Das Namibia-Lesebuch. Almut Irmscher
nur aus solch imposanten Dünen. Da gibt es auch endlose fahlweiße Ebenen, erhabene Bergzüge, tiefe Schluchten und zerklüftete Canyons.
Den nördlichen Teil der Namib beherrscht die Skelettküste, die sich vom Delta des Flusses Kunene an der Grenze zu Angola bis zur Mündung des Ugab-Riviers auf etwa 500 Kilometern Länge südwärts erstreckt. Der Benguelastrom tobt mit teilweise rasender Geschwindigkeit vor dieser Küste entlang, was schon vielen Schiffen zum Verhängnis wurde. Davon zeugen Hunderte von Wracks, von denen viele, wie schon erwähnt, dank der ständigen Anlandung neuer Sandmassen inzwischen tief im Landesinneren zu finden sind. Nicht nur das ist schaurig, auch das Schicksal der Schiffbrüchigen verlief hier tragisch. Konnten sie sich an das vermeintlich sichere Land retten, so fanden sie sich doch tatsächlich in nichts als einem Sandmeer des Todes wieder. Hier gibt es kein Wasser und weit und breit niemanden, der ihnen hätten helfen können. Sie verdursteten jämmerlich, und ihre Skelette sowie die ihrer Schiffe sind es, die der Küste ihren Namen gaben. Die Buschleute bezeichnen sie als „das Land, das Gott im Zorn erschuf“.
Weiter südlich, von der Mündung des Ugab über Swakopmund und Namibias bedeutendsten Seehafen Walvis Bay, türmt sich die Namib zu reizvollen Dünen in pudrigem Rosa. Im weiteren Verlauf nach Süden und Osten weiten diese sich zu einem enormen Sandmeer aus, das sich wiederum bis zur Hafenstadt Lüderitz erstreckt, die 400 Kilometer südlich von Walvis Bay liegt. Hier beginnt das ebenfalls zur Namib gehörende Sperrgebiet, das bis zum Fluss Oranje an der südafrikanischen Grenze reicht.
Die berühmten farbigen Dünen im gewaltigen Sandmeer der Namib sind kaum zugänglich. Es gibt zwei Möglichkeiten. Die eine besteht im Besuch des privaten Naturschutzgebiets der Tirasberge zwischen Lüderitz und der winzigen Siedlung Helmeringhausen, die rund 100 Kilometer von der Küste entfernt und 400 Kilometer südlich von Windhoek in der Wüste liegt. Helmeringhausen wurde 1919 von einem Sauerländer gegründet, der es nach seinem Heimatdorf benannte. Es besteht aus gerade mal acht Häusern mit kaum mehr Einwohnern. Doch weil es weit und breit nichts anderes gibt, kommt Helmeringhausen eine große Bedeutung als Versorgungsposten und touristischer Stützpunkt zu.
Die andere Möglichkeit, die fantastischen Dünen der Namib zu erreichen, bietet Sossusvlei. Betrachtet man eine Satellitenaufnahme der Namib zwischen Walvis Bay und Lüderitz, so ist ungefähr in der Mitte des Gebietes die aus Richtung Osten kommende, tief in das Dünenmeer eingeschnittene Kerbe des Sossusvlei sehr augenfällig. Es handelt sich dabei um den Endlauf eines Riviers, das eine breite Ebene durch die Sandberge gegraben hat und schließlich in ein paar Pfannen mit festem, hellem Belag aus Salz, Schluff und Ton versiegt.
Die geografische Erscheinung solcher Pfannen wird in Namibia als „Vlei“ bezeichnet, ein Wort, das dem Afrikaans entstammt. „Sossus“ hingegen ist eine Vokabel aus der Sprache des Volks der Nama und heißt „blinder Fluss“. Damit ist der Tsauchab gemeint, ein Rivier, das im östlich gelegenen Naukluft-Gebirge entspringt und auf seinem weiteren Weg den so wilden wie engen Sesriem-Canyon ausgegraben hat. Dieser vermittelt einen guten Eindruck davon, welche energischen Wassermassen hier am Werk gewesen sein müssen, auch wenn er bei unserem Besuch völlig ausgetrocknet unter der Wüstensonne vor sich hindöst. Sein Name, Sesriem, bedeutet übrigens „sechs Riemen“. Den verdankt er der Tatsache, dass vor gut hundert Jahren, als noch Ochsenkarren durch die Gegend fuhren, sechs der Riemen des Gespanns aneinandergeknotet werden mussten, um mit einem Eimer Wasser vom Grund des Canyons schöpfen zu können.
Weiter drängt sich das mächtige Rivier durch die Wüste, bis diese schließlich siegt und den stolzen Tsauchab im Sossusvlei versickern lässt, als sei er nur ein harmloses Rinnsal. Tatsächlich ist er zumeist nicht einmal das. Nur bei sehr ergiebigen Regenfällen im Naukluft-Gebirge schafft es der Tsauchab, sein Wasser bis zum Sossusvlei zu tragen, und weil es in der Namib immer trockener wird, kommt das nur alle Jubeljahre mal vor, mit anderen Worten, fast so gut wie nie. Schafft der Tsauchab es allen Hindernissen zum Trotz, dann füllen sich seine Endpfannen, die Vleis, für kurze Zeit mit flachen Seen.
