Menschliches Maß und Königliche Kunst. Jens Oberheide
Zeittafel. Johann Gottfried Schadow
Vorwort
Was er an Ämtern, Titeln und Ehren im Laufe seines langen Lebens erarbeitet, erworben und verliehen bekommen hatte, steht in seinen Memoiren («Kunst-Werke und Kunst-Ansichten», Berlin, 1849) gleich anfangs hinter seinem (Verfasser-)Namen: «Hofbildhauer Seiner Majestät des Königs von Preußen, Direktor der Königlichen Akademie der Künste zu Berlin, Ritter des Roten Adler-Ordens Zweiter Klasse mit dem Stern, des Ordens Pour le mérite für Wissenschaft und Kunst und des Königlich-Schwedischen Nordstern-Ordens; Mitglied der Kunstakademien zu Stockholm, Kopenhagen, Wien, München, Rom, Kassel, Dresden; korrespondierendes Mitglied der Akademien zu Paris und Brüssel,; Mitglied des Mecklenburgischen Patriotischen Vereins, der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur und des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde.» Eine wahrlich beeindruckende Aufzählung, die sich in europäischen Dimensionen bewegt. Sie ließe sich gewichtig fortsetzen, zum Beispiel mit dem Professorentitel und dem Ehrendoktor der Philosophie der Berliner Universität.
Johann Gottfried Schadow, Lithografie nach einer aquarellierten Silberstiftzeichnung von Ludwig Buchhorn, 1815
Dass Schadow 60 Jahre lang Freimaurer war, steht nicht darin. Dieser «Weltbund der Menschlichkeit» war schon damals eine eher diskrete Gesellschaft. Dennoch hat die Freimaurerei mit ihren Ideen und Idealen seit jeher auch anregend und ansteckend auf Geisteshaltung und Lebensstil ihrer Mitglieder gewirkt – und durch diese auch nach außen. Das war sicherlich auch bei Schadow so.
Freimaurer gehen im Grundverständnis davon aus, dass sie zwar nicht die Welt verändern, wohl aber dazu anstiften können, dass aus guten Menschen bessere werden, die sich dann für die bessere Welt und das bessere Miteinander der Menschen einsetzen. Schadows Geisteshaltung entsprach diesem Grundgedanken.
Johann Gottfried Schadows Persönlichkeit war geprägt durch eine »in der Aufklärung wurzelnde Bildung», durch «humanitäres Denken», dadurch, dass er «geistreich, energisch und gesellig» war und einen «ausgeprägten Familiensinn» besaß (Gisold Lammel: «Johann Gottfried Schadow», Berlin, 1987). Er besaß zudem eine große «Gelassenheit», viel «Selbstsicherheit» und sehr viel «Humor» (Joachim Lindner: «Wo die Götter wohnen», Berlin, 2008). «In schwierigen Zeiten bewies er Haltung und Charakter. Er bewahrte einen wachen Sinn für Soziales.» Er hatte ein «kraftvolles und im Wesentlichen hochgestimmtes Naturell» (Ulrike Krenzlin: «Johann Gottfried Schadow», Berlin, 1990). Er besaß «ironischen Witz und diese Art der direkten, unverblümten Sprache» (Claudia Czok: «Schadows Berlin», Berlin,1999). Die Freimaurerei hatte gewiss auch ihren Anteil an diesen Eckpunkten eines Charakterbildes.
Bis auf die gelegentliche Erwähnung in einigen Aufsätzen und Vorträgen ist Schadows Zugehörigkeit zum Bund der Freimaurer bisher noch nicht näher herausgearbeitet worden. Das soll hier versucht werden.
Jens Oberheide, im Februar 2021
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Ein Talent lernt Handwerkskunst
Man lerne erst das Handwerk der Kunst! Wisse bevor – und dichte dann!
Johann Gottfried Schadow
Der Schneidermeister Gottfried Schadow (1738–1788) und seine Ehefrau Anna Katharina, geb. Nilles, (1740–1797) hatten fünf Kinder, zwei Jungen und drei Mädchen.
Johann Gottfried, der Erstgeborene, erblickte am 20. Mai 1764 des Licht der Welt. Die Schadows wohnten damals in Berlin zunächst in der Lindenstraße, nahe dem Halleschen Tor, bevor sie 1766 eine Wohnung in der Heiligengeiststraße Nr. 6/7 bezogen, in der Vater Schadow selbstständig als Schneider arbeitete.
