Seewölfe - Piraten der Weltmeere 557. Burt Frederick

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 557 - Burt Frederick


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mit beiden Fäusten zupackte, ihn von dem Schemel wegzog und mit dem Rücken gegen die Wand neben der Eingangstür stieß. Es krachte dumpf.

      „Sei still!“ brüllte Garianidse mit zornschwellenden Schläfenadern. Er versetzte dem Boten klatschende Ohrfeigen, die wie eine Serie von Schüssen klangen. Wanos Schreie versickerten in einem Wimmern, als der Bandenführer begann, seine Wut in ihn hineinzuhämmern. Die Fäuste Garianidses waren wie Eisenklötze.

      Wano versank in eine Woge von Schmerz. Seine Rippen schienen unter den Schlägen zu brechen. Die Lippen platzten auf, das rechte Auge schwoll zu. Dennoch unternahm er nicht den geringsten Versuch, sich zu wehren. Er wußte: Sobald Garianidse auch nur den Ansatz von Gegenwehr spürte, würde er seinen unterlegenen Gegner totschlagen.

      Der Bandenführer hielt erst inne, als Wano mit verquollenem und blutendem Gesicht auf dem Boden lag und nicht mehr imstande war, sich zu rühren. Garianidse versetzte dem nun endgültig Wehrlosen einen Stiefeltritt, und Wano krümmte sich mit einem erstickten Schmerzenslaut.

      Er war einer Ohnmacht nahe, doch sein Peiniger hatte die Hiebe mit voller Absicht so bemessen, daß sie ihm die Gnade der Bewußtlosigkeit nicht gewährten.

      „Ich gebe dir noch eine Chance“, sagte der ehemalige Scherge Iwans des Schrecklichen eisig. „Du reitest nach Otschamtschire zurück. Jetzt, sofort. Du hast achtundvierzig Stunden Zeit, mir brauchbare Hinweise zu liefern. Wenn du in dieser Frist nicht wieder hier bist, weiß ich, daß du für die Gegenseite arbeitest. Dann werde ich dich jagen und dich töten.“

      Die Angst verlieh Wano die Kraft, sich trotz seiner tobenden Schmerzen ins Freie zu schleppen und auf den Rücken des Pferdes zu ziehen. Er wußte, daß Sergej Garianidse seine Drohung wahrmachen würde, wenn er seinen irrwitzigen Verdacht bestätigt sah.

      Seit seiner Rückkehr aus dem Reich des Iwan Grosny litt Garianidse unter einem Verfolgungswahn, der an Besessenheit grenzte. Als Opritschninamann mußte er sich schlimme Dinge geleistet haben, daß er jetzt ständig das Auftauchen von Rächern erwartete.

      Wano lag mit dem zerschundenen Gesicht auf der Mähne seines Pferds. Er mußte sich am Hals des Tiers festklammern, als er den verborgenen Talkessel im Kaukasus verließ.

       2.

      September 1597.

      Dieses Hafenstädtchen an der Küste des Tschernoye More war vom Klima begnadet. Subtropische Pracht entfaltete sich an dieser Küste, an den Rändern der Stadt beginnend. So weit das Auge reichte, nach Norden und nach Süden, erstreckten sich Palmenhaine und Plantagen von Zitronenbäumen. Außerdem gab es jene kleinwüchsigen Orangen, die man Mandarinen nannte. Auch Tee wurde angebaut.

      Dabei waren Hasard und seine Begleiter sicher, daß diese Fruchtbarkeit des Landes und die Milde des Klimas nur ein Teil jenes Reichtums waren, der den Wohlstand Georgiens insgesamt bedeutete.

      Philip Hasard Killigrew, Dan O’Flynn und Don Juan de Alcazar verließen den kleinen Hafen, den die Bürger von Otschamtschire in einer gut geschützten Bucht gebaut hatten. Zurück blieb das farbenfrohe Bild der überwiegend einmastigen Fischerboote und Frachtsegler.

      Über eine ausgetretene Steintreppe erstiegen die drei Männer die höhergelegene nördliche Landzunge. Üppig wucherndes Pflanzenwerk ließ den Eindruck einer grünen Wand entstehen, die den Hafen begrenzte. Ein gepflasterter Spazierweg führte einerseits bis zur seewärtigen Spitze der Landzunge und andererseits bis in die Stadt.

      Unwillkürlich blieben Hasard und seine Begleiter stehen. Die Menschen in diesem paradiesisch anmutenden Land schienen begriffen zu haben, welche Vorzüge sie genossen. Der Pflasterweg auf der Landzunge erfüllte keinen praktischen Zweck, außer jenem, daß man sich von hier aus an der Schönheit der Umgebung satt sehen konnte.

      Da war das Meer, dessen blauschwarze Fluten im strahlenden Sonnenschein unter wolkenlosem Himmel nahezu unbewegt waren. Nur in der Ferne, vor der westlichen Kimm, zeigten sich feine Linien von Schaumkronen.

