Jenny Marx. Marlene Ambrosi
Sie werde „fleißig von Curmachern umschwärmt, soll jedoch fortfahren, denselben ihr sangfroid – was in diesem Stücke gut angebracht ist – entgegenzusetzen.“ 9 Die Baronesse zeigte nicht die kalte Schulter, als ein Karl von Pannewitz aus Schlesien auftauchte. Die inzwischen zur „Ballkönigin“ avancierte Sechzehnjährige verliebte sich in den schneidigen, zackigen Secondeleutnant mit den guten Umgangsformen, und nach kurzer Bekanntschaft hielt dieser bei Vater Ludwig um ihre Hand an und erhielt die Zustimmung. Jenny war selig, turtelte mit dem schmucken Militär und fühlte sich wichtig im Kreise der jungen Damen, die, kaum erwachsen, von einem Manne zur Frau begehrt wurden. Die Verlobung fand (vermutlich) im Frühling 1831 statt. Alles schien den vorbestimmten Weg zu nehmen und die romantische Jenny träumte von Hochzeit.
Im Casino am Kornmarkt in Trier avancierte Jenny von Westphalen zur Ballkönigin
Laut den preußischen Militärakten gehörte ein Secondeleutnant Karl von Pannewitz (9. März 1803 – 16. Oktober 1856) dem 2. Bataillon des Infanterieregiments Nr. 28 an, das vom 8. Oktober 1830 bis zum 15. Juli 1831 in Trier und bis Mai 1832 im Hochwald stationiert war. Im Hause 462 bezog vom 8. Oktober bis zum 16. Dezember 1830 nachweislich ein von Pannewitz Quartier.
Die Verbindung zwischen der kapriziösen Baronesse und dem Leutnant sorgte bald für Gerede. Louise, inzwischen Ferdinands Frau, mischte eifrig mit. Nachdem sie von Caroline von Westphalen in einem „Triumphbrief“ von der Verlobung erfahren hatte, teilte sie im Oktober 1831 ihrer Mutter wichtigtuerisch mit: „Desto unangenehmer wurden aber wir durch Deine Nachrichten, Jenny’s neu geknüpftes Verhältniß betreffend, überrascht. Mir ist es noch ganz unerklärlich, wie die Mutter so schnell von ihrem wahrhaft unvernünftigen Enthusiasmus zurückgekommen ist, u. wie überhaupt die Enttäuschung in so kurzer Zeit so grell hat erfolgen können. Begierig sehen wir nun Alle Euren weiteren Bemerkungen über dieses leider! so bald von seinem ersten schönen Nimbus entkleidete Verhältniß entgegen, u. vor allem wünschen wir Jenny’s Empfindungen näher ergründen zu können, indem Ferdinand mit mir der Meinung ist, daß wenn das arme bethörte Mädchen jetzt schon den übereilten Schritt bereut, die Auflösung der Verbindung für alle Theile sehr zu wünschen ist. Wahrlich, Mutter u. Tochter dauren mich Beide sehr!“ 10 Im Familien-, Verwandten- und Bekanntenkreis wurde vermutlich über Probleme zwischen Fräulein von Westphalen und Karl von Pannewitz geklatscht, aber man war noch im Ungewissen, ob es zu einer Aufkündigung der Verlobung kommen würde. Louise zerbrach sich über Dinge den Kopf, die sie eigentlich nichts angingen. Sie bedauerte vor allem ihren Schwiegervater, den „Pylades“, denn ihr erschien „die Mutter, die doch wahrscheinlich die Hauptbeförderin von Jennys Verlobung gewesen ist, um so unverantwortlicher, da es bei wahrer Liebe für ihren ausgezeichneten Mann ihr erstes Streben hätte sein sollen, ihn … zum Verlassen des Geschäftslebens zu überreden, statt daß sie ihn, durch das eitle Befördern jener thörichten Verbindung … noch fest an seine Ketten geschmiedet hat. Oh, möchte doch dieses unpassende Verhältnis aufgelöst werden!“ 11 Nach ihrer und Ferdinands Ansicht hätte Ludwig von Westphalen aus gesundheitlichen Gründen den Dienst quittieren sollen.
