Seewölfe - Piraten der Weltmeere 57. John Curtis
brachte Hasard die Crew wieder zur Ruhe.
„Ich danke euch allen“, sagte er in die plötzlich herrschende Stille hinein. „Ich ahnte schon, daß keiner von euch an Land bleiben würde. Es hätte auch zu keinem von euch allen gepaßt. Aber eins verspreche ich euch: Wir werden das beste Schiff haben, das jemals unter englischer Flagge die Meere befahren hat. Und die Dons werden vor uns zittern. Sie werden schon bald spüren, daß die Seewölfe zurückgekehrt sind.“
Erst Stunden später – Hasard hatte Rum für alle ausgeben lassen, und an Bord der Karavelle wurde auf Teufel komm ’raus gefeiert – traten Ben Brighton, Ferris Tucker und Ed Carberry zu ihm.
Ben Brighton, sein Stellvertreter und Erster Offizier, nahm das Wort.
„Deine Idee ist ausgezeichnet, Hasard. Aber zwei Fragen beschäftigen uns und wohl auch noch einige Männer mehr an Bord. Erstens: Glaubst du wirklich, daß man dich bis zur Königin vorlassen wird? Das geht nur über den Lordkanzler, Sir Battersby. Der aber hat die Schlappe, die wir ihm im Tower und an der Themse zugefügt haben, bestimmt noch nicht vergessen. Genausowenig wie seine beiden Spießgesellen, der Lordadmiral, Sir Howard, und der Schatzkanzler, Sir Pembroke. Außerdem werden auch noch andere Intriganten wieder auftauchen. Zum Beispiel dieser Keymis. Ich glaube, es gibt in ganz England keinen Mann, der dich so haßt, wie dieser Friedensrichter.“
Hasard nickte, und bei den letzten Worten hatte sich seine Stirn umwölkt. „Sicher hast du recht, Ben. Es wird nicht einfach werden, aber ich werde es trotzdem schaffen. Ich habe noch immer das durchgesetzt, was ich will. Ich glaube, du unterschätzt mich in diesem Punkt. Bin ich aber einmal bis zur Königin vorgedrungen, dann habe ich gewonnen, daran glaube ich felsenfest!“
Ben Brighton wiegte den Kopf, aber er sagte nichts. Er kannte den Seewolf, es war völlig aussichtslos, ihn von diesem Vorhaben abbringen zu wollen. Außerdem – sie brauchten den Kaperbrief, oder sie waren gewöhnliche Piraten, vogelfrei für jedermann.
„Gut, Hasard“, sagte er daher, „nehmen wir einmal an, es gelingt dir, und du erhältst den Kaperbrief. Was wird aus Gwen, was aus dem Sohn oder aus der Tochter, den oder die sie dir inzwischen geboren haben wird?“
Der Seewolf sah seine drei Gefährten an.
„Ihr wißt alle, daß ich Gwen liebe. Sie ist meine Frau. Also gilt meine Sorge und mein Denken ihr in hohem Maße. Um es noch deutlicher zu sagen: Gerade wegen Gwen will ich den Kaperbrief. Denn dann wird es niemand mehr wagen, sie auch nur zu belästigen, solange ich auf See bin. Ich habe mit Gwen über alle diese Dinge schon früher gesprochen. Sie hat mich stets ermutigt, für England zu kämpfen, auf See zu bleiben. Gwen weiß, daß ich ohne die Weite der Meere nicht mehr leben kann, sowenig, wie ihr es könntet.“
Wieder nickte Ben Brighton.
„Ich wollte es nur wissen. Gebe Gott, daß sich alles so fügt, wie du es wünscht. Auf mich und alle anderen kannst du jederzeit zählen, das weißt du.“
Ben Brighton wollte sich zum Gehen wenden, aber Ferris Tucker hielt ihn noch einmal zurück.
„Um ehrlich zu sein, Hasard, auch ich ahne Schwierigkeiten. Aber diese Hundesöhne, ganz gleich welche Stellung sie bekleiden oder wie immer sie heißen mögen, sollen sich in acht nehmen. Meine Geduld mit diesem ganzen Gelichter ist zu Ende, und zwar endgültig. Ich werde ein wachsames Auge auf alles haben, was rund um uns herum geschieht. Und wehe, wenn sich diese Ratten wieder zu weit aus ihren Löchern wagen!“
„Worauf du Gift nehmen kannst!“ ließ sich Carberry vernehmen, und instinktiv hatte er bei diesen Worten seine schwieligen Pratzen zu Fäusten geballt.
Aber Ferris Tucker war noch nicht fertig.
