Seewölfe - Piraten der Weltmeere 125. Fred McMason
Floß.
„Man sollte dem Kerl nichts zu saufen geben“, sagte einer der Seeleute, die fürs Hängen plädiert hatten. „Der Kerl hat doch genug auf Vorrat gesoffen und gefressen.“
„Er kriegt das, was ihm zusteht, also auch Wasser und Proviant“, sagte der Kapitän. „Wir sind Christen und keine Mörder, verstanden?“
Sie holten Thornton aus der Piek. Als er in der Kuhl stand, sah er schluckend auf das kleine Floß, das winzige Wasserfäßchen und den Beutel mit Proviant.
Er nahm es ziemlich gelassen hin. Lieber wollte er auf dem Floß hokken, als oben an der Rah hängen.
Jemand brachte seine Klamotten und warf ihm das Bündel vor die Füße.
„Das ist alles, was wir von dem Schiff gerettet haben“, sagte er verächtlich. „Deine Dienstkleidung, deine angebliche, und einen Stiefel. Den kannst du dir einmal links und einmal rechts anziehen, ganz wie du willst.“
Der Kapitän trat auf ihn zu und sah ihn ruhig an.
„Sie werden jetzt aus unserem Gesichtskreis verschwinden“, sagte er kalt. „Mit der Pinne bewegen Sie sich so schnell wie möglich von uns fort. Sollten Sie in einer Stunde nicht aus unserer Nähe verschwunden sein, werde ich mit Musketen auf Sie feuern lassen, Thornton.“
Der Reverend gab keine Antwort. Verbissen starrte er auf das winzige Ding im Wasser.
„Das Wasser reicht nicht einmal drei Tage“, murmelte er nach einer Weile.
„Unser Wasser reicht auch nicht länger. Verschwinden Sie jetzt, die Leute werden schon ungeduldig.“
Ellen zog ein Messer aus seinem Gürtel und schleuderte es auf das Floß. Im Holz blieb es stecken.
Thorntons Haß auf die Crew und ihren Kapitän wuchs ins Unermeßliche. Er hatte hektische rote Flecken im Gesicht, als er über das Schanzkleid kletterte und auf das bedrohlich schwankende Floß stieg. Vorsichtig balancierte er es aus, dann griff er nach der kleinen Pinne und wandte den Männern das Gesicht zu.
„Fluch über euch, ihr Kanalratten!“ schrie er. „Der Teufel persönlich soll euch in die Tiefe ziehen!“
Er schrie und geiferte in ohnmächtiger Wut, drohte mit der Pinne und spie ins Wasser. Seine Flüche hallten über das totenstille Meer. Er paddelte davon, obszöne Verwünschungen ausstoßend, fluchend wie ein Kutscher. Und immer wieder hob er die Pinne und drohte herüber.
Da krachte ein Musketenschuß.
Der Erste hatte ihn abgefeuert, und man sah deutlich die kleine Fontäne aus dem Wasser steigen, knapp einen Yard vom Floß entfernt.
Von da an schwieg der Reverend verängstigt, zog das Genick ein und paddelte das leichte Floß wie ein Wilder voran.
„Wenn das ein Reverend ist“, sagte der Erste, „dann bin ich die Königin von England.“
Sie standen am Schanzkleid und starrten dem Mann nach, den sie alle haßten, und doch fragte sich fast jeder insgeheim beklommen, wie Thornton wohl zumute sein mochte – allein auf einem winzigen Floß, inmitten eines schier unermeßlichen Meeres, in totaler Kalme. Nein, er hatte keine Chance, Land zu erreichen, sie selbst hatten wahrscheinlich auch keine mehr.
Noch am Mittag sahen sie ihn als winzigen Punkt, der sich nicht mehr bewegte und auf dem Meer wie festgenagelt schien.
Auch Thornton starrte zu dem Schiff hinüber. Das lächerlich kleine Segel hing schlaff an dem kleinen Mast. Um ihn herum herrschte eine Hitze wie in einem Backofen. Er stierte auf das Wasserfaß, verkniff es sich aber, davon zu trinken. Er wollte so lange warten, bis er es vor Durst nicht mehr aushielt. Das hier war sein eigenes Wasser, und damit mußte er sparen. Hier konnte er nicht heimlich trinken und es auf andere schieben oder jede Schuld entrüstet von sich weisen.
Verflucht, ich habe keinen Kompaß, dachte er, ich muß mich also am Stand der Sonne orientieren und die Himmelsrichtungen bestimmen.
