Seewölfe - Piraten der Weltmeere 246. Roy Palmer

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 246 - Roy Palmer


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Hörst du nicht, wie sie ablegen und davonpullen, Kapitän? Einfaltspinsel sind sie, harmlose Biedermänner, Krämerseelen, die von alledem, was ich plante, nicht das geringste ahnten. Arglos blieben sie, als ich mich unter sie mischte, mein Türkisch reichte aus, um sie glauben zu lassen, ich wäre aus Griechenland und hätte vom türkischen Wesir in Jerusalem die Erlaubnis erhalten, hier in Akka einen bescheidenen Kleinhandel zu betreiben. Ich kaufte Obst und Gemüse und rüstete eine kleine Tartane aus, und hier bin ich nun, aber die da unten begreifen ja immer noch nicht, was ich vorhabe. Selig sind die geistig Armen, der Herr stehe ihnen bei.“

      Carberry blickte verdutzt den Kutscher an und zischte: „Sag mal, höre ich richtig? Der Hundesohn drückt sich ja noch schlimmer aus als du. Ist der etwa nicht ganz richtig im Oberstübchen?“

      „Was willst du?“ fragte Hasard. „Wer bist du?“

      „Die erste Frage, Kapitän, habe ich bereits beantwortet“, erwiderte der Mann mit der Pistole. Er ließ die Waffe nicht um einen Deut sinken und beobachtete den Seewolf pausenlos aus seinen wachen Augen. „Nicht an eurem schnöden Gold und Mammon ist mir gelegen, mein Auftrag ist ein anderer, er erfolgt von höchster Stelle – von dort.“ Er wies zum wolkenlosen Himmel, der sich über der Hafenbucht von Akka spannte. „Eine Reise an Bord eures Schiffes ist alles, was ich von euch verlange. Nicht mehr will ich, aber auch nicht weniger. Und mein Name? Nun, der lautet Hubertus Leone. Und ich bin, falls euch jemals irgend jemand danach fragt, der Sohn einer Bajuwarin und eines sizilianischen Fischers – woraus sich auch erklärt, warum ich die türkische Sprache beherrsche. Auf Sizilien haben lange Zeit die Heiden des Ottomanischen Reiches gehaust, und noch heute kann man überall dort Türkisch erlernen.“

      „Und wo hast du unsere Sprache gelernt?“ fragte Ben Brighton. „Doch wohl nicht im Alpenland?“

      „Und wenn es so wäre?“

      „Dann bist du trotzdem ein verdammter Bastard“, sagte der Profos. „Ein ganz elender Hurensohn, der jetzt gleich mit Vollzeug ab in die Hölle rauscht.“

      Wütend blickte Hubertus Leone zu dem aufgebrachten Narbenmann. „Wie? Du fluchst Gott? Du Sünder, falle auf die Knie und flehe um Gnade! Du weißt ja nicht, was du …“

      Weiter gelangte er nicht, denn der Seewolf nutzte die Möglichkeit, die sich jetzt bot, geistesgegenwärtig aus. Er warf sich auf Leone, hieb ihm auf die Waffenhand, riß ihn mit sich vor dem Schanzkleid herum und versetzte ihm einen derart wuchtigen Tritt, daß er wie von einem Katapult geschleudert quer über die Planken der Kuhl schoß.

      Hubertus Leone verlor seine Steinschloßpistole aus der schmerzenden Hand. Er strauchelte und fiel auf die Kuhlgräting. Hier stieß er sich den Kopf, so heftig, daß er augenblicklich das Bewußtsein verlor. Die Pistole landete mit dumpfem Laut neben der Nagelbank des Großmastes.

      Hasard warf vorsichtshalber einen Blick über das Schanzkleid außenbords, doch es stimmte: Die Händler hatten sich in ihren Booten entfernt. Nur Leones Tartane dümpelte jetzt noch an der Bordwand der „Isabella“.

      „So“, sagte der Seewolf und drehte sich wieder zu seinen Männern um. „Schluß der Vorstellung. Packt diesen hirnverbrannten Narren und werft ihn ins Wasser.“

      „Ich hab’s ja gleich gesagt!“ rief Carberry. „Das ist die beste Methode, um mit aufmüpfigen Kerlen fertig zu werden!“

      „Er kann noch froh sein, daß wir ihn nicht auspeitschen oder an der Rahnock aufhängen“, meinte Blacky mit einem zornigen Blick auf den Ohnmächtigen. „Auf einem anderen Schiff hätte man bestimmt kurzen Prozeß mit ihm gemacht.“

      Carberry und Shane, der inzwischen das Achterdeck verlassen hatte, griffen nach den Armen und Beinen des bewußtlosen Mannes.

