Seewölfe - Piraten der Weltmeere 420. Roy Palmer

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 420 - Roy Palmer


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nachsehen, wie der Stand der Dinge ist“, murmelte Red. „Wenn ich mich mit dem Canoa unter Land anpirsche, kann ich einen Blick in die Nordbucht werfen, ohne daß sie mich entdecken.“

      Tampa griff nach seinem Arm. „Nein, das tust du nicht!“

      Er sah sie streng an. „Sag mal, wer von uns beiden führt hier eigentlich das Kommando?“

      Sie senkte den Blick. „Du. Aber ich will nicht, daß du dich wieder in Gefahr begibst.“

      „Das tue ich nicht. Sie haben uns drüben nicht aufgespürt, und sie werden es auch jetzt nicht tun – zumal sie an der Insel auch kein großes Interesse zu haben scheinen.“

      „Das kann sich ändern“, sagte Lamare. „Und es ist besser, wenn ich dich begleite.“

      „Das alte Lied“, brummte Red. „Siehst du nicht ein, daß es nicht geht? Wer soll bei den Frauen bleiben, um sie zu beschützen, falls etwas Unvorhergesehenes passiert?“

      „Wir können uns auch selbst schützen“, sagte Onda und hob stolz den Kopf.

      „Klar“, sagte Red. „Und wehe dem, der euch in die Hände fällt. Doch es bleibt dabei: Ich unternehme eine Inspektion. Später, in der Nacht, kannst du diesen Törn übernehmen, Louis. Irgendwie habe ich das Gefühl, daß es recht lustig sein könnte, diese Ratten noch ein bißchen im Auge zu behalten.“

      Tampa sagte: „Oder du bist einfach nur neugierig.“

      „Das bin ich“, sagte Red, dann stieg er in sein Boot und löste die Leinen. „Denn es sind immerhin meine Landsleute aus dem guten alten England. Sie wüten wie die Teufel und schießen fairen Kämpfern in den Rücken. So was hab’ ich gern.“

      Er legte ab und paddelte in die Nacht hinaus. Tampa sah ihm nach. Onda griff nach ihrer Hand.

      Lamare murmelte: „Er hat recht, Verärgert zu sein. Und auch ich stehe auf der Seite der Korsaren.“

      „Korsaren?“ wiederholte Onda erschrocken. „Aber das sind doch auch – Piraten.“

      „Nein, sie sind was besseres“, erwiderte er. „Den feinen Unterschied erkläre ich dir noch genau, damit du Bescheid weißt.“

      Speckled Red überbrückte mit dem Canoa die Distanz von etwa zweieinhalb Meilen zwischen ihrem Zufluchtsort und der größeren Insel, in deren Nordbucht die Schiffe ankerten. Die kleine Insel, auf die sich Red und seine Begleiter zurückgezogen hatten, lag südlich des größeren Eilands. Folglich mußte Red das westliche oder das östliche Ufer umrunden, um zur nördlichen Bucht zu gelangen.

      Er entschied sich für die Westseite, also Luv. Er hatte das Segel gesetzt, und der Wind aus Südwesten drückte ihn energisch vorwärts. Nicht sehr viel Zeit verstrich, und er sah das dunkle, mit Mangroven und Palmen bewachsene Ufer der Insel vor sich aus der Finsternis auftauchen. Jetzt luvte er etwas an und steuerte nach Norden.

      Etwas später barg er das Segel, ging sehr dicht unter Land und bediente wieder das Paddel. Bald hatte er die Bucht erreicht, konnte die Schiffe sehen und die Stimmen der Männer vernehmen. Er versteckte sich unter den knorrigen, bizarren Luftwurzeln der Mangroven an der Spitze der westlichen Landzunge, die die Bucht begrenzte, und konnte von hier aus nahezu alles mühelos beobachten.

      Im Mondlicht erkannte er auch, daß draußen, im Norden der Insel, ein düsterer Schatten lag. Der Zweidecker, dachte er, dann glitt sein Blick wieder ins Innere der Bucht, und er sah, daß die Kriegsgaleone, die zum Kampf ausgelaufen war, erheblich gerupft worden war. Sie war angeschlagen und flügellahm und erweckte einen höchst traurigen Eindruck.

      Red grinste. Diese Niederlage gönnte er dem Kapitän – der, wie er vernommen hatte, Stewart hieß – von ganzem Herzen. Gespannt verfolgte er, was weiter geschah.

      Kapitän Charles Stewart, der Kommandant der Kriegsgaleone „Dragon“ hätte den Abend dieses 22. August 1594 gern aus seiner Erinnerung ausgelöscht. Gerade war die „Dragon“ schwer angeschlagen in die Nordbucht der Insel zurückgekehrt, wo die „Orion“ die ganze Zeit über vor Anker gelegen hatte. Kaum war der schwere Stockanker der „Dragon“ an seiner Trosse ausgerauscht und hatte sich auf den Grund gesenkt, fuhr Stewart mit verzerrtem Gesicht zu seinem Ersten Offizier Arthur Gretton herum.

