Seewölfe - Piraten der Weltmeere 275. Roy Palmer
elender!“ schimpfte Matt und rieb sich den schmerzenden Schädel.
„Dem Klang unserer Stimmen nach zu urteilen, scheinen wir uns jetzt in einem ziemlich großen Raum zu befinden“, sagte Hasard.
„Hier ist so was wie eine Bank“, brummte Shane. „Eine ziemlich lange sogar, sie ist in die Mauer eingelassen. Ich glaube, die hält. Moment, ich probiere sie mal aus.“
Er setzte sich. Kein verräterisches Knacken kündete davon, daß das Holz morsch war, die Bank hielt tatsächlich stand und bot ihnen allen genügend Platz. Sie rückten ziemlich dicht zusammen und lauschten eine Weile in die Finsternis.
Vorläufig näherte sich auch kein Schrittgetrappel. Die Wächter des Burkeschen Anwesens schienen noch um einiges von ihnen entfernt zu sein. Stille umgab das alte Gemäuer, in dem sich das Kellergewölbe befand.
„Laßt mich mal berichten, wie’s mir ergangen ist“, sagte Dan. „Diese Dreckskerle wollten mich erst foltern und dann hinrichten, weil sie mich für einen Spion der irischen Rebellen hielten.“
„Ich glaube, dieser verdammte Pferdeknecht Rory O’Brien hat da auch seine Hand im Spiel“, murmelte Matt. „Als ich ihn hinter Mulkennys Herberge verdroschen habe, hat er ganz bestimmt bittere Rache geschworen. Der hat uns bei den Burkes gründlich angeschwärzt, sage ich euch.“
Batuti stieß einen dumpfen Laut aus, dann sagte er: „Du hättest den Kerl nicht so hart anfassen sollen, Matt. Bißchen sanfter, nicht so grob.“
„Ich hab nicht mal den Haken benutzt“, zischte Matt. „Und was sollte ich wohl sonst tun? Dieser Schweinehund hielt mich für einen Galgenstrick und dachte, ich wäre hier in Galway aufs große Plündern aus. He, Sir, sollte ich das vielleicht auf mir sitzenlassen?“
„Nein. Und irgendwo eckt unsereins ja immer an, es läßt sich nicht vermeiden.“
„Das stimmt“, pflichtete Dan ihm bei. „Mit diesen Burkes, das schwöre ich euch, hätten wir über kurz oder lang sowieso Streit gekriegt. Ich will euch mal erklären, was für ein Kerl George Darren Burke ist. So ein richtiger aufgeblasener Galway-Pfeffersack, dem man am liebsten gleich eine runterhauen möchte, ehe man mit ihm spricht.“
„Augenblick mal“, sagte Big Old Shane, der in seiner Hosentasche gekramt hatte. „Ehe du weiterredest, will ich dir was geben, was dir rechtmäßig zusteht. Hier, nimm schon hin.“ Er drückte ihm etwas Hartes, Metallisches in die Hand.
Dan grinste in die Finsternis hinein. „Das sind zwei spanische Dublonen, wenn mich nicht alles täuscht. Hol’s der Henker, die nehme ich wirklich von dir an, Shane, denn die Wette, die wir in der Taverne ‚Atalia Star‘ abgeschlossen hatten, hatte ja ihre Gültigkeit.“
„Und du hast dir die Münzen sauer genug verdient“, sagte Shane. „Fast hätten sie dich deswegen um einen Kopf verkürzt.“
„Falsch. Sie wollten mich erschießen, glaube ich.“
„Das kommt ja wohl aufs gleiche hinaus“, sagte Philip junior.
„Nicht ganz, mein Junge“, erwiderte Dan. „Eine Kugel wäre mir doch lieber gewesen. Wäre ich unterm Fallbeil oder unter dem Schwert des Henkers gelandet, hätte ich mich hinterher so kopflos gefühlt.“
Keiner lachte, und auch Dan selbst fand, daß dies eine äußerst faule Art von Galgenhumor war.
Arwenack, der mit bei Batuti und den Zwillingen in der Jolle gesessen hatte, von der aus sie eine der Flaschenbomben zum Flußufer geworfen hatten, hockte jetzt zwischen Philip junior und Hasard junior, den Söhnen des Seewolfs, und legte sein zerfurchtes Schimpansengesicht in beide Vorderpfoten. Die bedrückte Stimmung „seiner“ Menschen griff auch auf ihn über, sehr wohl fühlte er sich nicht in seiner Haut. Warum saßen sie in diesem feuchten, dunklen Keller? Warum wurde wieder geschossen und gebombt wie in den alten Zeiten der „Isabella VIII.“, als die Seewölfe ihre tollkühnen Raids durchgeführt hatten?
Sollte diese Stadt nicht eigentlich ein friedlicher Platz, ein Hort der Behaglichkeit und Geborgenheit sein?