„Nur noch eins, Hasard“, fuhr er fort. „Wie hast du dir das mit dem Schiff gedacht? Ich sehe nicht ein, warum wir schon wieder ein neues brauchen. Die Isabella VII. ist von ausgezeichneter Qualität. Rank und stark gebaut. Die Schaluppe, die wir bei Gibraltar untergemangelt haben, hat außer ein paar Kratzern nichts an Spuren hinterlassen. Jeder schwerfälligen Galeone schnappt unsere Karavelle im Handumdrehen die Luvposition weg, und in flachen Gewässern läuft sie nicht so leicht auf Grund, wie die dickbauchigen Kähne der Dons. Die Bewaffnung ist erstklassig, das Schiff in allerbestem Zustand. Warum, zum Teufel, also schon wieder ein anderes? Da blickt man ja gar nicht mehr durch!“
Im Gesicht des Schiffszimmermanns zuckte deutlicher Unwillen. Er hing an der „Isabella VII.“ und er wußte auch genau, warum. Tatsächlich hatten sie mit Ausnahme der „Isabella V.“, die aber viel langsamer und viel schwerfälliger gewesen war, kaum jemals ein so hervorragendes Schiff mit so guten Segeleigenschaften unter den Füßen gehabt.
Hasard schwieg einen Moment. Dann aber stahl sich ein Lächeln in seine sonnengebräunten Züge. Er kannte den rothaarigen Hünen lange genug, um genau zu wissen, was in ihm vorging.
„Hör zu, Ferris“, sagte er daher. „Die ‚Isabella VII.‘ ist für das, was ich vorhabe, zu klein, zu schwach bewaffnet und trotz all ihrer Qualitäten nicht stark genug. Die Lateinertakelung erlaubt zwar, hoch am Wind zu segeln, aber vor dem Wind läuft eine gute Galeone schneller. Und denk daran, daß wir wieder in die Karibik gehen, daß wir vielleicht sogar noch einmal zum Kap der Dämonen verschlagen werden. Da brauchen wir ein größeres Schiff. Außerdem sind wir mit der Isabella VII. den meisten Galeonen unterlegen, wenn wir sie nicht ausmanövrieren, das weißt du genausogut wie ich, Und nicht zuletzt werden wir Laderaum brauchen; denn ich gedenke Beute zu machen, Ferris, fette Beute! Die Dons sollen zu spüren kriegen, daß die Seewölfe wieder da sind und ihre Küsten verunsichern. Nein – ich habe da schon eine Idee. Vertraut mir ruhig, laßt mich nur machen. Und wenn du dann mit dem neuen Schiff nicht einverstanden bist, das übrigens nicht mir, sondern uns allen gehören wird, dann können wir uns für die Isabella VII. immer noch entscheiden.“
Ferris Tucker murmelte irgend etwas – überzeugt schien er jedenfalls nicht. Aber er hatte gelernt, daß es gut war, auf den Seewolf zu hören, denn dessen Entscheidungen hatten sich fast immer als richtig erwiesen. Zusammen mit Ed Carberry zog er ab und verschwand schließlich zwischen den feiernden Männern auf dem Hauptdeck.
Zwei Tage später passierte die Karavelle Kap Lizard. Am Abend desselben Tages lief sie in Plymouth ein. Sie wurde am selben Pier vertäut, an dem auch schon ihre Vorgängerinnen und die einstige „Marygold“ gelegen hatten.
Aber es gab ein paar scharfe Augen, die das Schiff und die Männer, die mit ihm nach Plymouth gesegelt waren, argwöhnisch beobachteten. Einer von ihnen war der dicke Schankwirt der „Bloody Mary“ an der Ecke Millbay Road und St. Mary Street.
Nathaniel Plymson kniff die Schweinsäuglein, die fast unter den Fettwülsten seiner Augenlider verschwanden, zusammen. Angestrengt starrte er durch die hereinbrechende Dämmerung zur nahen Pier hinüber – und dann zuckte er plötzlich zusammen, als habe ihn der Schlag getroffen.
„Nein!“ stieß er hervor und streckte alle zehn Wurstfinger seiner spekkigen Hände weit von sich, als wolle er böse Geister abwehren. „Nein – das kann nicht wahr sein! Dieser schwarzhaarige Teufel – dieser ...“
Nathaniel Plymson spürte, wie ihm der Schweiß aus allen Poren brach. Dann warf er sich plötzlich herum und hastete davon.
Isaac Henry Burton lag lang ausgestreckt auf seinem Bett im Obergeschoß der „Bloody Mary“. Schon seit Tagen war er Logiergast beim dicken Plymson.
Er nahm einen langen Zug aus der Whiskyflasche, und über seine eingefallenen Züge glitt ein böses Grinsen. O ja, dieser Tölpel von Seewolf hatte ihn eigenhändig über Bord der „Isabella VII.“ geworfen – und nur diesem Umstand verdankte er es, daß er noch lebte. Mehr noch: Von De Coria wußte er so einiges über die weiteren Absichten des Seewolfs. Und deswegen war er auf dem schnellsten Wege nach England gereist. Dabei war zwar ein ganz hübsches Sümmchen draufgegangen, aber das tat ihm nicht leid. Denn diese Narren von der „Isabella“ waren so dumm gewesen, seine Unternehmungen auch noch zu finanzieren. Allerdings, ohne daß sie davon auch nur das geringste ahnten. Denn bei seiner Suche nach Werkzeug, mit dem er De Coria aus seinem Gefängnis im Vorschiff befreien wollte, war er auf jene Kisten gestoßen,