Seewölfe - Piraten der Weltmeere 320. Burt Frederick

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 320 - Burt Frederick


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kannte. Im übrigen, was die eisblauen Augen, das scharfgeschnittene Gesicht und die breitschultrige und schmalhüftige Statur betraf, gab es kaum Unterschiede zwischen den beiden Vettern.

      Arne von Manteuffels Aufmerksamkeit wurde abgelenkt. Eilige Schritte waren auf dem Hauptdeck der gekaperten Galeone zu hören. Renke Eggens, drahtig und flink, tauchte auf dem Niedergang zum Achterdeck auf.

      „Arne!“ Eggens verharrte keuchend. „Schnell, das mußt du dir ansehen!“

      Arne von Manteuffel kniff verwundert die Augen zusammen. Selten hatte er seinen Ersten Offizier so aufgeregt erlebt. Aber er zögerte nicht, auf den Niedergang zuzueilen. Wenn Renke Eggens in Alarmstimmung geriet, dann mußte es einen handfesten Grund dafür geben.

      Eggens ging voraus, und sein Kapitän folgte ihm auf die offene Luke zu, die in die unteren Decksräume führte.

      Kurz darauf, als sie vor den Bernsteinkisten standen, brauchte Eggens nur auf das Zeichen zu zeigen, das an jeder Kiste an der gleichen Stelle eingebrannt war.

      „Das Runenzeichen der Tyndalls“, sagte Arne von Manteuffel betroffen. „Ist dir klar, was das bedeutet, Renke?“

      „Eine Riesenschweinerei, soviel steht fest. Weiter habe ich mir die Sache noch nicht durch den Kopf gehen lassen. Es hängt wohl einiges daran, vermute ich.“

      Arne nickte. Prüfend betrachtete er ein paar der Bernsteinstücke, die obenauf in den geöffneten Kisten lagen.

      „Ich weiß eine Menge über Bernstein“, sagte er leise und gedehnt, „aber ich maße mir nicht an, den Wert dieser Ladung zu beurteilen.“

      „Dann sind die Polen wohl doppelt sauer auf uns“, sagte Hein Ropers grinsend, „wenn diese Kisten mehr wert sind als das ganze Schiff, das sie verloren haben.“

      „Darauf kannst du Gift nehmen.“

      „Und wer sind diese Tyndalls?“ fragte der Bootsmann.

      „Das Runenzeichen der Pfeilspitze steht für ein ‚T‘“, erklärte Arne von Manteuffel, „in diesem Fall also ein doppeltes ‚T‘ für ‚Thorsten Tyndall‘.“

      „Klingt dänisch.“

      „Ist es auch. Ich habe von Tyndall etliche Male Bernstein und auch Achat und Jaspis bezogen. Außer mir wußte nur Renke darüber Bescheid, denn wir hatten ja guten Grund, diese Geschäfte so geheim wie nur möglich zu halten.“

      „Dann muß dieser Tyndall so etwas wie ein Zwischenhändler in Dänemark sein.“

      „Nein, nicht in Dänemark. Thor Tyndall, Thorstens Vater, hat sich 1559 als dänischer Kaufherr in Hapsal an der estnischen Westküste niedergelassen. Damals wurden Ösel, Dagö und Küstenteile am Rigaer Meerbusen an Dänemark verkauft. Das Handelshaus Tyndall ist seither in Hapsal ansässig.“

      „Kenne ich. Dieses Hapsal liegt ziemlich genau gegenüber von Dagö und nordöstlich von Ösel. Zwischen den beiden Inseln und der Küste ist der Moon-Sund, und der verbindet den Finnenbusen und den Rigaer Busen. Eine günstige Lage für so ein Handelskontor.“

      „Nicht nur wegen des Seewegs“, sagte Renke Eggens, „außer Bernstein wird an den Küsten von Ösel nämlich Achat und Jaspis gefunden. Das sind beides Halbedelsteine.“

      „Mhm.“ Hein Ropers kratzte sich am Hinterkopf. „Und diese Pfeilspitzen sind das Firmenzeichen von Herrn Tyndall?“

      „So kann man es nennen“, erwiderte Arne von Manteuffel, „es war eine Marotte von Thorstens Vater, und dabei ist es dann nach dem Tod des alten Thor Tyndall geblieben.“

      „Wie auch immer“, sagte Renke Eggens mit sorgenvoller Miene, „wir stehen jedenfalls vor einem Berg von Problemen.“

      Arne von Manteuffel nickte nachdenklich. Der Fund der Tyndallschen Bernsteinkisten an Bord des ehemaligen polnischen Flaggschiffs änderte die gesamte Situation. An erster Stelle stand die Folgerung, daß Generalkapitän Witold Woyda keineswegs stillhalten würde. Er mußte ganz einfach alles daran setzen, seine Galeone mitsamt Ladung zurückzuerobern.

