Seewölfe - Piraten der Weltmeere 187. Roy Palmer
unwichtig. Ich meine was anderes.“
„Ein Vogel kann zwar fliegen und hat auch gute Augen“, warf Hasard junior ein. „Aber zeichnen kann er nicht. Das können nur wir Menschen.“
„Nur wir?“ Sein Bruder lachte verächtlich auf. „Da täuschst du dich aber. Wenn du beispielsweise Arwenack einen Federkiel oder einen Pinsel in die Pfote drückst und ihn mit Tusche und Farben spielen läßt, malt er dir auch was Schönes auf.“
„Aber nichts Richtiges.“
„Nichts Konkretes“, berichtigte Philip junior.
„Und Arwenack ist ein Affe, kein Vogel“, sagte Hasard junior störrisch. „Vielleicht kann er wirklich ein Bild zusammenschmieren – bloß fliegen kann er nicht.“
„Hör mal“, fuhr sein Bruder ihn an. „Du lernst gleich das Fliegen, wenn ich dich nämlich …“
Der Seewolf klopfte zweimal mit dem Ende des Ladestocks auf die Planken. „Ruhe“, sagte er. „Wir schweifen vom Thema ab. Ich bitte mir mehr Disziplin beim Erdkundeunterricht aus.“
„Ja, Dad“, murmelte Philip junior.
„Aye, Sir“, sagte auch Hasard junior.
Der Seewolf musterte sie streng. Er mußte sich selbst zur Ruhe zwingen – was ihm allerdings nicht immer so leichtfiel. Das Lehrmeistern wollte gelernt sein, und man brauchte dazu eine wahre Engelsgeduld. Die Zwillinge waren zwar keine Dummköpfe, ganz im Gegenteil. Wenn sie an einem Stoff interessiert waren – zum Beispiel an der Waffen- oder Manövrier- oder Segelkunde –, dann konnte man über ihre rasche Auffassungsgabe nur staunen. Wenn ein Gebiet sie jedoch langweilte, konnten sie sich verflixt bockbeinig anstellen.
In den vergangenen Monaten hatte Siri-Tong es weitgehend übernommen, die Zwillinge zu unterrichten, und sie hatte dabei sehr viel Geschick und Ehrgeiz bewiesen. Dank dieser Fähigkeiten hatte sie gute Erfolge erzielt. Die Brüder Philip und Hasard sprachen jetzt gutes Englisch, waren auch der spanischen Sprache mächtig – von den letzten Feinheiten abgesehen – und konnten schreiben, lesen, rechnen, zeichnen und basteln. Ja, und schwimmen und schießen und kreuz und quer durch die Takelage der „Isabella VIII.“ hangeln konnten sie auch.
Aber Siri-Tong, die Rote Korsarin, war jetzt nicht mehr an Bord der „Isabella“. Sie war mit der „Albion“, einer englischen Crew und Stückgut zum Ausbau der Schlangen-Insel in die Karibik unterwegs.
Philip Hasard Killigrew aber hatte von Bora-Bora aus wieder westlichen Kurs genommen, wie er es schon von Tahiti aus getan hatte. Auch er hätte quer durch die Südsee und durch die Magellan-Straße oder ums Kap der Stürme herum bis in die Karibik fahren können, aber es widersprach seinen Plänen.
Denn er empfand sich nach wie vor nicht nur als Korsar Ihrer Majestät, der Königin von England, sondern auch als Entdecker. Er hatte als erster die sagenhafte, vielgesuchte Nordwestpassage durchfahren. Danach war er zu den Hawaii-Inseln zurückgekehrt, die er schon einmal vor Jahren besucht hatte, und jetzt war er im Begriff, ein bisher kaum befahrenes und erforschtes Seegebiet zu ergründen.
Der genaue Verlauf der Nordwestpassage und die Hawaii-Inseln, von denen außer ihnen und Thomas Federmann sonst kein weißer Mann wußte, waren auf der selbst angefertigten Karte eingezeichnet. Hasard hütete die Rolle wie einen wertvollen, geheimnisvollen Schatz und hielt sie sonst ständig unter Verschluß. Außer ihm wußten nur seine Männer der „Isabella“ über die Karte Bescheid – und natürlich Siri-Tong.
Geographisch reichte die Skizze von der Neuen Welt bis nach Cathay, also Asien, wobei Hasard beim Zeichnen des nördlichen Teils von Amerika noch viele weiße Flecken hatte aussparen müssen. Im wesentlichen hatte er nur Bacalaos, Labrador und die große Bucht der Häuptlinge wiedergeben können. Auf der Westseite des Kontinents hatte er recht vage die Lage von Neu-Albion eingetragen und im Süden davon dann präziser Neuspanien, Panama, Porto Bello, Nombre de Dios und den ganzen südlichen Bereich des riesigen Erdteils mit Neu-Granada, dem Amazonas-Gebiet und allen anderen von Spanien und Portugal besetzten Ländern bis hinunter nach Patagonien und Feuerland.
