Liebesheilung: 7 Arztromane großer Autoren. A. F. Morland
die Firma noch, bloß scheinen das einige Leute nicht zu merken.“ Seine Erwiderung war ungewöhnlich heftig. Jede andere Frau wäre eingeschnappt. Nicht so Olga.
Ihr Verstand arbeitete präzise und logisch. Heute Morgen vor der Konferenz hatte er fast fünf Minuten lang versucht, seine Frau an den Apparat zu bekommen. Und jetzt seine Frage, ob sie zwischendurch hier angerufen hat: Dann noch dieser Anruf, den sie zu ihm durchgestellt hatte. Ein Doktor Mittler. Er war überhaupt nicht vom Telefon zu trennen, als sie ihn zur Konferenz wegholen wollte. Ein paar Worte hatte sie aufgeschnappt.
Sie steckte den bemalten Verteilungsplan in den Papierkorb und blickte erstaunt, als sie Becker fragen hörte: „Was halten Sie von Kentenich?“
Eine derart indiskrete Frage hatte er noch nie gestellt.
..Schwer zu sagen“, murmelte sie. „Er will Erfolge vorzeigen können.“
„Einsparungserfolge ja. Dabei könnten wir in einem halben Jahr Umsatzgewinne verbuchen. Die Pläne sind fix und fertig. In einem Monat könnten wir die verstärkte Produktion aufnehmen.“
„Er hält nichts von Wärmepumpen“, flocht Olga ein. „Kaffee?“
„Bitte nicht, sonst geht mir die Pumpe aus den Fugen. – Man könnte gerade meinen, er hat sich mit der Sparte Wärmepumpen noch nie befasst. Er bremst, wo er kann.“
Den Eindruck hatte Olga Finkenschläger allerdings auch gewonnen.
„Sie sollten mit der Firmenleitung reden. Soll ich die Unterlagen herauslegen?“
Er schaute auf die Uhr. Seit einer halben Stunde war Feierabend. Jetzt war es zwecklos. Auf der Chefetage war niemand mehr.
Ein aufdringliches Pochen an die Tür ließ Becker und seine alte Sekretärin den Kopf wenden. „Bitte?“ Es war die Stenotypistin im Glanz von frisch aufgebrachtem Makeup. „Ich bin schon über die Zeit“, erklärte sie in ihrer breiten Sprechweise, schaute die Sekretärin an und bedachte dann den Chef mit einem Blick, den sie für schmelzend hielt. Unter den Kolleginnen machte Gerda laufend Reklame für sich, und es war kein Geheimnis, dass sie sich für schön hielt und die meisten Kolleginnen sie wiederum für doof. Unter der Belegschaft kursierte das kränkende Wortspiel, sie sei schön doof. „Da komme ich morgen halt später.“
„Jaja“, machte Walter Becker abwesend. Olga Finkenschläger war sicher, dass das Mädchen morgen mindestens eine Stunde später kam.
Die Tür schloss sich, und Olga merkte, dass ihr Chef überhaupt nicht bei der Sache war. Überstunden wurden vergütet, es war in der Firma nicht üblich, solche Zeiten irgendwie abzufeiern.
Ob’s an Kentenichs Einsparungsvorstellungen liegt?, dachte sie.
Die Wahrscheinlichkeit war gering. Mit dem Kentenich hatte sich Herr Becker immer in der Wolle.
Dann stimmte bei ihm zu Hause vielleicht was nicht! Das erklärte seine zeitweilige geistige Abwesenheit.
Sie räumte ihre Unterlagen weg, machte den Schreibtisch frei und schloss die Fächer ab.
„Brauchen Sie mich noch, Herr Becker?“
„Wie?“ Er war mit den Gedanken schon wieder ganz woanders. „Nein, danke, Olga.“ Sein Blick fiel auf den Papierkorb, aus dem die Blätter von Kentenichs Vorschlag schauten. Eine Idee war plötzlich da – eine ungewohnte, fast skurrile Vorstellung. Aber plötzlich sah er darin die Möglichkeit, den längst fälligen Sturm im Wasserglas zu entfachen, der endlich Klarheit in die Verhältnisse der Firma bringen musste.
„Ich komme morgen nicht“, fügte er hinzu. „Eine familiäre Angelegenheit, was Sie aber für sich behalten.“
Sie nickte nur; sie hatte es halb geahnt. Krach kam in den besten Ehen vor.