      Ben Brighton hatte sich nach der Steinschloßpistole mit dem achteckigen Lauf gebückt. Er untersuchte sie kurz, dann sah er auf und sagte: „Augenblick mal. Das ist ja kaum zu fassen!“

      „Was denn?“ fragte der Seewolf erstaunt.

      „Die Pistole ist gar nicht geladen.“

      2.

      Langsam schritt der Seewolf über das kaum merklich schwankende Deck zur Kuhlgräting. Hier blieb er stehen, stemmte die Fäuste in die Seiten und sah sich den sonderbaren „Gast“ kopfschüttelnd an.

      „Du hast viel zu hoch gesetzt, Freund Hubertus“, sagte er mit einer Miene, in der sich Ärger und Verwunderung mischten. „Dachtest du wirklich, du könntest uns mit einem so billigen Trick hereinlegen?“

      „Er ist nicht ganz dicht im Schapp“, sagte der Profos voll grimmiger Überzeugung. „Los, über Bord mit ihm. Auf was warten wir noch?“

      „Einen Moment.“ Der Seewolf hatte die Hand gehoben. „Ich glaube nicht, daß er verrückt ist. Vielleicht braucht er wirklich Hilfe. Wer weiß, warum er unbedingt mitgenommen werden will.“

      „Sir!“ stieß Shane erbost aus. „Soll das heißen, daß du auch noch Mitleid mit dem Kerl hast? Beim Henker, er wollte uns zwingen, das zu tun, was er von uns verlangte!“

      „Aber er wollte weder unser Schiff noch unsere Schätze – noch mein Leben. Vielleicht hätte er mit der leeren Pistole nicht einmal zugeschlagen.“

      „Das kann doch nicht dein Ernst sein“, sagte der Profos. „Er hat dich bedroht, allein das zählt.“

      „Holt eine Pütz voll Wasser“, befahl der Seewolf den Zwillingen. „Wir wekken ihn auf und verhören ihn. Ich will wissen, was mit ihm los ist.“

      Philip junior und Hasard junior gehorchten, und kurze Zeit später entleerte der Seewolf die volle Pütz über Hubertus Leones Kopf. Das Wasser ergoß sich als rauschender Schwall mitten in das Gesicht des seltsamen Mannes, und prompt kam wieder Leben in die hagere Gestalt.

      Prustend richtete Leone sich auf und schüttelte sich heftig. Er sah den Seewolf, der direkt vor ihm stand, aus geweiteten Augen an.

      „Bist du voll bei Sinnen?“ fragte Hasard.

      „Ja, Kapitän. Sprich dein Urteil, ich werde dir zeigen, wie ein Ritter stirbt.“

      Hasard sagte: „Hör auf, mich dauernd Kapitän zu nennen.“

      „Bist du denn nicht der Kapitän dieses Schiffes?“

      „Das schon, aber man spricht mich sonst entweder mit ‚Sir‘ oder mit ‚Mister Killigrew‘ an.“

      „Ach so“, sagte Leone. „Nun denn, Sir, welches Schicksal erwartet mich? Der Tod durch den Strang oder durch das Henkersschwert?“

      „Keins von beiden.“

      Leone sprang plötzlich auf. Carberry und Big Old Shane, die ihn schon losgelassen hatten, packten wieder seine Arme und hielten ihn fest, weil sie ein neues Unheil befürchteten.

      „Hast du Killigrew gesagt?“ rief Leone entsetzt. „Herr im Himmel, das darf nicht wahr sein! Philip Hasard Killigrew, der gefürchtete Korsar, von dem man sich grausige Begebenheiten erzählt – bist du das?“

      „Ich bin Philip Hasard Killigrew …“

      „Heiland, dann bin ich wirklich verloren!“

      „… aber ich bin kein blutrünstiger Schlagetot“, fuhr der Seewolf mit leicht konsterniertem Gesichtsausdruck fort. „Wer hat dir denn über mich berichtet?“

      „Menschen, die ich auf meinen Reisen nach Sizilien traf. Männer und Frauen, die alle schon von dem legendären Seewolf gehört hatten.“

      „Aber die meisten von denen haben uns nie gesehen“, sagte Shane. „Sie plappern weiter, was sie selbst nur gehört haben, und natürlich schmükken sie es entsprechend aus.“

      Ben Brighton war neben den Seewolf getreten.

      „Hubertus Leone“, sagte er. „So schlecht, wie du denkst, sind wir nicht. Vor allen Dingen sind wir keine


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