In Nordamerika – ja, auch dort gab es noch vieles genauer zu erkunden.
Und in der Südsee, die sich weitläufig zwischen Amerika und Cathay erstreckte, hoben sich ebenfalls etliche weiße Stellen aus dem Kartenbild hervor.
Der Seewolf hatte sich fest vorgenommen, die Skizze zu vervollkommnen. Überdies wollte er eine zweite große Karte malen, die die andere Hälfte der Erdkugel zeigte – von Asien über Indien und Afrika bis hin zur Alten Welt und dem vertrauten, stürmischen Atlantik.
„Die Welt ist rund“, sagte er zu seinen Söhnen. „Ich habe euch bereits am Beispiel eines Apfels gezeigt, wie man sich die kartographischen Bilder zu denken hat. Man schält den Apfel, faltet die Schale auseinander und breitet sie auf einer Fläche aus.“
Philip junior nickte jetzt eifrig. „Ja, natürlich. Ich glaube, man kann das gleiche auch mit der Rinde einer Brotfrucht tun. Soll ich den Kutscher fragen, ob er uns eine Brotfrucht gibt?“
Er wollte aufstehen, aber sein Vater bedeutete ihm durch eine Gebärde, sitzen zu bleiben.
„Haha!“ rief Hasard junior. „Du suchst ja bloß nach einem Vorwand, um dich verdrücken zu können, Philip. Aber daraus wird nichts.“
„Frühere Entdecker haben die neuen Küsten so gut wie möglich vermessen“, fuhr der Seewolf fort. „Man hat eine Einteilung der gesamten Erde in Längen- und Breitenkreise geschaffen, so daß alle Karten von den Ländern und Ozeanen gerade in der jüngsten Zeit besser und einheitlicher geworden sind. Es gibt sogar einen Atlas von der Welt, und ich habe mich in den wichtigsten Punkten natürlich an die Vorlagen gehalten, die ich hier in der Kammer aufbewahre.“
Sein Sohn Philip wies auf die Nordwestpassage. „Aber davon konnten die anderen Seefahrer und Kartenmaler doch nichts wissen, Dad!“
„Sie haben ihre Phantasie schießen lassen und die abenteuerlichsten Darstellungen von der Passage geliefert“, sagte der Seewolf. „Sie waren samt und sonders falsch.“
„Dann könntest du ja eine neue Karte veröffentlichen – vielleicht im Auftrag der Königin“, stieß Hasard junior aus und richtete sich dabei auf. „Es wäre dein gutes Recht, Dad. Du könntest sogar einen eigenen Atlas herausgeben. Was hältst du von der Idee?“
„Langsam, langsam“, bremste der Seewolf lächelnd seinen Eifer. „Ich glaube, jetzt hast du zuviel Phantasie. Ich werde über deinen Vorschlag nachdenken, aber ich schätze, es ist besser, wenn wir dieses Material niemandem zugänglich machen. Von der Lage der Hawaii-Inseln dürfen wir schon gar nichts verraten. Wir haben es Zegú, dem König von Hawaii, Thomas Federmann und all den anderen Freunden auf dem Archipel versprochen. Wir wollen nicht, daß das Paradies zerstört wird und dort Glücksritter, Schnapphähne und Schlagetots landen.“
„Das hatte ich ganz vergessen“, sagte Hasard junior etwas kleinlaut.
Sein Vater senkte den Ladestock, der zu einer Muskete gehörte, auf die Karte. „Zurück zu unserer Aufgabe. Ich wollte euch auseinandersetzen, wo wir uns befinden und welche Seeregion wir als nächste erkunden.“ Er tippte mit dem Ende des Stocks auf eine der vielen weißen Zonen, die sich hier mitten aus dem hellblau gemalten Stillen Ozean erhoben. „Hier sind wir – mehr als tausend Meilen westlich von Tahiti, Bora-Bora und Rarotonga. Was erwartet uns? Wir wissen es nicht. Gibt es hier überhaupt Inseln oder nur die Weite des Meeres? Bald werden wir es erfahren, und dann sind wir entweder um ein Abenteuer reicher, oder aber wir müssen eine Enttäuschung hinnehmen.“
Philip junior wies auf die südlicheren Breiten. „Und was liegt dort, Dad?“
Der Seewolf hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Auch darüber lassen sich nur Theorien aufstellen. Es gibt die tollsten Vermutungen. Viele Leute behaupten, daß sich dort unten ein weiterer Kontinent befinde. Nein, keine Eiswüste, sondern ein wohltemperiertes ‚Südland‘ mit seltsamen Menschen und Tieren darauf, wie sie noch keiner gesehen hat.“
„Hört