder anerkannte. Noch kein einziges Mal hatte er ihn mit seinem Titel angeredet. Für ihn war er nur ein einfacher Señor, sonst gar nichts.

      „Ja, richtig, die Vollmachten“, murmelte er geistesabwesend. „Aber ich glaube Ihnen auch so.“

      „Hier muß alles seine Richtigkeit haben“, unterbrach ihn die kühle Stimme des Capitáns. „Hier sind die Papiere, Señor.“

      Er breitete amtliche und versiegelte Schreiben auf dem Tisch aus, bis Martinez’ Augen immer größer wurden.

      „Ich – äh – hoffe doch, daß ich weiterhin Gouverneur von Cuba bleibe“, sagte er etwas lahm. „Ich meine, äh, bestallter, sozusagen, denn ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen.“

      „Vorerst bleiben Sie provisorisch im Amt, zumindest solange, bis der Geleitzug zusammengestellt ist. Ich brauche wohl nicht zu betonen, daß dieser Schatz-Konvoi als streng geheim einzustufen ist. Wer darüber auch nur ein Sterbenswörtchen verliert, landet im Kerker, aber nicht nur für ein paar Wochen. Um diese Ladung geht es jetzt, denn sie ist außerordentlich wichtig. Sie erhalten hier alle Unterlagen, die Sie dem General-Kapitän des Geleitzuges übergeben werden. Es ist Don Ricardo de Mauro y Avila. Der Konvoi wird auf Ost-Nord-Ost-Kurs nach Teneriffa segeln. Treffpunkt dort ist der Haupthafen Santa Cruz de Tenerife.“

      Martinez sah den Capitán ungläubig an.

      „Die Konvois segeln meist über die Azoren“, wandte er schüchtern ein. „Das hat es bisher noch nie gegeben. Darf ich den Grund erfahren?“

      „Der Grund ist allerstrengste Geheimhaltung. Unsere Konvois werden immer wieder überfallen und ausgeplündert. Die Krone hat das lange genug fast ohnmächtig hinnehmen müssen. Wenn irgendwo ein Verräter sitzt, dann …“

      Der Capitán sprach nicht weiter, doch an seinem Blick erkannte Martinez, was er sagen wollte. Er schluckte schwer.

      „Ich verstehe. Streng geheim also.“

      „Sogar der Zielhafen ist noch geheim“, fuhr der Capitán fort. „Ihn kennt nur der Kommandant der spanischen Kriegsgaleone ‚Casco de la Cruz‘. Das ist Don Julio de Vilches, der den Konvoi ab Santa Cruz weitergeleiten wird. In groben Zügen ist das eigentlich alles, Señor.“

      „Sie werden


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