Die Bibel - ein menschliches Buch. Angela Madaus

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sprachliche Fundament dafür über lange Zeit das Lateinische. Christliche Impulse wirkten dann aber weiter in den jeweiligen Nationalsprachen, die den Menschen erst eigentlich die Zunge gelöst haben. Im deutschen Sprachraum schuf Martin Luthers Bibelübersetzung nicht nur das frühe Neuhochdeutsch, sondern er machte mit seiner kraftvollen, allgemein verständlichen Sprache auch die Inhalte der Bibel dem ganzen Volk verständlich, eine wichtige Voraussetzung für die Verbreitung der Reformation. Seine Übersetzung der Psalmen wurde zum Liedgut in den christlichen Kirchen, und in der Vertonung von Heinrich Schütz, Johann Sebastian Bach, über Felix Mendels-ohn-Bartholdy bis Antonín Dvořák und Jean Sibelius gehören sie zum anspruchsvollen Repertoire der Kirchenchöre (der am häufigsten vertonte und gesungene Psalm dürfte Gott ist mein Hirte sein).

      Biblische Sprache ist aber noch wirkmächtiger; sie stellt, wie es der katholische Theologe Karl-Josef Kuschel ausdrückt, ein generelles Expressionsreservoir dar, aus dem munter geschöpft wird. So findet sich biblisches Substrat im Deutschen in vielen ganz selbstverständlich benutzten so genannten geflügelten Worten im Umgangswortschatz.

      Hier eine willkürliche Auswahl:

      diese Krankheit führt nicht zum Tode, weise wie Salomo, ein ungläubiger Thomas, arm wie Lazarus, wie im Paradiese leben, an den Fleischtöpfen Ägyptens sitzen, dem Mammon dienen, Jeremiaden anstimmen, von Pontius zu Pilatus laufen, jemandem die Leviten lesen, hier geht es zu wie in Sodom und Gomorrha, alt wie Methusalem, Matthäi am Letzten …

      Letzteres Bonmot geht auf Martin Luther zurück. In seinem Katechismus, im 4. Hauptstück (Über das Sakrament der Taufe) werden die letzten Sätze des Matthäus-Evangeliums zitiert, in der es um die Aussendung der Jünger geht, mit der Verpflichtung, das Evangelium zu verkünden und zu taufen. Luther verbindet hier in der Verwendung des lateinischen Genitivs den Verfasser scheinbar mit dem Weltuntergang: Da unser Herr Jesus spricht Matthäi am Letzten: Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt (Mt 28,20). Und in der Rezeption setzt dann das Sprichwort den leeren Beutel dem Weltuntergang gleich. Die Konnotation – leerer Beutel gleich Weltuntergang – hätte vielleicht sogar Matthäus, dem Zöllner und Geldeintreiber, gefallen!

      Trotz aller Säkularisierung im Gefolge der Aufklärung werden biblische Stoffe und Narrative offensichtlich bis auf den heutigen Tag in Kunst und Literatur und, wie man sieht, auch in der Alltagssprache rezipiert, und sie dienen, verfremdet oder widerborstig, als Folie zur Verdeutlichung anthropologischer Grundfragen. So können christliche Narrative menschlicher Erfahrungen zu Spiegelbildern und Projektionsflächen werden, etwa die Gestalt Maria Magdalenas, die (unbiblisch) als Typus der Sündenheiligen in der Kunst tradiert wird, oder Hiob als Chiffre für die Grenzerfahrung des Ausgeliefertseins. Die Bibel kann sogar Diagnosemedium (Karl-Josef Kuschel) sein, wie in Rainer Maria Rilkes Engelliedern und vor allem den Duineser Elegien, in denen der bedürftige Mensch mit seinem persönlichen Schutzengel beständige Zwiesprache hält (euch (Engel) frag ich nach uns), weil er mit ihm in einer symbiotischen Beziehung lebt. Sein ihm von Gott zugewiesener Engel zeigt ihm Gegenbilder zur gedeuteten Welt als einer begrenzten Welt und gibt ihm in schwierigen Lebenssituationen Trost, Geborgenheit und Halt, indem er ihn in den Bereich des inneren, geistig imaginativen Lebens geleitet. In der Unmittelbarkeit des Erlebens macht das lyrische Ich so schließlich die Erfahrung eines gesteigerten, intensiveren Lebens:

       Ich ließ meinen Engel lange nicht los

       und er verarmte mir in den Armen

       und wurde klein, und ich wurde groß:

       und auf einmal war ich das Erbarmen,

       und er eine zitternde Bitte bloß.

