Seewölfe - Piraten der Weltmeere 269. Roy Palmer

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 269 - Roy Palmer


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doch die Balance halten können und erschien nun in der Türöffnung.

      „Wen haben wir denn da?“ fragte er. „Ist das – ein Mensch?“

      „Frag doch nicht so blöd“, zischte Juan Vidal. „Siehst du das nicht? Eine Frau – und dazu noch eine junge und hübsche. Ist das vielleicht nichts?“

      „Was zu essen, wäre mir lieber gewesen.“

      „Sei still, du Narr. Hilf mir lieber. Na los, pack mit an, wir tragen sie zurück in die Hütte.“

      „Was hast du mit ihr vor?“ fragte der Dicke verdattert.

      „Kannst du dir das nicht denken?“

      „Alter Bock“, brummte Baltasar mürrisch. „Aber so ganz auf nüchternen Magen kann das nicht gutgehen. Du bist der Narr von uns beiden, nicht ich.“ Er bückte sich aber doch, um seinem Freund zu helfen und griff nach den zappelnden Beinen der Frau.

      Schiffe näherten sich an diesem Abend von Nordafrika her der spanischen Küste und der Meerenge von Gibraltar – kleine, wendige Segler mit einem oder zwei Masten und spitzen Lateinersegeln, die sie an langen Gaffelruten fuhren. Ihre Besatzungen standen mit entschlossenen Mienen an Deck und hielten die Augen nach allen Seiten offen, als könne jeden Moment aus der Dunkelheit ein Gegner auftauchen, auf den sie schon seit einiger Zeit warteten.

      Ohne Positionslichter strebten die Schiffe ihrem Ziel entgegen, Schatten in der Nacht, die man nicht einmal auf kürzeste Distanz erspähen konnte.

      Bald sollten sie sich zu einem großen Verband zusammenrotten, schon im Morgengrauen wollten sie den „Estrecho“, die Meerenge, bewachen und auf den Feind lauern. Den Tod hatten die Kapitäne der Schiffe jenen Unbekannten geschworen, die sie zwar nie zuvor in ihrem Leben gesehen hatten, die sie aber doch abgrundtief haßten.

      So waren Tod und Vernichtung die Devise der Besatzungen, denn ein mächtiger Mann hatte sie gerufen und ihnen einen Auftrag übermittelt: Uluch Ali, der Beylerbey von Tunis und Bengasi, der Oberschnapphahn aller nordafrikanischen Mittelmeer-Piraten, hatte wutschnaubend seine Reiter losgeschickt, bis nach Ceuta hinauf, um die Männer zu stoppen, die ihm eine schmähliche Niederlage zugefügt hatten. Tag und Nacht waren die Reiter unterwegs gewesen, und Uluch Alis Nachrichtennetz hatte funktioniert: Noch konnten die Giaurs, die „verdammten Christenhunde“, denen er die Pest und den Teufel an den Leib wünschte, Gibraltar nicht erreicht haben. Aber es stand fest, daß sie westlichen Kurs segelten, um in den Atlantik zu gelangen.

      Uluch Ali hatte sich selbst jedoch geschworen, daß sie das Mittelmeer niemals verlassen sollten.

      Die „Christenhunde“, gegen die sich all sein Haß wandte, trugen Namen wie Philip Hasard Killigrew, Ben Brighton oder Donegal Daniel O’Flynn, und allein bei ihrem Klang erzürnte der alte Piratenknochen und Galgenstrick bis zur Weißglut.

      Selbst hatte er nun nicht bis nach Marokko reiten können, die Umstände sprachen dagegen, er hielt sich derzeit viel weiter östlich auf. Doch er hatte seine Verbündeten auf den Plan rufen können, jene Schnapphähne, die in ihren Schlupfwinkeln längs der nordafrikanischen Küste stets zum Auslaufen bereit lagen und nur darauf warteten, Beute reißen zu können.

      So segelte der Verband der Sarazenen in dieser Nacht auf nördlichem Kurs, um die Zufahrt zum Atlantik hermetisch abzuriegeln. Doch davon ahnten weder die Seewölfe etwas, noch wußten Baltasar Tabaro und Juan Vidal, daß sie bald auf höchst unangenehme Weise in die Geschehnisse verwickelt werden sollten.

      Das Unheil nahm seinen verhängnisvollen Lauf, es ließ sich nicht mehr aufhalten.

      Die junge Frau schrie und fluchte abwechselnd, doch aller Protest nutzte ihr nichts – Baltasar und Juan zerrten sie zurück in den Metato, der so verlassen auf sie gewirkt hatte und nun doch eine Überraschung bot.