„Der Blumenladen an der Ecke hat noch auf“, sagte sie weich. „Mit einem schönen Strauß lässt sich manches wieder einrenken.“
Sein erstaunter Blick ging ihr durch und durch.
„Olga, Sie zerbrechen sich den Kopf anderer Leute. Aber Blumen sind eine gute Idee.“ Er verschwand in seinem Zimmer.
Kein Krach?, wunderte sie sich. Hat es dann mit dem Doktor zu tun, der heute Morgen anrief?
Ein paar Worte fielen ihr ein, die sie ungewollt aufgeschnappt hatte. Herr Becker sprach von untersuchen, von einem feinen Kerl, der sie war, und dass er sie doch jetzt nicht im Stich ließ.
Da war etwas mit seiner Frau!
Stellte sich bei den Beckers noch einmal Nachwuchs ein? Dann hätte er aber doch ein anderes Gesicht gemacht und wäre munter und aufgeschlossen gewesen – wie damals, als dann das Mädchen kam.
Eine unheilvolle Ahnung überkam sie.
Hatte er nicht nach etwas gefragt, das sich wie „Krebs“ anhörte?
Sie überlegte. So genau hatte sie nicht hingehört. Aber jetzt war sie absolut sicher.
Er hatte danach gefragt!
Arme Frau! Olga Finkenschlägers mütterlich fürsorgliche Gefühle wallten auf.
8
Die Verkäuferin im Blumengeschäft stellte einen Strauß nach seinen Anweisungen zusammen – Levkojen, gelbe und blaue Iris, dazu ein paar Halme Ziergras.
„Zwanzig Mark?“, fragte sie unsicher.
„Der Preis ist unwesentlich.“
Sie steckte noch ein paar Blumen hinzu und verschwand nach hinten, um das Gebinde einzukordeln.
Sie werden ihr gefallen, überlegte Walter Becker. Ein eigenwilliger Strauß trifft immer ihren Geschmack.
Rosen, wie sie ihm die Verkäuferin erst offeriert hatte, waren entweder eine Weltanschauung oder Ausdruck schlechten Gewissens. Und Nelken waren eine Verlegenheitslösung. Wem gar nichts einfiel, der nahm Nelken.
Eva-Maria verabscheute Einfallslosigkeit.
Die Verkäuferin brachte den Strauß in Cellophan gehüllt, er bezahlte und verstaute die Blumen sorgfältig auf der Rückbank.
Während er den Wagen durch den Feierabendverkehr über die Zoobrücke lenkte, überlegte er, wie er ihr auf unverfängliche Art beibrachte, dass er sie morgen nach Bonn in die Klinik fuhr.
Am besten war, er erzählte ihr die Wahrheit. Die halbe Wahrheit! Den Ärger mit dem engstirnigen Querulanten Kentenich und seine Absicht, durch sein Fernbleiben morgen einen Krach zu provozieren.
Diese Lösung fand er geschickt. Eva-Maria nahm immer regen Anteil an seinem Berufsleben; sie würde sich über die neue Situation Gedanken machen und war von ihrem Problem abgelenkt.
Das war genau das, was Hermann als wünschenswert empfohlen hatte. Weg von den trüben Gedanken, Aufmunterung, Ablenkung mit allen Mitteln, damit sie sich nicht noch mehr in ihre Idee verrannte und am Ende Gemütszustände bekam!
Der allabendliche unvermeidliche Stau an der Autobahnabfahrt nervte ihn nach langer Zeit mal wieder.
Es zog ihn nach Hause. Nicht, damit Eva-Maria die kleine Familie vollzählig um sich versammelt sah, sondern weil er das Bedürfnis hatte, bei ihr zu sein, ihre Nähe zu spüren.
Und auch, um ihren Kummer mitzutragen, wenn sie von sich aus darauf zu sprechen kam. Sie sollte wissen, dass sie immer auf ihn zählen konnte, dass er zu ihr hielt.
Es war auch eine kleine Wiedergutmachung für die ungezählten Male, in denen sie ihm beigestanden hatte, wenn er schwerwiegende Entscheidungen zu treffen hatte und nachts stundenlang wach lag.
Sie war ihm nicht bloß Frau, eine gute Frau, sie war noch mehr Freund und Kamerad.
Die roten Ampelphasen kamen ihm doppelt so lang vor wie sonst, die Fahrer vor ihm besonders saumselig, trottelig und verschlafen.