       Da hab ich ihm seine Himmel gegeben,-

       und er ließ mir das Nahe, daraus er entschwand;

       er lernte das Schweben, ich lernte das Leben,

       und wir haben langsam einander erkannt…

       (Rainer Maria Rilke)

      Bei Thomas Mann und Bert Brecht ist die Bibel zwar auch eine Möglichkeit der Selbstdeutung, aber sie dient vor allem als Folie für die Darstellung gesellschaftlicher Verwerfungen, Entgleisungen, Ungerechtigkeiten oder Verbrechen, wobei der immanente Bezug auf die Bibel dem jeweiligen Autor eine literarische Distanzierungs- und Verfremdungsmöglichkeit bietet.

      Thomas Mann arbeitet sich geradezu an der Bibel ab. Die biblische Josephs-Geschichte bot ihm dabei das archetypische Muster für eine Karriere im Exil – und damit dem unverhofft selbst ins Exil geratenen Autor viele Möglichkeiten für subtile Spiegelungen (Deutschlandfunk, 30.9.2018).

      Religiöse Bezüge, Bilder und Zeichen sind unverkennbar in vielen anderen seiner Romane auffindbar beispielsweise im Doktor Faustus. Es gibt hier sogar explizit theologische Passagen. Adrian Leverkühn studiert Theologie, wendet sich dann davon ab und der Musik zu, und der Teufel begleitet ihn in mancherlei Gestalt auf seinem Lebensweg. Als Theologe (auf dem Gebiet kennt sich der Teufel nach seiner eigenen Aussage gut aus) oder als Zuhälter führt er Adrian immer wieder in Versuchung und immer tiefer in die Kälte des vergeistigt leidenden Einzelgängers, der für die Suche nach dem genialen Werk mit dem Bösen einen Pakt eingeht und sich seiner Umwelt immer mehr entfremdet. Die Wirkung des Teufels zeigt sich darin, dass die christlichen Werte und Topoi verkehrt werden: So führt die enge Pforte nicht in den Himmel, sondern in die Hölle, und Liebe gibt es nur andeutungsweise (so Adrians Liebe zu seinem Neffen, der als Strafe für diese in Adrians Augen verbotene Liebe stirbt) oder pervertiert, in der Sexualität mit einer Prostituierten). Das Böse dominiert. Über den Hochmut hat der Teufel Adrians Seele gewonnen. Die Pervertierung der christlichen Werte spiegelt sich in Adrians immer diabolischer werdenden Musik mit ihrer Umkehrung aller musikalischen Prinzipien. Folgerichtig endet Adrian in der Verzweiflung, in heilloser Sündhaftigkeit.

      Auch der Dramatiker Bert Brecht, aufgewachsen im katholischen Augsburg als Kind einer protestantischen Mutter und eines katholischen Vaters, hat sich ein Leben lang mit der Bibel beschäftigt. Sie war seine Lieblingslektüre, vielleicht weil die Sicht der Bibel immer eindeutig, jedoch nicht eindimensional ist und dadurch die beste Vorlage für Brechts Sprache und Thematik bot. In seinem Werk finden sich durchgängig biblische Bezüge und Zitate. Den motivatorischen Impuls für seine gesellschaftskritischen Anklagen bezieht er, wie er selber ausführt, aus den großen moralischen Kategorien des Christentums wie Leid, Sünde, Verdammnis.

      In Bertold Brechts wohl bekanntestem Antikriegsstück Mutter Courage und ihre Kinder, geschrieben 1939 im dänischen Exil, uraufgeführt 1941 in Zürich, beschreibt die gleichnamige Protagonistin scheinbar ungerührt, ja sarkastisch den merkantilen Aspekt des Krieges: Der Krieg ist nichts als die Geschäfte / Und statt mit Käse ists mit Blei. Weil das so ist, zieht die Marketenderin Courage mit ihrem Planwagen durch die vom dreißigjährigen Krieg zerstörte Welt und hofft, sich aus dem Krieg, der ihre Einkommensquelle darstellt, heraushalten zu können. Sie denkt ökonomisch und handelt couragiert, allerdings im Sinn von skrupellos opportunistisch zu verstehen, wird dabei aber realitätsblind, und so verliert sie alle ihre drei Kinder an diesen Krieg, den sie schließlich verflucht, ohne eine Lehre daraus zu ziehen. Auf sich allein gestellt, folgt sie mit ihrem Planwagen weiterhin dem Zug der Soldaten:

       Das Frühjahr kommt. Wach auf, du Christ!

       Der Schnee schmilzt weg. Die Toten ruhn.

       Und was noch nicht gestorben ist,

       Das macht sich auf die Socken nun.

      4. Bibelrhetorik

      Zugang zum Christentum fanden in der Spätantike zunächst eher einfachere Leute und Frauen. So nennt die Apostelgeschichte neben Barnabas und Timotheus einige Frauen, wie Priscilla, Aquila und Lydia, als Mitarbeiterinnen von Paulus. Vor allem Gebildete taten sich jedoch oft schwerer. Die Ablehnung hatte mehrere Gründe.


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