Seewölfe - Piraten der Weltmeere 463. Fred McMason
Impressum
© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-871-3
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Fred McMason
Die Geister des Old O’Flynn
Die Rumflasche hatte die Schuld – und jetzt saßen sie in der Patsche
Die wie ein Haken gekrümmte Cherokee-Bucht an der Ostküste von Great Abaco war ein feines, geschütztes Plätzchen für den neuen Stützpunkt des Bundes der Korsaren. Außerdem hatte Old O’Flynn – allerdings unfreiwillig – eine Tropfsteinhöhle entdeckt, die sich vorzüglich als Beuteversteck eignete. Aber weitere Überraschungen standen dem alten Haudegen und seiner Crew bevor, als sie mit der „Empress of Sea“ das Gebiet südwestlich von Great Abaco erkundeten und eine Durchfahrt zwischen Nord- und Mittel-Andros suchten. Da lief die „Empress of Sea“ nämlich auf eine Sandbank, was den Alten aber keineswegs erschütterte, denn nach seiner Logik hätte das Schiffchen auch auf ein Korallenriff brummen können. Aber der Sand, meinte er, sei ein sanftes Ruhekissen …
Die Hauptpersonen des Romans:
Coanabo – ein Arawak-Häuptling mit berechtigtem Zorn auf die Spanier.
Old O’Flynn – spinnt auf „den Heiligen Geist der Insel“.
Der Kutscher – wird geradezu tobsüchtig, weil man sich an seinem Arztbesteck vergreift.
Edwin Carberry – hat schwere Bedenken, daß er in einem Suppenkessel gegart werden soll.
Hasard junior – bleibt sachlich und hat eine Idee.
Inhalt
1.
27. April 1595 – Bahama-Insel Nord-Andros.
Verbiestert und verärgert waren die sechs Männer und die beiden Killigrew-Söhne Hasard und Philip.
Am meisten ärgerten sie sich über Old O’Flynn, den Geisterseher, der das alles durch seine Dösigkeit verbockt hatte. Man konnte auch sagen, der Rum war schuld – oder die angeblichen Geister, doch im Grund war es das gleiche und änderte nichts an den Tatsachen.
Sie hockten gefangen in einer stabilen Pfahlbauhütte der Arawaks an einem Creek der Insel Nord-Andros.
Es war jetzt zwei Stunden nach Mitternacht, doch an Schlaf dachte keiner der Männer, denn die Ereignisse hatten sich buchstäblich überschlagen.
Sie waren dem Arawak-Häuptling Coanabo und seinen Kriegern in die Hände gefallen, nachdem sie mit der „Empress“ aufgebrummt waren und festsaßen. Die Indianer hatten sie vor Mitternacht im Handstreich überwältigt, in Kanus verfrachtet und zu der versteckt gelegenen kleinen Pfahlbausiedlung gebracht. Coanabo hielt sie für Spanier – für seine Todfeinde. Daher sah es für die sechs Männer und die Zwillinge nicht besonders rosig aus.
Auch die Wolfshündin Plymmie war dabei. Nur Sir John hatte sich schimpfend und krakeelend verzogen. Unsichtbar hockte er jetzt nach Mitternacht irgendwo auf einem Baum in der Nähe.
„Alles deine Schuld, Donegal“, knurrte der Profos Edwin Carberry gereizt. „Wenn du nicht gepennt hättest, als du die erste Wache gingst, dann hättest du die Indianer rechtzeitig gesehen, und wir hätten ihnen was an die Ohren gegeben. Dann säßen wir jetzt nicht hier in dieser dämlichen Misthütte.“
Old O’Flynns Stimmung war auch nicht viel besser, aber er konnte und wollte nicht zugeben, daß er am Abend ein bißchen zuviel an der Buddel genuckelt hatte und deshalb eingedöst war. Außerdem war das Essen sehr reichhaltig und gut gewesen. Zudem war er auch noch werdender Vater!
Bißchen viel auf einmal. Schließlich und endlich war er ja auch nicht mehr der Jüngste.
„Es war nicht meine Schuld“, beharrte er stur und dickköpfig.
„Klar! Du hast einwandfrei auf Wache gepennt, du Schnarchsack. Wenn du den Rum nicht mehr verträgst, dann sauf besser Wasser.“
„Es war nicht der Rum“, knurrte Old O’Flynn erbost. „Verflucht noch mal, wie oft soll ich das denn noch sagen! Das habe ich dir schon vorhin verklart.“
„Da warst du Trantüte doch noch vom Rum bestußt und hast gar nicht durchgeblickt.“
Die einzigen, die heimlich grinsten, waren die Zwillinge Hasard und Philip. Jetzt hatte sich Großväterchen mal wieder mit dem Profos in der Wolle, und da wurde an gutgemeinten Ausdrücken und Ratschlägen nicht gespart. Daß sie in der Finsternis ganz niederträchtig grinsten, sah ohnehin keiner.
„Der Heilige Geist der Insel hat mich betäubt, da bin ich ganz sicher“, murmelte Old O’Flynn. „Richtig schaurig war das.“
„Old O’Flynn mit eingebautem Geisterfühler, was wie?“ höhnte der Profos. „Dein Gefasel ist ja nicht mehr logisch, das ist schon – äh – na, wie sagt man doch gleich?“
„Biologisch“, sagte der Kutscher lustlos in die Dunkelheit hinein.
„Genau – biologisch“, tönte Carberry. „Biologische Salbaderei ist das, Mister O’Flynn. Dir sollte man die Ohren um den Hals wickeln und dich zum Lüften raushängen.“
„Und ich sage dir, es war der Heilige Geist der Insel“, wiederholte Old O’Flynn wütend. „Ohne diese verdammten Geister wäre das nie und nimmer passiert. Ich war wirklich stocknüchtern …“
„Haha“, sagte Carberry, „hört – hört! Er war stocknüchtern!“
„Der Kutscher weiß das auch“, knurrte Old O’Flynn. „Das lag einfach an der Stimmung, als wir auf der Sandbank saßen. Richtig gruselig war das, die Vogelschreie, die Geräusche aus dem Urwald, das Quaken von Fröschen und die Schatten, die über das Schiff segelten. Auf Andros geht es nicht mit rechten Dingen zu. Deshalb haben die Spanier die Insel ja auch auf den Namen ‚Insel des Heiligen Geistes‘ getauft. Und der Kutscher hat selbst gesagt, daß es hier Flugdrachen mit feurigen Augen, Elfen mit langen Bärten, drei Zehen und drei Fingern gibt. Das waren die Geister, die mich betäubt haben.“
Da keiner eine Antwort gab, räusperte sich Old O’Flynn heiser. Offenbar brauchte er jetzt die Unterstützung des Kutschers.
„He! Sag doch auch mal was, Kutscher“, maulte er.
Der Kutscher hockte still in seiner Ecke und bereute insgeheim, gestern abend so dick aufgetragen zu haben. Er hatte wahre Schauergeschichten über die Insel erzählt und dabei noch kräftig übertrieben. Aber schuld daran war Old O’Flynn, der hatte begierig zugehört und alles über Geister in sich aufgesogen wie ein Schwamm. Und weil der