Eine dieser Endpfannen ist das Deadvlei, zu dem wir gepilgert sind, auch wenn die Sonne inzwischen höher steht und der Marsch durch die Wüste nicht gerade erquicklich ist. Doch die Mühe lohnt sich, denn der Anblick der toten Kameldornbäume ist atemberaubend. Aus der fast weißen Kruste am Boden der Pfanne ragen ihre tiefschwarzen Stämme heraus, während sich im Hintergrund die orangeroten Dünenberge auftürmen. Hier stehen wir am Fuß von Big Daddy, mit bis zu 380 Metern Höhe ist er der Rekordhalter unter den Sandbergen der Namib und darüber hinaus eine der höchsten Dünen der ganzen Welt.
Die Kameldornbäume sind der erbarmungslosen Trockenheit des Deadvlei erlegen. Ihr Tod trat schon vor etwa 850 Jahren ein, bedingt durch die extreme Trockenheit verrottet ihr Holz seit damals nur äußerst langsam. Sie zeugen davon, dass es früher einmal feuchter gewesen sein muss und das Rivier des Tsauchab weitaus häufiger abkam – so nennt man das plötzliche Zutalstürzen der Wassermassen. Eine Klimaveränderung bewirkte geringere Regenfälle in den Bergen, dieser Umstand brachte die Bäume zum Verdorren.
Und das will etwas heißen, denn die Kameldornbäume sind robuste Überlebenskünstler. Sie überstehen die größte Sommerhitze und begnügen sich mit winzigsten Niederschlagsmengen. Selbst auf diese können sie im Grunde verzichten, denn sie bohren ihre Wurzeln bis zu 60 Meter tief in den Sand und gelangen dadurch selbst in trockenster Umgebung oft noch ans Grundwasser. Besonders gut gelingt das im Bereich der Riviere, wo sich das Grundwasser nicht ganz so weit unten im Erdreich verbirgt.
Und alle anderen Wüstenbewohner sind dankbar für den Schatten, den die dornigen Bäume mit ihrer ausladenden Krone spenden. So übrigens auch wir, als wir später mit hängender Zunge den Platz erreichen, an dem wir auf den Zubringer-Jeep warten müssen. Der soll uns die fünf Kilometer, die zwischen dem Beginn des Fußwegs zum Deadvlei und dem Ende der Asphaltstraße liegen, durch den Sand fahren. Welch ein Glück, dass an der Haltestelle ein Kameldornbaum gedeiht!
Die Asphaltstraße, die zum Sossusvlei und hinein bis fast zu dessen Ende führt, ist ein Luxus, der Touristen wie uns die Anfahrt erleichtert. Ansonsten sind befestigte Straßen in Namibia nämlich recht selten, es gibt sie fast nur im Umfeld größerer Städte und auf vielgenutzten Verbindungsrouten. Zumeist fährt man über Schotterpisten, die sogenannten Pads. Sie werden zwar regelmäßig gepflegt, und doch sind sie ganz schön holprig. Legt man – wie wir – darauf weite Strecken mit relativ hoher Geschwindigkeit zurück, so wird man heftig durchgerüttelt. Von den Torturen, denen das Fahrzeug ausgesetzt ist, ganz zu schweigen.
Und wehe, man hat eventuell eine Panne. Über Entfernungen von zig Kilometern gibt es nichts als Wüste oder Steppe, und andere Verkehrsteilnehmer kommen nur selten vorbei. Der Trans-Kalahari-Highway zum Beispiel, die wichtigste Verbindungsstraße im südwestlichen Afrika, lässt allein vom Namen her eine vielbefahrene Hauptverkehrsroute vermuten. Zwar ist er zumindest asphaltiert, doch haben wir uns einen Spaß daraus gemacht, mitten auf der Fahrbahn in aller Seelenruhe zu fotografieren. Während der geschlagenen halben Stunde, die wir an dieser Stelle pausierten, kam nämlich nur ein einziges anderes Fahrzeug vorbei. Dass es unterwegs zudem meist kein Mobilfunknetz gibt, brauche ich wohl nicht zu betonen.
Doch kehren wir noch einmal ins Sossusvlei zurück. Inzwischen haben wir die Asphaltstraße wieder erreicht und begeben uns auf den Rückweg. Hier begegnen uns, wenn auch nicht wirklich viele, so doch deutlich mehr Autos als anderenorts, denn es handelt sich um einen der touristischen Hotspots Namibias. Hoch oben an der Kammlinie der Düne 45, die sich auf dem halben Weg im Sossusvlei befindet, zeichnen sich die Umrisse derer ab, die den beschwerlichen Aufstieg gewagt haben. Die Düne trägt ihre nüchterne Bezeichnung übrigens aufgrund der Tatsache, dass sie vom Zugangstor zum Nationalpark in Sesriem genau 45 Kilometer entfernt ist.
Entlang des Grats der Düne 45 kann man sie gleich von der Straße aus erklimmen, steil führt der Trampelpfad gute 150 Meter aufwärts durch den Sand. Gefühlt steigt man dabei mühsam einen Schritt hinauf und rutscht gleich zwei wieder hinunter. Wem das zu beschwerlich ist, der kann ab Walvis Bay oder Swakopmund einen Rundflug über das Wüstenmeer unternehmen. Auch Fahrten mit dem Heißluftballon werden angeboten, sie starten in der Ortschaft Sesriem.
Und bei einer solchen Tour mit dem Heißluftballon hat man bestimmt das Glück, nicht nur die orangeroten Wogen des Wüstenmeers in ihrer ganzen