Arwenacks Affenhirn konnte sich viele Zusammenhänge nicht erklären, und darum war er gleichsam dazu verdammt, in dumpfes Brüten zu versinken und trübe vor sich hin zu blicken, ohne zu einer Lösung zu gelangen. Mit seiner Annahme aber hatte er recht: Galway, die Hafenstadt an der Westküste Irlands, hätte eigentlich ein hervorragender Ort für die Männer der „Isabella“ sein müssen, ein Sprungbrett für die Weiterreise nach England, das keine unangenehmen Überraschungen für sie bereithielt.
Und doch kam es immer anders, als man sich das ausmalte. Einmal heil in Spanien gelandet, hatten Hasard, Shane, Dan, Batuti, Gary, Matt und die Zwillinge samt Arwenack, ihrem Bordmaskottchen, Platz für die Heimfahrt auf der Galeone „Rosa de los Vientos“ gefunden, die von Cadiz nach Galway gesegelt war, um hier Fässer voll Rioja-Wein zu löschen und eine neue Ladung zu übernehmen.
Am Anfang hatte sich alles recht gut angelassen, denn Don Juan Bernardo Orosco und sein Erster Offizier Aurelio Vergara waren Freunde der Seewölfe geworden. Ebenso mit der spanischen Mannschaft hatten sich die Passagiere der Galeone alsbald sehr gut verstanden. Das lag nicht zuletzt auch daran, daß sie während der Überfahrt an Deck kräftig mit zugepackt hatten: Die „Rosa de los Vientos“ war unterbemannt und mit so wenigen Leuten Besatzung im Grunde kaum zu manövrieren.
In Galway hatte ihnen Orosco noch manchen Tip für den Aufenthalt in der Stadt gegeben, und Vergara hatte sie sogar zu der Herberge „Morris’ Arms“ begleitet, wo sie Quartier bezogen hatten.
Galway war England freundlich gesinnt, denn seine Bewohner waren überwiegend normannischer Herkunft und hatten mit den Iren nichts gemein. Mehr noch: Die Clans von Galway bekämpften die irischen Rebellen im Hinterland der Grünen Insel und versuchten, diese auszurotten.
Mit den Spaniern hingegen verstand man sich in Galway gut, seit vielen Jahrzehnten schon florierte der gegenseitige Handel.
Alles in allem hätten die Seewölfe in Galway keinen Ärger kriegen dürfen, und doch hatte es ihn gegeben. Alles hatte damit angefangen, daß sich ihr Aufenthalt länger ausgedehnt hatte als ursprünglich erwartet: Kein englisches Schiff lag auf der Reede oder am Long Walk, der langgestreckten Kaianlage, denn die Engländer mieden in der letzten Zeit die Westküste, weil die Rebellen diese Region besonders heimsuchten.
Daher waren die Aussichten, demnächst nach Plymouth zu gelangen, alles andere als rosig. Verdrossen hatten Hasard und seine Männer eine der vielen Tavernen des Hafenviertels aufgesucht, die „Atalia Star“, um den Kummer mit Bier zu bekämpfen.
Größer noch als ihr Verlangen auf eine rasche Rückkehr nach England war die Sorge um die anderen Kameraden. Was war aus Ben Brighton, Ferris Tukker, Edwin Carberry, Smoky, Blacky und all den anderen geworden? Die Abenteuer am Nil hatten einen unseligen Verlauf genommen, Hasard hatte die „Isabella VIII.“ verloren, und seine Männer waren in alle Winde versprengt worden.
In Plymouth hoffte er den einen oder anderen wiederzutreffen und wollte sich dort wenigstens umhören. Vielleicht gab es Neuigkeiten über das Schicksal der Kameraden. Aus diesem Grund hatten er und seine Begleiter es jetzt so eilig, die Strecke von Irland nach England zu überbrücken.
In der Taverne „Atalia Star“ waren unvermittelt einige putzmuntere, aufgekratzte Frauen erschienen, unter ihnen eine gewisse Kathryn Stephens und deren Freundinnen Tara, Sally, Jade und Eileen. Diese fünf hatten mit den Seewölfen angebändelt, und prompt hatte es bei den Männern handfeste Zweifel darüber gegeben, ob es sich wirklich um biedere Hausfrauen handelte, wie Aurelio Vergara behauptet hatte.
Dan hatte Vergara vertraut und die diesbezüglich mit Shane abgeschlossene Wette gewonnen: In Galway war alles anders, hier mußte nicht jede Frau, die man in einer Hafenkneipe antraf, gleich eine Hure sein. Es war hier üblich, daß nicht nur die Herren der Schöpfung, sondern auch deren Gemahlinnen ausgingen und freizügig durch die Tavernen bummelten.
Norman Stephens hielt von solchen Bräuchen überhaupt nichts – und auch der Magistrat erließ immer wieder Verordnungen, in denen