      Die laue Brise, die über der Küste spielte, vermochte das Uferwasser nur in träge Bewegung zu versetzen. Sachte umspielte es jene in Jahrtausenden plattgeschliffenen grauschwarzen Steine, die den breiten Küstenstreifen anstelle von Sand bedeckten. Es war ein Bild von eigentümlichem Reiz, es hatte etwas Düsteres und zugleich Heiteres.

      Jenseits der Palmenhaine und Zitronenplantagen erhob sich landeinwärts das mächtige Massiv des Kaukasus – noch von morgendlichem Dunst umhüllt und scheinbar zum Greifen nahe.

      Die Stadt Otschamtschire übertraf an Farbenpracht noch die Boote im Hafen. Häuser aus Holz, aber auch aus Stein gemauert, gruppierten sich an den Hängen und in den Senken der hügeligen Küstenregion. Fassaden und Giebel waren in heiteren Farben gestrichen, Palmen und Plantagen überschatteten die großzügig angelegten Straßen und Gassen mit ihren Blätterdächern.

      „Hier könnte man in Versuchung geraten“, sagte Don Juan beeindruckt.

      Hasard und Dan sahen ihn an.

      „In Versuchung, hierzubleiben?“ fragte der Seewolf.

      Der Spanier nickte.

      „Denke an deine ehelichen Pflichten“, mahnte Dan lächelnd. „Solche Gedanken darfst du dir nicht erlauben – geschweige denn äußern.“

      „Mit ‚man‘ habe ich natürlich nicht mich selbst gemeint“, sagte Don Juan. „Ich kann mir nur vorstellen, wie andere in diesem herrlichen Land empfinden.“

      Hasard klopfte ihm auf die Schulter. Sie lachten und setzten ihren eben begonnenen Erkundungsgang in die Stadt fort.

      In der Nähe des Hafens und auch in den weiter stadteinwärts gelegenen Straßen waren die Läden bereits geöffnet. Handwerker begannen mit ihrer Arbeit. Auffallend war die große Zahl älterer Menschen, die in der Geschäftigkeit des Morgens ruhende Punkte waren. In heiteren Wortwechsel vertieft, standen sie in kleinen Gruppen beieinander oder hatten sich auf hölzernen Sitzbänken vor den Wohnhäusern niedergelassen.

      Viele freundliche Grüße galten den Männern, die mit dem russischen Zweimaster eingetroffen waren. Ihre Ankunft mußte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen haben. Nahezu jeder in der kleinen Stadt schien bereits von ihnen gehört zu haben.

      Die Männer betrachteten die kunstvoll geschwungenen Schriftzeichen über den Eingängen der Läden. Die Buchstaben waren ihnen ebenso unbekannt wie die Sprache, die sie schon am Vorabend gehört hatten.

      „Georgisch“, erklärte Dan O’Flynn, während sie die Schriftzeichen einer Bäckerei betrachteten. „Dieses Land hat immer seine Eigenständigkeit bewahrt, obwohl es im Laufe der Jahrhunderte von den unterschiedlichsten Invasoren heimgesucht wurde.“ Er deutete zu den Zwiebeltürmen einer Kirche am Ende der Straße. „Übrigens gilt diese Eigenständigkeit auch für die Kirche des Landes. Seit dem vierten Jahrhundert unserer Zeitrechnung sind die Georgier Christen. Sie haben ihre eigene georgischorthodoxe Kirche.“

      Hasard und Don Juan stießen anerkennende Pfiffe aus. Dan bewies wieder einmal, wie oft und gründlich er seine Nase in jene Folianten gesteckt hatte, die bei ihren Beutezügen gegen die Spanier ganz am Rande mit eingesackt worden waren. Mit eben dieser Gründlichkeit hatte Dan auch seine Kenntnisse als Navigator bereits auf der „Isabella“ immer weiter vervollständigt.

      Auf dem Platz bei der Kirche begegneten sie einem schwarzgekleideten Geistlichen mit wallendem Bart. Es zeigte sich, daß der Kirchenmann ein wenig Englisch sprach.

      „Wir suchen einen Händler, der in der Lage ist, unser Schiff neu auszurüsten“, sagte Hasard. „Gibt es jemanden, den Sie uns empfehlen können?“

      „Aber ja!“ rief der Geistliche, und seine Augen blitzten vor Freude. „Wenden Sie sich an Dato Laseischwili. Er ist der größte Kaufherr am Ort und hat es am allerwenigsten nötig, jemanden zu übervorteilen. Natürlich sind auch alle anderen Handelsleute in Otschamtschire ehrlich und korrekt. Aber bei Laseischwili können Sie absolut sicher sein.“ Der Schwarzgekleidete beschrieb ihnen den Weg durch


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