Seine Hauptkundschaft fand er unter den bei Hofe tätigen Kunsthandwerkern und unter den Mitarbeitern der Königlichen Bildhauerwerkstatt. Darunter waren viele Franzosen, Nachfahren der Hugenotten, die in Berlin alle Freiheiten in Brauchtum, Sprache, Religion und Kunst wahrnehmen durften und das auch in Sachen Mode taten (was dem Schneider Schadow entgegenkam).
Nach dem «Edikt von Potsdam» (1685) des «Großen Kurfürsten» waren die Hugenotten als protestantische Glaubensflüchtlinge («Réfugiés») aus Frankreich in Berlin und Brandenburg herzlich willkommen gewesen. Um 1700 waren schon rund ein Fünftel der Einwohner Berlins aus Frankreich Zugewanderte.
Der zu Schadows Jugendzeit regierende Friedrich der Große (1712–1786), Freund französischer Sprache und Lebensart, der nicht nur mit Voltaire (1694–1778) gern französisch parlierte und philosophierte, war durchaus kunstsinnig. Er hielt allerdings relativ wenig «von deutschen Künstlern, ob es nun Schriftsteller, Komponisten, Sänger, Maler oder Bildhauer waren. Italiener oder Franzosen mussten es sein» (Joachim Lindner: «Wo die Götter wohnen», Berlin, 2008).
Diese Kunsthandwerker, «die sich nach des Tages Last und Mühe mit echt romanischer Grazie und Lebenslust in ihren goldbordierten Samtröcken mit bestickten Manschetten, Jabots und seidenen Kniehosen … wie Kavaliere bewegten» (ders.), bildeten die «Zielgruppe» des Schneidermeisters Gottfried Schadow. Er lieferte gute, modische Arbeit, doch die Zahlungsmoral seiner Künstler-Kunden war oft schlecht. Er brauchte aber dringend Geld, um seine Familie zu ernähren und die Stadtschule «Zum Grauen Kloster» zu bezahlen, die seine beiden Söhne besuchten.
Der älteste Schadow-Sohn, Johann Gottfried, hatte schon als Schüler großes Talent zum Zeichnen offenbart. Lehrer, Nachbarn, aber auch Fremde von der Straße, denen er Zeichnungen anbot, zeigten sich erstaunt und angetan von den Künsten des Knaben.
So kam es, wie Schadow später rückblickend schreibt, «zu einer zufälligen Veranlassung». Ein immer wieder säumiger Kunde seines Vaters, Giovanni Battista Selvino, Italiener, Modellzeichner und Bildhauergehilfe aus dem Königlichen Atelier, stand beim Schneidermeister derart «in der Kreide», dass man nach einer Lösung suchte. Wie wäre es, dachten die Schadows, wenn Selvino seine Schulden abarbeitete, indem er dem talentierten Knaben als «Gegenwert» Zeichenunterricht erteilte?
Und daraus entwickelte sich mehr. Während des Unterrichts bei Selvino entdeckte Madame Marie-Edmée Tassaert das Talent des jungen Schadow. Madame Tassaert, erfolgreiche Pastell- und Fächermalerin, französische Gattin des flämisch-stämmigen preußischen Hofbildhauers Jean Pierre Antoine Tassaert, nahm sich des vierzehnjährigen «garçon allemand» an und machte «Godefroi», wie sie Gottfried nannte, zum Zeichenschüler, der fortan ganztägig in den Ateliers der Künstler arbeiten und lernen durfte. Das alles fand in französischer Sprache statt, die Schadow bald auch perfekt beherrschte. Zusätzlich besuchte er gemeinsam mit Jean-Joseph Tassaert, dem Sohn des Hofbildhauers, Vorlesungen in der «Akademie der mechanischen Wissenschaften und Schönen Künste» im alten Marstallgebäude in Berlin Unter den Linden.
Schließlich wurde er «garçon d’atelier» beim Hofbildhauer Tassaert. Bei ihm lernte er in aller Gründlichkeit das Handwerk des Künstlers.
Tassaert (1727–1788) hatte in England und in Paris gearbeitet, bevor er