Seewölfe - Piraten der Weltmeere 419. Roy Palmer
Impressum
© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-827-0
Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]
Roy Palmer
Todesschatten
Der Duellgegner ist kein Ehrenmann – er schießt hinterrücks
Es war der Plan der Roten Korsarin gewesen, sich Sir John Killigrew und seiner Bande hüllenlos und als badende Sirene vorzustellen – ein guter Plan, und er hatte geklappt. Weibliche List siegte über zügellose Männer, die meinten, eine „Indianerin“ sei Freiwild für sie. Die Kerle waren wie eine Meute hechelnder Köter an Land gestürmt, um über die nackte Frau herzufallen. Nur war dieses begehrenswerte Wild flüchtig und verschwand wie ein Geist im Dschungel hinter dem Lagunensee. Dafür tauchten hartgesichtige Männer auf, die gleich zur Sache kamen, mit den Fäusten, versteht sich. Und diese Fäuste lösten in den hitzigen Köpfen der Kerle aufplatzende Sternchen aus – da verflogen die Träume von einem Schäferstündchen sehr schnell …
Inhalt
Die Hauptpersonen des Romans:
Sir John Killigrew – sein Traum, ein reicher Mann zu sein, ist nur von kurzer Dauer. Seitdem spuckt er Gift und Galle.
Sir Andrew Clifford – der erlauchte Earl zeigt sich als Feigling und handelt als solcher.
Sir Henry of Battingham – läßt wieder einmal Männer auspeitschen und erfreut sich an ihrem Wehgeschrei.
Philip Hasard Killigrew – fordert zwei Schurken zum Zweikampf heraus und vergißt dabei, daß sie keine Ehre haben.
Siri-Tong – die Rote Korsarin deckt den Rückzug der „Isabella“ und zeigt den Engländern die Zähne.
1.
„Wir sind umzingelt!“ zischte Speckled Red. „Jeder Fluchtversuch ist sinnlos!“
„Warte ab“, murmelte Louis Lamare. „Noch ist nicht alles verloren.“
„Sie werden uns töten.“
„Wir kämpfen bis zum letzten Tropfen Blut.“
„Mit zwei alten Musketen, ein paar Unzen Pulver und einem lächerlichen Dutzend Kugeln?“ Speckled Red schüttelte den Kopf. „Wahnsinn. Es wäre der reine Selbstmord. Wir sollten uns lieber ergeben.“
„Du weißt, was sie dann unseren Frauen antun“, flüsterte Lamare. „Und die Kinder? Hölle, ich mag gar nicht dran denken. Wir haben nur eine Chance: Wir müssen uns verstecken.“
„Sie werden alles absuchen.“
„Wir kennen die Insel besser als sie.“
„Das nutzt uns wenig“, sagte Red.
„Ja, und wenn du nicht deinen Mund hältst, haben sie uns hier oben gleich entdeckt“, raunte Lamare und warf wieder einen Blick durch den Kieker.
Sie hockten auf einer gigantischen Sumpfzypresse, einem der höchsten Bäume der kleinen Insel der Grand Cays. Als Aussichtsplatz war sie geradezu ideal, denn man konnte von hier aus nahezu alle Uferstreifen und Buchten überblicken, auch den Lagunensee, dessen Wasserfläche wie geschliffenes Glas durch das Dickicht schimmerte.
Im Morgengrauen hatten die beiden Männer den Dreimaster entdeckt, der in der Nordbucht ankerte. Aber ihnen waren auch die beiden großen, drohenden Schiffe nicht entgangen, die in der Bucht der Nachbarinsel lagen. Und sie hatten die Boote nahen sehen, deren Mannschaften sich anschickten, zu landen. Alles deutete auf eine Invasion von Piraten hin, und nichts schien sich der tödlichen Gefahr entziehen zu können.
Noch waren Red und Lamare im Schutz der großen, lappigen Blätter auf ihrer Zypresse sicher. Aber wie lange würde das noch dauern? Gleich würden die abenteuerlichen Gestalten aus den Booten springen und durch das Dickicht streifen, und es war, wie Red bereits prophezeit hatte: Nichts konnte ihrer Aufmerksamkeit entgehen.
Sie würden töten, vergewaltigen, plündern und brandschatzen, und auch die Tatsache, daß es hier kaum etwas zu holen gab, würde sie nicht zurückhalten.
Red und Lamare begannen zu schwitzen. Außer ihren Musketen und der wenigen Munition hatten sie nur noch Messer, sonst keine anderen Waffen. Gegen die Übermacht, die sich ihnen da näherte, konnten sie nichts ausrichten. Wenn sie kämpften, wurde alles nur noch schlimmer. Die Kerle würden über sie herfallen und in Stücke hauen.
Plötzlich griff Lamare nach Reds Unterarm.
„Hol’s der Henker“, flüsterte er, ohne das Rohr sinken zu lassen. „Da ist ja auch eine Frau dabei – und was für eine!“
„Gib her!“ zischte Red. Er mußte seinem Freund den Kieker jedoch fast gewaltsam entreißen. Dann spähte er hindurch – und um ein Haar hätte er einen Pfiff der Verwunderung und des Staunens ausgestoßen.
Die Frau war nackt, eine schwarzhaarige, exotisch wirkende Schönheit. Sie badete in dem Lagunensee und benahm sich völlig unbekümmert. Red konnte seinen Blick kaum von ihr lösen.
„Ein rassiges Weib, was?“ murmelte Lamare. „Und wer hätte das gedacht! Kaum ist sie gelandet, fängt sie an, herumzuplanschen. Warum tut sie das? Um den Kerlen zu imponieren?“
„Um sie zu reizen“, erwiderte Red.
„Dann fallen sie gleich über sie her.“
„Und wir ziehen uns zurück?“
„Nein, warte noch“, raunte Lamare ihm zu. „Laß mich noch mal hinschauen.“
Sie beobachteten die Frau abwechselnd. Die schien jetzt völlig allein zu sein, ihre Begleiter hatten sich in den Uferverhau zurückgezogen. Doch was dies zu bedeuten hatte, ging Red und Lamare immer noch nicht auf.
Was die Bewertung der Situation betraf, da gingen sie nach wie vor von einer falschen Voraussetzung aus – daß nämlich die Besatzungen der drei Schiffe zusammengehörten und eine einzige Meute bildeten.
Sie wußten nicht, daß es sich um die Dreimastkaravelle „Lady Anne“ unter dem Kommando von Sir John Killigrew sowie um die „Isabella IX.“ von Philip Hasard Killigrew und die „Caribian Queen“ von Siri-Tong handelte – und daß es die Rote Korsarin war, die zwecks Täuschung in dem Lagunensee herumhüpfte.
Red und Lamare hatten lediglich die englische Flagge auf der „Lady Anne“ erkannt – und eine Flagge