Wenn wirklich wieder einmal der Wind blies, mußte er sich mit dem Wind treiben lassen, entweder immer weiter aufs Meer hinaus oder vielleicht einer Insel entgegen.
Er sah in dem Proviantbeutel nach. Darin befand sich ein knochenhartes Stück Schiffszwieback, in dem die Maden bohrten, dann zwei Händevoll harter Bohnen und ein Stück Salzfleisch. Das war alles, was der Beutel enthielt.
Thornton streckte sich auf dem Floß aus und legte seinen Kopf unter das kleine Segel. Er lag auf dem Trockenen, aber bei der kleinsten Bewegung des Wassers würde ihn die Salzbrühe von allen Seiten umspülen, wenn das Wasser durch die Ritzen quoll.
Ein paarmal schlief er ein und stöhnte laut im Schlaf. Wenn er aufschrak und trübe übers Meer blinzelte, sah er die „Black Pearl“ nur noch als verschwommenen Schatten auf dem Wasser.
Mit einem Ruck richtete er sich auf. Hatte sich die Luft bewegt, oder war das eine Täuschung?
Ein heißer Lufthauch streifte ihn von neuem, und wilde Hoffnung keimte in ihm auf.
Er konnte sich das nicht erklären, aber er war deutlich von der Galeone abgetrieben worden, ohne daß er sich mit der Pinne vorwärtsbewegt hätte.
Gab es hier eine leichte Strömung, die das kleine Floß langsam forttrug?
Er rieb sich die Hände und lachte leise. Sollten die da drüben vor die Hunde gehen. Bald schon hatte er sie aus den Augen verloren, wenn die Strömung ihn weitertrug.
Oder war es umgekehrt? Bewegte eine Strömung die Galeone fort, und er selbst blieb immer an derselben Stelle?
Er wußte es nicht, döste wieder und wachte auf, als es feucht in seinem Kreuz wurde.
Die Schatten waren länger geworden, und er befand sich allein auf dem Meer. Von dem Schiff war nichts mehr zu sehen, keine Spur, selbst am dunstigen Horizont war das Schiff nicht mehr zu erkennen.
Jetzt erfüllte ihn wilde Freude, denn er sah, daß das Segel nicht mehr wie ein trockener Lappen am Mast hing, sondern sich ganz leicht bewegte. Und das Wasser, das ihm ins Kreuz gedrungen war, stammte von winzigen kleinen Wellen, die der schwache Luftstrom erzeugte.
Er nahm einen Schluck Wasser, denn seine Kehle war ausgedörrt, und die Zunge hing ihm wie ein trokkener Schwamm im Mund. Er nahm nur soviel, um sich den Mund zu spülen, die Lippen zu benetzen und sich ein wenig zu erfrischen.
Danach suchte er sehr aufmerksam die Umgebung ab und hielt Ausschau nach weiteren Anzeichen von Wind oder Wolken.
Es dauerte nochmals bis zum späten Nachmittag, bis sich das Segel leicht bauschte und sein plumpes Fahrzeug vorantrieb.
Zwei Tage und zwei Nächte trieb der Reverend Thornton auf dem Meer, vegetierte auf seinem kleinen Floß dahin, trank ab und zu einen Schluck Wasser, das ihm Übelkeit bescherte, und aß von dem knochenharten Zwieback. Das Salzfleisch rührte er nicht an, sein Genuß würde nur noch mehr Durst hervorrufen.
Am dritten Tag flog ihm ein handlanger Fisch aufs Floß. Er schnellte aus dem Wasser, fiel auf das Floß, zappelte und blieb liegen.
Thornton packte ihn gierig, zerriß ihn mit zitternden Fingern und aß ihn roh auf.
Etwas später fühlte er sich hundeelend und glaubte, seinen eigenen Augen nicht mehr zu trauen.
Nixen stiegen aus dem Wasser, mit Seetang behangene Gestalten tauchten auf und grinsten ihn an.
Mitunter stand das Wasser kopf, dann war der Himmel tief unter ihm, und das Meer befand sich in unerreichbaren Höhen. Er glaubte, sich dort hoch oben entlangsegeln zu sehen.
Den Anfall wurde er erst gegen Mittag los, da klärten sich seine Gedanken, und die Welt schien wieder in Ordnung zu sein.
Doch etwas später begann es von neuem. Thornton sah ein Schiff, einen spanischen Zweidecker, der den Kurs änderte und auf ihn zulief.
Das ist die Rettung, dachte er, oder es ist wieder ein Trugbild, das sich auflösen wird.
Doch