Seewölfe - Piraten der Weltmeere 337. Roy Palmer
bestimmt gewesen war.
Ein Schatz von unermeßlichem Wert, Schmuck aus Gold und Diamanten – selten zuvor hatte selbst Hasard eine so große Ansammlung erlesener Kostbarkeiten gesehen! Trotz des Sturmes mußte er plötzlich lächeln, denn er dachte an Don Lope de Sanamonte, den Festungskommandanten von St. Augustine.
Don Lopes Miene war von grenzenloser Erschütterung und Verzweiflung gezeichnet gewesen, als die Männer der „Isabella“ ihm zunächst aus der Klemme geholfen, ihn dann aber um den Schatz erleichtert hatten. Als sie das Fort verlassen hatten, hatte er sich von dem Schrecken immer noch nicht erholt. Sprachlos und mit offenem Mund hatte er dagestanden. Größer hätte die Schmach, die man ihm zufügte, nicht sein können – er war ein gebrochener Mann.
Gedemütigt worden war auch Mardengo, der sich mit seiner stark angeschlagenen „Grinthian“ und acht Einmastern auf die offene See gerettet hatte. Hasard und Ferris hatten ihn nach dem mißglückten Enterangriff an Bord der „Isabella“ auf die Pfanne der Höllenflaschenabschußkanone gesetzt und dann in den Matanzas-Fluß befördert.
Hasard konnte sicher sein, daß beide Gegner diese Schande nicht vergessen würden. Von jetzt an war ihr ganzes Bestreben darauf ausgerichtet, den „schwarzhaarigen Bastard“ wiederzufinden, der ihnen derart zugesetzt hatte.
Auch sie hatten mit dem Sturm zu kämpfen, der sich jetzt zu seiner vollen Stärke entwickelte und an der Ostküste von Florida entlangbrauste. Doch sobald eine Wetterberuhigung eintrat, würden sie sich auf die Suche nach ihrem erklärten Todfeind begeben.
Der Seewolf wußte genau, daß er seine Kampfkraft jetzt nicht überschätzen durfte. Auch die „Isabella“ hatte gelitten, und drei seiner Männer waren leicht verletzt: Gary Andrews, Paddy Rogers und Mac Pellew. Ein neues Gefecht, ganz gleich, ob gegen Mardengo oder gegen die Spanier, konnte schlechter enden als der Kampf von St. Augustine. Deshalb mußte er vorläufig jedes Risiko umgehen.
In etwa zehn Meilen Abstand zur Küste segelte die „Isabella“ wenig später an der Mündung des Rio Matanzas und an Fort St. Augustine vorbei – unbemerkt von den Spaniern, ungesehen von Mardengo, der viel weiter draußen mit seinen Schiffen vor dem Sturm nach Süden abzulaufen begann, und unbehelligt auch von dem Verband aus Havanna, der in dieser Nacht St. Augustine anlief. Ein Zufall wollte es, daß dieser Konvoi von acht Galeonen unter dem Kommando von Don Augusto Medina Lorca weder der „Isabella“ noch der stark reduzierten Piratenflotte begegnete.
Tintenschwarz war die Finsternis, man konnte kaum noch die Hand vor Augen erkennen. Die Blitze sorgten für gleißende Helligkeit, die jeweils aber nur wenige Lidschläge andauerte und die Konturen der Gestalten auf dem Oberdeck der „Isabella“ wie die Umrisse geisterhafter Wesen nachzeichnete. Der düstere Vorhang der Nacht schien in Fetzen gerissen zu werden, an allen Seiten stachen die weißen Schlitze auf die Oberfläche der See.
Heftiger Donner erklang und übertönte das Fluchen der Männer. Der Wind orgelte heran und brachte die Luvwanten und Pardunen zum Schwingen, er rüttelte an den Masten und Rahen und fuhr in die nun gesetzten Sturmsegel, als wolle er sie mit einem Schlag zerfetzen. Die See bäumte sich auf und fiel über das Schiff und seine Crew her. Immer höher stiegen die Brecher auf, die brüllend gegen die Bordwände donnerten. Sie hoben die „Isabella“ hoch und ließen sie in gähnende Schluchten hinunterrasen, sie überfluteten die Decks mit ihrem Wasser und durchnäßten die Gestalten der Männer.
Die Männer klammerten sich an den Manntauen fest, um nicht über Bord gerissen zu werden. Sie sicherten die Beiboote, so gut es ging, sie überprüften immer wieder die Verschalkungen der Luken und Schotten, und sie hörten nicht auf, besorgt zum Rigg hochzuschauen, das unter den Sturmböen bedrohlich knarrte und knackte.
Hasard bemühte sich, nicht die Orientierung zu verlieren, doch bald gab es keinen einzigen Anhaltspunkt mehr für ihn und seine Männer. Die Küste war auch im Zucken der Blitze nicht mehr zu erkennen, und nach dem Mond und den Sternen konnten sie sich erst recht nicht richten. Von nun an konnten sie ihre Position nur noch schätzen, und die Suche nach einer geschützten Bucht wurde zu einem schwierigen und waghalsigen Unterfangen.