Louise bat ihre Eltern, die in Trier lebten, um alle relevanten Informationen, denn der weiteren „Entwicklung von Jennys merkwürdigem Verhältnisse, sehen wir begierig entgegen.“ 12 Von Schwiegermutter Caroline hatte die Neugierige nämlich wenig befriedigende Auskünfte erhalten: „In der sie betreffenden Hauptsache, äußert sie sich übrigens sehr wenig und dunkel, so dass wir, ohne Eure vorhergegangenen Erläuterungen, von Jennys jetzigem Verhältnisse gar keine richtige Ansicht bekommen hätten.“ 13 Voller heuchlerischer Anteilnahme bat Louise ihre Mutter, Frau von Westphalen zu versichern, „daß es mir gewiß um Jennys und um ihretwillen sehr leid thäte, dies Verhältniß, von dem sie sich so viel Freude versprochen hätte, so trübe umwölkt zu sehen, dass ich indessen sehr hoffte und wünschte, dass sich diese betrübte Angelegenheit noch auf ein oder die andre Weise zu ihrer Zufriedenheit endigen würde.“ 14 Ihre Doppelzüngigkeit verriet ihr ambivalentes Verhältnis zu ihrer Schwiegermutter. Sie zeigte Adelsdünkel und Arroganz und vergaß, dass ihre Mutter ein gebürtiges Fräulein Wegener war, das sich „hochgeheiratet“ hatte; somit war auch sie wie Jenny halb bürgerlich. Vielleicht förderte Caroline von Westphalen gerade deshalb die Liaison Jennys mit dem adligen Leutnant, damit der Makel wie bei Louise beseitigt werden konnte.
Die Entlobung erfolgte spätestens Ende Oktober 1831 und natürlich suchte Louise nun in den Briefen an ihre Eltern nach den Ursachen. Sie konnte „noch immer nicht begreifen, was für gewichtige neue Gründe meine Schwiegereltern u. Jenny so schnell gegen diese Verbindung eingenommen haben. Die schlechten pecuniären Aussichten für die Zukunft sind ja die nämlichen geblieben, als sie bei der Schließung dieser Verbindung waren: die Hauptgegengründe müssen jetzt also wohl in der Persönlichkeit des H. v. Pannewitz aufgefunden sein; doch schreibt meine Schwiegermutter, dass sie sich in seinem Charakter zwar nicht geirrt hätten“ 15, aber der „Hauptfehler des H.v.P.“, so hatte Louises Mutter kolportiert, sei dessen „Mangel an Kenntnis und an Sinn daran!“ 16 Bildungsmangel und Bildungsunlust waren für Louise natürlich „ein großer übelstand“, „doch hätten wir nicht geglaubt, daß dieser von Seiten der Mutter u. Jenny’s so hoch angeschlagen würde, u. glauben überhaupt nicht, daß dieser neu entdeckte Fehler einen alleinigen gewichtigen Grund zur Auflösung der Verbindung darbieten könnte, wenn nicht bedeutendere Charakter – u. moralische Fehler noch zum Grunde liegen.“ 17 Die Forderung nach Bildung über das übliche Maß hinaus konnte bei der so kritischen Jenny eigentlich kaum überraschen. Louise verbiss sich in das Thema, nahm die Rolle der ungeliebten Caroline von Westphalen und deren Schwester Christiane ins Visier. Zu ihren Eltern: „Fast möchte ich sagen, dass mir das jetzige Benehmen der beiden ältern Damen gegen den unglücklichen Liebhaber noch weit mehr widersteht als ihr früheres; oder um mich deutlicher auszudrücken, dass die thörichte, eitle Verblendung, die sie früherhin zum Begünstigen und Befördern dieser Verbindung bewog, mir fast noch verzeihlicher erscheint, als ihre jetzige Härte, Ungerechtigkeit u. Indelicatesse in Behandlung dieses Verhältnisses. Ja wenn nicht wirklich, uns sämtlich verschwiegene, bedeutende moralische Fehler, der Abneigung der beiden ältern Damen gegen H.v.P. zum Grunde liegen, so möchte ich behaupten, daß ihrem Verfahren gegen ihn sogar alle Rechtlichkeit fehlt. Wenn aber wirklich moralische Flecken an dem armen Verfolgten durch die spähenden Beobachtungen hätten aufgefunden werden können, so würden sie diesen Makel sicher nicht verschwiegen haben, da ihnen dadurch das leichteste und gerechteste Mittel zu der von ihnen so heiß gewünschten Auflösung der Verbindung in die Hand gegeben würde.“ 18 Die Stiefschwiegertochter vermutete letztendlich „gekränkte Eitelkeit“ bei den Damen: der Leutnant habe ihnen nicht mehr hofiert und sei deshalb in Ungnade gefallen. Louise ergriff Partei: „Bei aller Oberflächlichkeit und Alltäglichkeit des jungen Mannes, die ich, ohne ihn zu kennen, reichlich suggerire, dauert er mich doch indem er unrechtlich und unpassend behandelt wird. – Ja, der sonst so ruhige Carl meinte in seiner Entrüstung über die ganze Sache, dass, wenn er an H. v. Pannewitz Stelle wäre, er wohl wüsste, welch einen Aufsage-Brief er den sämtlichen Damen zusenden würde.“ 19 Sogar Bruder Carl wurde instrumentalisiert, damit Louise sich moralisierend aufspielen konnte. Für sie war zudem „das Umhertreiben auf Casino-Bällen unter solchen Umständen (...) fast eine öffentliche Blame zu nennen.“ 20 Jenny war zwar jung und lebenslustig, aber keine Herumtreiberin.