      Arne teilte dem Ersten Offizier und dem Bootsmann seine Überlegungen mit.

      „Außerdem gibt es da noch eine entscheidende Frage“, fügte er hinzu, „nämlich: Wie ist unser gemeinsamer Freund, der ehrenwerte Generalkapitän, in den Besitz der Kisten gelangt?“

      „Ich weiß, an was du denkst“, sagte Renke Eggens grimmig. „Was mit Jens Johansen in Wisby passiert ist, werden wir alle so bald nicht vergessen. Vielleicht gibt es mit diesen Tyndall-Kisten ähnliche Zusammenhänge.“

      „Möglich.“ Arne von Manteuffel preßte die Lippen zusammen. Seine Ahnungen waren düster.

      Das Handelshaus Jens Johansen in Wisby auf Gotland war ein alteingesessenes und renommiertes Kontor gewesen – wie das Haus Tyndall in Hapsal. Doch wie Thorsten Thyndall, so hatte auch Jens Johansen illegal mit Bernstein gehandelt. Beide mißachteten den Anspruch jedweder Obrigkeit auf das Bernsteinmonopol, und beide vertraten den Grundsatz, daß das Gold der Ostsee logischerweise dem gehören mußte, der es fand. Und gefunden wurde der Bernstein meist im Wasser oder unmittelbar am Strand, von den Wellen angespült. Also mußte ein solcher Fund auch der Lohn für denjenigen sein, der danach gesucht hatte.

      Irgendwelche Landesherren, die weit entfernt auf ihrem Schloß oder ihrer Burg saßen, trachteten nur danach, noch mehr an sich zu raffen. Da war es ihnen nur recht und billig, kurzerhand durch einen Erlaß sämtliche Bernsteinfunde für sich zu beanspruchen. Etwa wie derzeit der schwedisch-polnische König Sigismund III. im fernen Warschau oder Krakau. Ein weltfremder Mensch mußte er sein – nicht nur, was seine sonderbare Bernsteingesetzgebung betraf. Von ihm wurde auch erzählt, daß man nur Zutritt zu ihm habe, wenn es der Kreis jener Jesuiten gestattete, mit denen er sich zu umgeben pflegte.

      Für Arne von Manteuffel stand seit langem fest, daß Jens Johansen in Wisby ein Opfer der Machtansprüche König Sigismunds geworden war. Agenten mußten Johansen beobachtet und schließlich ausgekundschaftet haben, daß er unerlaubterweise mit Bernstein handelte. Sigismunds Schergen hatten den Mord an Johansen ausgeführt, in diesem Fall der verbrecherische spanische Kapitän Juan de Gravina, mit dem insbesondere der Seewolf in Wisby aneinandergeraten war.

      Arne riß sich von den unangenehmen Gedanken los. Er winkte den Bootsmann und die beiden Decksleute zu sich heran.

      „Ich muß genau wissen, was sich in den Kisten befindet. Öffnet sie alle und fertigt mir eine Liste an.“

      Hein Ropers und die beiden Männer begannen sofort mit der Arbeit.

      „Eins scheint mir ausgeschlossen“, sagte Renke Eggens.

      „Und das wäre?“ Arne von Manteuffel zog die Augenbrauen hoch.

      „Daß der saubere Generalkapitän oder einer seiner Leute diese Kisten bei Tyndall gekauft hat.“

      „Der Meinung bin ich auch. Entweder haben die Polen die Kisten heimlich gestohlen. Oder“, Arne atmete tief durch, „sie haben die Ladung mit Gewalt an sich gebracht. Daß würde aber bedeuten, daß Thorsten Tyndall wahrscheinlich nicht mehr lebt.“

      „Man sollte nicht gleich das Schlimmste annehmen.“

      „Nein. Deshalb ist es auch unsere Pflicht, ihm die Kisten zurückzubringen. Thorsten Tyndall ist ein anständiger, ehrbarer Kaufmann und ein guter Mensch, kein Schlitzohr von der Sorte dieses Witold Woyda.“

      Hein Ropers hatte sich einen ersten Überblick verschafft.

      „Wir haben hier insgesamt vierzehn Kisten“, meldete er, „in zwölf davon ist ausschließlich Bernstein, nur in zweien befindet sich dieses andere Zeug.“

      „Achat und Jaspis“, sagte Arne von Manteuffel und nickte.

      „Dann fangen wir jetzt mit der Liste an.“

      Arne und sein Erster Offizier ließen den Bootsmann und die Decksleute im Laderaum allein. Die geänderte Lage erforderte neue Entscheidungen.

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