Seewölfe - Piraten der Weltmeere 474. Fred McMason
nicht. Vielleicht würde er sie sich eines Tages aber anfressen.
Als er jetzt ausstieg, blickten sogar die gleichgültigen Macheteros auf, aber nicht, um ihm mit bewundernden Blicken zu huldigen. Sie fanden den Señor Gouverneur eher spaßig, weil er sich wie ein Schmierenkomödiant aufführte.
Die Marktweiber stießen sich mit den Ellenbogen an – sehr unauffällig geschah das – und grinsten verstohlen. Auch die Fischer und Siedler grinsten heimlich oder verbargen ihr Grinsen mühsam hinter betont starren Gesichtern.
Was da über das Treppchen stieg, war ein aufgeblasener, hagerer Mensch. Seit er den Gouverneursposten innehatte, hatten sich auch seine Gesichtszüge verändert. Seine Miene zeigte den Dünkel des erhabenen Potentaten. Sein Ausdruck war blasiert und hochmütig und verkündete aller Welt, daß er der Größte sei.
Geziert bewegte er sich hinunter.
Die Marktweiber grinsten wieder, als der Kerl jetzt in voller Größe auf dem Pflaster stand. Natürlich hatten die diensteifrigen Lakaien vor das Treppchen noch einen kleinen Teppich gelegt, damit der Erhabene nicht unmittelbar den Staub der Straße berührte.
Er trug einen affigen Federhut, ein weißes Rüschenhemd und elegant gestreifte Kürbishosen. Über den Kürbishosen befand sich ein mit Brokat besetztes Wams mit vielerlei Zierrat. Dazu trug er weiße Strümpfe, Schuhe mit Silberschnallen und an einem Wehrgehänge einen kleinen Zierdegen. Wenn die Sonnenstrahlen auf seine Finger fielen, blitzte es grell auf, die Steine der kostbaren Ringe funkelten farbenprächtig in der Sonne.
Von einem dieser Ringe pustete er geziert ein unsichtbares Stäubchen, das vielleicht das Glitzern hätte verhindern können.
Der kernige Landesvater setzte sich in Bewegung, begleitet von den Lakaien und gefolgt von zwei berittenen Stadtgardisten.
Den Pöbel übersah er gelangweilt. Das war Volk, und für einen Erhabenen seines Ranges war Volk nicht existent. Er hielt es für absolut unter seiner Würde, diesen Bauernlümmeln auch nur einen wohlwollenden Blick zu gönnen. Marktschreierisches Gesindel war das, die rochen geradezu nach armen Leuten, und dementsprechend rümpfte er auch die Nase.
Die Lakaien hatten von ihrem Herrn bereits eine ganze Menge gelernt und abgeschaut. Das Volk war für sie ebenfalls nicht existent, und so sahen sie hochmütig darüber hinweg.
Der Gockel stolzierte weiter und benahm sich ganz so, als sei er allein auf der Welt. Lakaien und Berittene folgten ihm mit blasierten Gesichtern, als er auf die Faktorei zuschritt.
Der Türke Jussuf hatte die Prozession bereits herannahen sehen, noch bevor sie die Faktorei erreichten.
Er schüttelte den Kopf und dachte an das gestrige Gespräch. Da hatte Arne noch prophezeit, daß der neue Gouverneur sehr bald auch in der Faktorei aufkreuzen würde, um sich das Einlaufen der deutschen Karavelle „Goldene Henne“ bezahlen zu lassen.
Jetzt war der Fall eingetreten. De Escobedo erschien, um sein Schmiergeld einzuheimsen. Der Erhabene hatte nämlich verfügt, daß nichtspanische Schiffe erst einmal auf der Reede ankern müßten, damit er erkunden konnte, was sie geladen hatten.
Jean Ribault hatte das bereits in allen Einzelheiten ausführlich berichtet. Außer dem Portugiesen waren bereits ein französisches und ein flämisches Schiff spurlos verschwunden.
Darüber waren in Havanna die wildesten Gerüchte umgegangen.
Daß der ehrenwerte Gouverneur dahintersteckte, wußten nur ein paar Leute. Amtlicherseits behauptete man jedoch, man habe Beweise, daß es sich um Küstenschnapphähne handele, denen man aber schon bald das üble Handwerk legen würde. Der ehrenwerte Gouverneur würde mit „eiserner Hand“ durchgreifen.
Jussuf meldete die Ankunft sofort Arne.
„Dann verschwinde ich jetzt besser in die oberen Räume“, sagte Jean Ribault.