Riffe und Sandbänke waren der Küste von Florida in weiten Bereichen vorgelagert. Hasard durfte nicht riskieren, südlich von St. Augustine zu dicht unter Land zu gehen, die Gefahr, Schiff und Mannschaft zu verlieren, war zu groß.
Er war dazu gezwungen, seinen Plan aufzugeben. Vorerst bot sich keine Chance mehr, eine Bucht als Nothafen anzulaufen. Er mußte den Sturm abwettern und versuchen, die Nacht zu überstehen. Ob es ihm gelang, war mehr als ungewiß. Der Sturm peitschte wie mit Geißeln der Hölle auf die „Isabella“ ein, sie stampfte und schlingerte wie verrückt in den kochenden Fluten und schien jeden Augenblick querschlagen zu wollen.
„So ein elender Dreck!“ brüllte Carberry auf dem Hauptdeck. Mit beiden Händen klammerte er sich an einem der straff gespannten Manntaue fest. „Hölle, in was für eine Teufelssuppe sind wir da nur geraten?“
„Hoffen wir, daß es kein Hurrikan ist!“ schrie Blacky, der nicht weit von ihm entfernt in den Tauen hing.
Ein Brecher ergoß sich donnernd und mit wild sprühendem Gischt über das Schiff. Der Profos klappte schnell den Mund zu und duckte sich – die Wasser rauschten über ihn weg.
Er richtete sich wieder auf, stieß einen saftigen Fluch aus und brüllte: „Es ist kein Hurrikan, aber der Wassermann soll mich holen, wenn das kein ausgewachsener Sturm ist!“
„Er haut uns noch die Lady kaputt!“ schrie Smoky dazwischen. „Der Teufel soll dieses verdammte Florida holen!“
So ging es weiter – sie wetterten und fluchten sich die Seele aus dem Leib, aber es nutzte ihnen nicht viel. Der Sturm tobte sich voll aus und jagte die „Isabella“ wie eine leichte Kokosnußschale vor sich her. Er schüttelte sie durch und zerrte wild heulend an ihren Segeln und Rahen – und die Arwenacks begannen ernsthaft um ihr Schiff zu bangen.
Ferris mußte mit einer Handvoll Männer in den Laderaum hinunter und ein Leck abdichten. Das Wasser schien jetzt von allen Seiten mit größter Macht eindringen zu wollen. Von nun an war der Trupp des rothaarigen Riesen ständig unter Deck unterwegs und mußte, während es an den Bordwänden bedenklich rauschte, dröhnte und knackte, nach weiteren undichten Stellen suchen.
Gegen Mitternacht ereignete sich der erste Zwischenfall. Al Conroy, der sich gerade auf der Back befand und mit aller zur Verfügung stehenden Kraft festhielt, um nicht außenbords gespült zu werden, vernahm plötzlich einen alarmierenden Laut über sich. Er hob den Kopf und konnte im Aufzucken eines Blitzes erkennen, wie die Vormarsrah ins Taumeln geriet. Es krachte und knarrte, und der Sturm heulte zur Begleitung. Al begriff sehr schnell, was geschah, und stieß einen Warnruf aus.
Smoky, der an der Backbordseite die Back enterte, um Al beim Sichern einiger Fallen zu helfen, hörte den Ruf und sah Al auf sich zuspringen. Er duckte sich, und dann war Al auch schon über ihm und riß ihn vom Niedergang. Sie landeten auf dem Hauptdeck, überrollten sich und sausten auf den abschüssigen Planken bis zur zweiten Gräting und den beiden Jollen.
Im selben Augenblick löste sich die Vormarsrah aus ihren letzten Verankerungen und krachte auf die Back.
Es dröhnte und splitterte, und ein Teil des Schanzkleides zu beiden Seiten des Schiffes ging unter dem Aufprall der schweren Spiere zu Bruch. Dann lag die Rah still, sie hatte sich verfangen und rutschte wider Erwarten nicht in die tosende See.
Al und Smoky klammerten sich an der Gräting fest. Sie hoben die Köpfe, schüttelten sich wie zwei Betrunkene, blickten zu der Spiere und sahen sich dann an.
„Mann, haben wir ein Glück gehabt!“ stießen sie gleichzeitig hervor.
„Die Rah bergen!“ brüllte Hasard im Fauchen des Windes und im Donnern der Brecher.
Smoky und Al rappelten sich auf und setzten sich gemeinsam mit Blacky, Carberry, Batuti und Matt Davies zur Back hin in Bewegung. Sie enterten das Vorkastell über beide Niedergänge, dann begannen sie, die Spiere, die trotz des harten Aufpralls nicht beschädigt zu sein schien, mit vereinten Kräften festzuzurren.
„Das