      „Sofort die Jolle abfieren!“ schrie er.

      Gretton leitete den Befehl weiter, und vier Männer der Crew beeilten sich, das Boot auszusetzen. Ihre Mienen waren hart und verschlossen, die Spuren des Kampfes hatten sie gezeichnet. Auf dem Hauptdeck und der Back wälzten sich noch ein paar Verletzte, die eben vom Wundarzt und Feldscher untersucht, behandelt und dann in den Krankenraum verfrachtet wurden.

      Die Schäden waren groß. Stewart wußte schon jetzt, daß sie sich allein mit Bordmitteln nicht beheben lassen würden. All das hatte seiner Meinung nach nur geschehen können, weil die „Orion“ an dem Gefecht nicht teilgenommen hätte. Er mußte seine Wut irgendwie abladen. Nie hätte er es sich träumen lassen, derart schwer angeschlagen zu werden.

      Kaum lag das Boot im Wasser, enterte Stewart ab und gab den Rudergasten barsch den Befehl, zur „Orion“ zu pullen. Schweigend gehorchten die Männer, und die Jolle schob sich durch das ruhige Wasser der Bucht auf das Flaggschiff des vormals aus fünf stolzen Seglern bestehenden Verbandes zu.

      Sie legten an. Sofort packte Stewart die Jakobsleiter mit seinen kräftigen Händen und enterte zum Hauptdeck auf. Er würdigte keinen der Männer auch nur eines Blickes, sondern wandte sich unverzüglich dem Achterdeck zu, wo ihn Sir Edward Tottenham, der Kommandant, empfing.

      „Haben Sie das gesehen?“ blaffte Stewart, ehe Tottenham auch nur ein Wort sagen könnte. „Diese Bastarde haben uns den Besanmast, die Großrah und die Fockrah weggeschossen! Der Rumpf hat über der Wasserlinie einige Locher, und große Teile des Schanzkleides sind nur noch als Brennholz für die Kombüsenherde zu verwenden!“

      Es klang anklagend. Von der Einsicht, sich diese Schlappe selbst eingebrockt zu haben, war Stewart in der Tat weit entfernt. Er war an Bord der „Orion“ erschienen, um Tottenham mit massiven Vorwürfen zu überschütten.

      Drohend hob er den Finger und richtete ihn auf den Kommandanten. „Das alles ist Ihre Schuld! Wenn Sie sich nicht geweigert hätten, uns zu begleiten und mit uns gegen diese Satansbraten zu kämpfen, wäre uns das nicht passiert! Aber Sie mußten ja das Grab schaufeln und Clifford bestatten, nicht wahr? Wissen Sie, was ich davon halte? Es war bloß eine Ausrede! In Wirklichkeit haben Sie Angst! Sie haben uns feige im Stich gelassen, jawohl!“

      Diese Anschuldigungen spuckte er in seiner maßlosen Wut wie Gift aus. Was ihn jedoch am meisten in Fahrt brachte, das war die Tatsache, daß ihm ausgerechnet eine Frau diese Abreibung verpaßt hatte, ein verdammtes Weib!

      Dieses Detail aber verschwieg er tunlichst. Genauso verschwieg er auch, mit welcher souveränen Überlegenheit dieses „Höllenweib“ das Gefecht geführt hatte, ohne selbst dabei Schaden zu nehmen. All das ließ sich auf einen einfachen Nenner bringen: Er, Kapitän Charles Stewart, Kommandant der „Dragon“, hatte ganz fürchterliche Dresche bezogen, ohne selbst in der Lage gewesen zu sein, etwas davon zurückzuzahlen.

      Tottenham schwieg immer noch, er mußte erst einmal verkraften, was Stewart ihm da vorwarf. Hingegen war es Marc Corbett, der Erste Offizier der „Orion“, der jetzt das Wort ergriff und sofort in die richtige Kerbe hieb.

      „Mister Stewart, Sir“, sagte Corbett scharf und kalt. „Sie haben, wenn ich mich recht entsinne, auf eigene Faust gehandelt. Daher haben Sie auch für Ihre Niederlage oder den Ausgang des Gefechtes die Verantwortung zu tragen. Jedoch haben Sie kein Recht, anderen dafür die Schuld zuzuschieben.“

      „Jetzt halten Sie aber mal die Luft an!“ herrschte Stewart ihn an.

      „Nein, das tue ich nicht, Sir“, sagte Corbett bestimmt.

      Tottenham griff immer noch nicht ein. Er fand das, was hier geschah, zwar ungeheuerlich, und natürlich verstieß es auch wieder einmal gegen die Vorschriften und die allgemeine Borddisziplin. Außerdem war er über die Vorwürfe höchst empört, aber er wußte ihnen


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