Seewölfe - Piraten der Weltmeere 419. Roy Palmer

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 419 - Roy Palmer


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von Vertrauen zu erwecken, obgleich er aus England stammte.

      Er wußte, daß die meisten Schnapphähne der Karibik unter falscher Flagge segelten, und ein Stück weißes Tuch mit einem Muster darauf war noch lange kein Beweis für Echtheit. Folglich war gut beraten, wer sich mißtrauisch verhielt.

      Für Männer wie Red und Lamare verhieß das Auftauchen von Schiffen immer Verdruß, nie die Aussicht auf ein freundschaftliches Zusammentreffen mit biederen Fahrensleuten. Die waren in Gebieten wie diesen außerordentlich selten.

      Lamare war wieder mit dem Ausschau halten an der Reihe. Er betrachtete die Frau und deren wippende Brüste, und unwillkürlich gab er einen leisen Seufzer von sich.

      „Laß das nur Onda nicht hören“, flüsterte Red.

      Lamare grinste schwach. „Sie würde nicht eifersüchtig sein. Sie ist nicht so schön wie das Weib, aber auch nicht so wild.“

      „Hast du eine Erklärung für das Ganze?“

      „Die Schwarzhaarige ist die Anführerin“, erwiderte Lamare leise. „Sie hat den Teufel im Leib, und wenn sie uns entdeckt und erwischt, zieht sie uns eigenhändig das Fell vom Leib, das kannst du mir glauben.“

      „Laß uns abhauen“, raunte Red. „Wir haben genug gesehen.“

      „Nur noch einen Augenblick.“

      „Denk an Onda, Tampa und die Kinder.“

      „Ich denke an sie“, flüsterte Lamare und hielt seinen Blick auch weiterhin auf Siri-Tong gerichtet.

      Speckled Red und Louis Lamare hatten sich vor fünf bis sechs Jahren entschlossen, nicht mehr aus der Karibik in ihre Heimat zurückzukehren. Sie hatten beide Indianerinnen vom Stamm der Aruaks geheiratet und zogen mit ihnen von einer Insel zur anderen. Sie führten ein friedliches Leben und ernährten sich vom Fischfang, der Jagd und dem Verkauf von geflochtenen Körben, die sie in den Häfen anzubieten pflegten.

      Es war ein bescheidenes, aber friedvolles Dasein. Bisher waren sie noch nie mit Freibeutern aneinandergeraten, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie Gefahren mieden und Auseinandersetzungen aus dem Wege gingen.

      Daß sich die beiden Männer nicht der Piraterie verschrieben hatten, wie es die meisten anderen Glücksritter und Abenteurer taten, die von einem freien Leben in der Neuen Welt träumten, hatte seine Gründe. Mit Mord und Raub hatten sie nichts im Sinn. Sie waren Herumtreiber gewesen, aber keine Schlagetots und Beutelschneider.

      Speckled Red war in Harwich zur Welt gekommen. Sein Vater war ein Trunkenbold gewesen, seine Mutter hatte die Familie mit Schneiderarbeit über Wasser gehalten. Beide waren früh gestorben, und Red hatte ein paar Jahre im Waisenhaus zugebracht. Seinen richtigen Nachnamen kannte er angeblich selbst nicht mehr.

      Wer ihm den Beinamen gegeben hatte, war ebensowenig bekannt wie der Grund dafür, doch es fragte ihn auch niemand danach. Jeder, der ihn kannte, nannte ihn einfach nur Speckled Red, als sei es eine Selbstverständlichkeit.

      Im Jahre 1570 hatte Red das Waisenhaus verlassen. Damals war er zehn Jahre alt gewesen und hatte sich quer durch England gebettelt, bis er im Hafen von Bristol Arbeit gefunden hatte. Mit zwölf geriet er als Moses an Bord einer Galeone, mit fünfzehn hatte er die Nord- und Ostsee sowie den Atlantik befahren und einmal Schiffbruch erlitten.

      Er wurde geschlagen und kujoniert und lernte alle Härten der Seefahrt kennen. Eins der Schiffe, auf dem er als junger Seemann diente, wurde von Piraten überfallen, und nie würde Red vergessen, welch entsetzliches Massaker diese Kerle angerichtet hatten.

      Nur wie durch ein Wunder entging er einem schrecklichen Ende, wurde auch von den Haien verschmäht, wie er gern berichtete, und später von einem Sklavenfänger aufgefischt, in Ketten gelegt, verkauft und gedemütigt.

      Speckled Red gelangte auf seinen Irrfahrten bis in den Orient und nach China, erkrankte an der Ruhr und der Malaria, und hatte doch wieder Glück. Noch jedesmal hatte er überlebt, und fast schien es so, als habe er einen Schutzheiligen, der ihn vor dem Schlimmsten behütete.