      Die beiden Männer fanden einen kleinen Haufen Stroh, auf dem sie gelegen haben mußte, als sie eingedrungen waren. Genau hier wollte Juan über sie herfallen, als ihre Bewegungen plötzlich nachließen und sie mit erstaunlich kühler Stimme sagte: „Tu, was du nicht lassen kannst, Hombre. Aber ich warne dich. Mir macht es nichts aus, doch du wirst es noch bereuen. Dein ganzer Körper wird sich mit Schwären bedecken, und die Zähne werden dir ausfallen. Es gibt kein Mittel dagegen, wie du auch nicht verhindern kannst, daß sich dein Geist umnachtet und du im Wahnsinn stirbst.“

      Baltasar stieß einen Laut aus, der einem Kreischen sehr ähnlich war. „Sie hat die Blattern, Juan! Laß sie los! Por Dios, rühr sie nicht mehr an! Hauen wir ab, Mann, hauen wir ab!“

      „Schweig“, sagte Juan ärgerlich. „Merkst du nicht, daß sie uns nur täuschen will, um sich zu retten?“

      „Um mich zu retten?“ Die Frau lachte, es klang kalt und höhnisch. „Das ist wirklich ein Witz, Caballero! Nur zu, ich habe nichts zu verlieren. Was du haben willst, gehört bei mir zum Geschäft, nur bin ich gezwungen, es dir umsonst zu geben. Aber ich kann’s verkraften, glaube es mir.“

      „Du bist eine Hure?“ fragte Juan.

      „Ja, aus Malaga. Mein Name ist Maria Sanciro. Ihr könnt euch dort nach mir erkundigen, wenn ihr wollt, ich gebe euch eine Adresse, wo man genau über mich Bescheid weiß.“ Wieder lachte sie kalt.

      „Du nimmst uns doch auf den Arm“, sagte Juan, aber sein Tonfall war jetzt etwas unsicher geworden. „Was hast du hier draußen in der Einöde zu suchen, wenn du aus Malaga bist?“

      „Ich bin von dort abgehauen. Einer meiner Freier ist hinter mir her und will mich umbringen.“

      „Weswegen denn?“ fragte Baltasar.

      „Wegen meines Leidens. Ich habe es ihm angehängt, verstehst du, mein schwergewichtiger Freund?“

      „Was für ein teuflisches Leiden ist das?“ keuchte er entsetzt.

      „Muß ich es dir erklären?“

      Baltasar schwieg und grübelte nach, er war ein wenig schwer von Begriff. Juan aber sagte: „Du lügst ja doch. Ich habe dich draußen genau angeschaut, du hast kein einziges Mal deiner Krankheit auf dem Leib. Wie reimt sich das zusammen?“

      „Es ist so, daß ich sie nur an mir habe, selbst aber nicht daran zugrunde gehe. Aber, bitte, wenn du mir nicht glaubst, sollst du deinen Spaß haben.“ In den wenigen Streifen Mondlicht, die durch ein Fenster in die Hütte fielen, konnten sie beide sehen, wie sie an ihrem Kleid zu nesteln begann und sich anschickte, es zu öffnen.

      Juan spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Er hatte sie längst losgelassen und fuhr sich jetzt mit der Hand über den Hals. Als sie ihre ansehnlichen Brüste freilegte, beschrieb er eine abwehrende Geste und sagte gepreßt: „Schon gut, ich glaube dir ja. Wir tun dir nichts an, keine Angst. Wie lange bist du schon unterwegs?“

      „Drei Tage und drei Nächte“, antwortete Maria Sanciro und knöpfte ihr schlichtes, leicht angeschmutztes Kleid wieder zu.

      „Hast du was zu essen dabei?“ erkundigte sich Baltasar.

      „Nein. Ich bin hier untergekrochen, um die Nacht an einem sicheren Platz zu verbringen, aber mir knurrt auch der Magen. Woher kommt ihr eigentlich?“

      „Von Norden, aus Richtung Cordoba“, erwiderte Juan.

      „Verrückt. Und wohin wollt ihr?“

      „Das wissen wir selber nicht“, erwiderte Baltasar traurig.

      „Ich will nach Gibraltar, aber ich habe keinen müden Dublonen bei mir, nicht mal ein Kupferstück“, sagte sie. „Ich fürchte, ich breche unterwegs noch zusammen, vor Erschöpfung.“

      Juan überlegte, ob er sie durchsuchen sollte, aber er zog es vor, ihr doch lieber alles abzunehmen, was sie ihnen erzählte. Er strich sich mit der Hand übers Kinn, dann sagte er: „Gibt es denn hier in der Nähe keinen Bauernhof?“

      „Doch, gar nicht weit entfernt ist einer. Aber allein traue ich mich nicht hin.“ Sie seufzte. „Ich bin dort vorhin vorbeigegangen und habe die Hühner im Stall gackern hören. Es klang wirklich verlockend, aber


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