Arne nickte und blieb im Büro sitzen. Er lächelte grimmig vor sich hin, denn genau das hatte er erwartet, daß ihn dieser Gauner aufsuchen würde. De Escobedo hatte bereits unter fadenscheinigen Begründungen die Faktorei durchsuchen lassen und tückisch angekündigt, daß er als neuer Gouverneur ein ganz besonders wachsames Auge auf alle Fremden haben würde, die im spanischen Herrschaftsbereich herumschnüffelten. Es sei auch noch eine Frage, ob er ein deutsches Handelshaus in Havanna dulden könne.
Diese unverhüllte Drohung hatte Arne mit dem uralten Mittel der Bestechung allerdings geschickt abgefangen, und de Escobedo hatte gierig und schnell zugegriffen.
Inzwischen war der Franzose Jean Ribault nach oben gegangen und betrachtete, hinter einer Gardine versteckt, die Ankunft dieses geschniegelten Hundesohns.
Er grinste verächtlich, als er den stutzerhaft gekleideten Kerl und seine hochnäsigen Lakaien sah.
Er sah, wie de Escobedo gnädig die Hand hob – für den Lakai die Aufforderung, den Klopfer aus Messing zu betätigen. Der Lakai tat das sehr ergebenst für den Erhabenen, denn ihm als Gouverneur war eine solch mindere Tätigkeit natürlich nicht mehr zuzumuten.
Dann stand der Kerl gelangweilt vor der Tür und wartete. Ribault trat grinsend vom Fenster zurück.
Als es unten klopfte, öffnete Isabella Fuentes. Die schwarzhaarige Schönheit mit den dunklen Augen, die sich seit einiger Zeit unter Arnes Obhut befand, begrüßte den Gast mit einem höflichen Knicks.
Sie sah sich einem Kerl mit Federhut, Kürbishosen, Rüschenhemd und affigem Degen gegenüber, der sie mit hochgezogenen Augenbrauen ungeniert musterte.
De Escobedo starrte sie an und hüstelte affektiert, weil er das für besonders charmant hielt.
Teufel, Teufel, dachte er, was für ein herrliches Weib! Prachtvoll, jung und hübsch gewachsen, mit langen schwarzen Haaren, ausdrucksvollen Lippen und einer kleinen geraden Nase. Na, und dann die Äpfelchen, die sich unter der Bluse abzeichneten! Paradiesäpfel sind das, dachte der Erhabene lüstern. Und diese schlanken Beinchen!
Er hüstelte wiederum affektiert.
Und da er ein schneller „Beschließer“ war, beschloß er auch sogleich, daß dieses hübsche Weib zu ihm als Zofe und Betthäschen viel besser paßte als in diese deutsche Faktorei. Mit der konnte man sich sehen lassen. Er würde sie also zu sich nehmen, denn was hatte der deutsche Kaufherr ihr schon zu bieten?
Er grinste wie ein Faun, krümmte den rechten Zeigefinger und wollte sie gerade gönnerhaft unter dem Kinn kitzeln, wie er das dem dicken Exgouverneur abgesehen hatte.
Da räusperte sich jemand im Hintergrund. Jörgen Bruhn hatte den geschniegelten Affen beobachtet und sich eins gegrinst. Jetzt räusperte er sich und öffnete einladend die Tür von Arnes Büro.
De Escobedo hüstelte erneut, diesmal jedoch aus Verlegenheit. Er ärgerte sich ein bißchen, daß der Kerl das gesehen hatte, aber er überspielte es.
Die Gouverneursrolle paßte ihm noch nicht so richtig, er mußte da erst einmal hineinwachsen. Zur Zeit äffte er nur den dicken Don Antonio nach und tat alles das, was der ihm vorgemacht hatte. Nur die Idee mit dem Schiffe ausplündern, die war auf seinem eigenen Mist gewachsen.
Er warf sich in die Brust und dem „schönen Kind“ noch einen schnellen Blick zu. Linke Hand stolz und blasiert auf dem Zierdegen, trat er in das Büro der Faktorei.
Das erste, was Arne wahrnahm, nachdem er den miesen Emporkömmling erblickt hatte, war ein etwas aufdringlicher Duft, der den Erhabenen umgab.
Einen feinen Geschmack hat der Kerl, dachte Arne angewidert. Der riecht nach Zimt und Nelken, die in faulen Äpfeln gesteckt haben müssen. Die Aura des Hochmögenden breitete sich pestilenzartig gleich im ganzen Büro aus.
Arne ließ sich nichts anmerken. Er empfing den Kerl mit höflichfreundlicher Zurückhaltung und ließ ihn nicht spüren, wie sehr er ihn verachtete – und daß er längst wußte, wer auf der Reede die Schiffe ausplündern ließ, um sich die eigenen Taschen zu füllen. Aber dieser Miesling stieß ihm doch auf wie ranziges Öl.
Er kannte auch bereits die