      Aber Red wußte auch, daß er das Schicksal nicht herausfordern durfte. Er wollte ein halbwegs redliches Leben führen und sich irgendwann vielleicht an einem Plätzchen, das ihm gefiel, als Siedler niederlassen. Das waren seine Pläne, und er hatte in Louis Lamare einen Freund und Partner gefunden, der diese Ansichten und Ziele mit ihm teilte.

      Lamare stammte von der Insel Korsika. Seine Mutter war bei einem Überfall sardischer Küstenwölfe getötet worden. Sein Vater hatte den Verlust nie verwunden und war früh gestorben, im Alter von dreißig Jahren.

      Lamare hatte vier Geschwister gehabt. Zwei Brüder und eine Schwester waren von der Schwindsucht dahingerafft worden. Nordafrikanische Piraten hatten seine zweite Schwester entführt, er hatte nie wieder etwas von ihr gehört. Wie Red hatte sich auch Lamare früh durchschlagen müssen und das Leben nur von seinen Schattenseiten kennengelernt.

      Auf Fischerbooten und Küstenseglern hatte Lamare sein Dasein gefristet, bis er in Marseille auf einem größeren Schiff anheuerte und das Mittelmeer verließ. Er lernte die halbe Welt kennen, ehe er nach Jamaica gelangte und dort durch einen Zufall auf Speckled Red stieß. Sofort waren sie dicke Freunde geworden.

      Gemeinsam schafften sie sich eine Schaluppe an und verdienten sich ihr Brot als Fischer. Ein Jahr lang ging es gut, dann sank die Schaluppe in einem Sturm, und sie wurden von den Aruaks aufgefischt, die ihnen das Leben retteten und sie wieder aufpäppelten. Eine kleine Insel südlich von Kuba war für Monate ihr Zufluchtsort, und hier verliebten sie sich in Tampa und Onda, mit denen sie sich bald nach dem Ritual der Indianer trauen ließen.

      Red und Tampa hatten zwei Kinder, Lamare und Onda eine kleine Tochter. Lamare dachte in diesem Augenblick an seine kleine Familie und wollte sich nun endlich von dem Anblick der rassigen Frau losreißen, von der Sumpfzypresse klettern und zu der Lichtung zurückkehren, wo ihre Hütten standen und sie ihre Boote verborgen hatten – da geschah es.

      Red und Lamare verfolgten, wie die nackte Frau davonlief, weil sich eine Meute Kerle von der Dreimast-Karavelle auf sie stürzen wollte. Plötzlich war sie im Dickicht verschwunden. Die Kerle verfolgten sie – nach Reds Schätzungen waren es gut zwei Dutzend –, aber aus dem Verhau waren Kampfgeräusche zu vernehmen. Es setzte Hiebe. Das entsetzte Keuchen, das Fluchen und Schnaufen der Männer war deutlich zu hören.

      „Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr“, sagte Red verdutzt. „Was hat das zu bedeuten? Hauen die sich um das Weib?“

      „Das glaube ich nicht“, entgegnete Lamare. Er hatte sich halb umgewandt und warf einen Blick auf die in der Bucht ankernde Dreimast-Karavelle. Dort pirschten sich von Norden her zwei Boote heran, aber die vier Männer, die an Bord der Karavelle geblieben waren, schienen davon nichts zu bemerken. Sie starrten sich die Augen aus dem Kopf und schienen noch nicht richtig zu begreifen, was am Lagunensee vor sich ging.

      „Mann“, murmelte Red, der sich ebenfalls umdrehte. „Die entern ja!“

      „Und sie räumen die vier Kerle ab“, sagte Lamare. „Weißt du was? Jetzt geht mir ein Licht auf. Das sind zwei feindliche Banden. Die gehören nicht zusammen. Die haben sich ausgerechnet unsere feine Insel ausgesucht, um sich totzuschlagen.“

      Red stieß einen grimmigen Laut aus. „Uns soll’s recht sein. Solange sie sich gegenseitig abmurksen, sind wir ziemlich sicher. Los, sagen wir jetzt endlich den Frauen Bescheid. Wir warten die weitere Entwicklung ab und verholen uns, wenn die Gelegenheit günstig ist.“ Sie glitten am Stamm der Sumpfzypresse hinunter, lautlos und gewandt, tauchten im Inseldschungel unter und arbeiteten sich auf geheimen Pfaden auf ihr Lager zu. Sie ahnten nicht, was sich weiterhin ereignen würde, aber es sollte noch ein heißer, bewegter 22. August 1594 werden.

      Ed Carberry hob die Arme etwas an und bewegte die Finger, als wolle er jemanden die Luft abdrehen. Die Knöchel knackten laut, und er stieß einen saftigen Fluch aus.

      „So ein Mist“, sagte er. „Da war wirklich nicht viel zu tun. Wie wär’s, wenn wir an Land gehen und dort ein bißchen mithelfen?“

      Hasard


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