Über den Umgang mit Menschen (Enhanced, +Theaterstück). Adolph Freiherr von Knigge

Über den Umgang mit Menschen (Enhanced, +Theaterstück) - Adolph Freiherr von Knigge


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Einfluss auf die Verschiedenheit der Stimmung in den einzelnen Provinzen und Staaten und unter den mancherlei voneinander abgesonderten Ständen hat. Eben daher kommt es, dass unsre Schauspieler, Schauspieldichter und Romanschreiber ein viel schwereres Studium haben, wenn sie alle diese Nuancen kennen, bearbeiten und dennoch einen Anstrich von originellem Nationalcharakter wollen durchschimmern lassen; viel schwerer als in Frankreich, wo die Sitten der verschiedenen Stände und einzelnen Provinzen nicht so sehr gegeneinander abstechen. Eben daher kommt es, dass man über wenige unsrer literarischen Produkte ein allgemein einstimmig beifälliges Volksurteil hört, dass überhaupt so wenig unsrer Werke als Nationalmonumente auf die Nachwelt übergehn, und eben daher endlich kommt es, dass es so schwer ist, mit Menschen aus allen Ständen und Gegenden in Deutschland umzugehn und bei allen gleichwohl gelitten zu sein, auf alle gleich vorteilhaft zu wirken.

      Der treuherzige, naive, zuweilen ein wenig bäuerische, materielle Bayer ist äußerst verlegen, wenn er auf alle verbindlichen, artigen Dinge antworten soll, die ihm der feine Sachse in einem Atem entgegenschickt; dem schwerfälligen Westfälinger ist alles hebräisch, was ihm der Österreicher in seiner ihm gänzlich fremden Mundart vorpoltert; die zuvorkommende Höflichkeit und Geschmeidigkeit des durch französische Nachbarschaft polierten Rheinländers würde man in manchen Städten von Niedersachsen für Zudringlichkeit, für Niederträchtigkeit halten! Man glaubt da, ein Mann, der so äußerst untertänig und nachgiebig ist, müsse gefährliche und niedrige Absichten haben oder müsse falsch oder sehr arm und hilfsbedürftig sein, und oft ist dort ein wenig zu weit getriebene äußere Höflichkeit hinlänglich, den Mann, der sich am Rheine dadurch allgemeine Liebe erwerben würde, an der Leine verächtlich zu machen. Dagegen wird aber auch der nicht kältere, nur weniger leichtsinnige, weniger zuversichtliche, nicht so im Gedränge von Fremden, noch auf Reisen an Leib und Seele abgeschliffene, geglättete, sondern ernsthaftere Niedersachse, der bei der ersten Bekanntschaft nicht sehr zuvorkommend, sondern wohl gar ein wenig verlegen ist, an einem Hofe im Reiche vielleicht für einen schüchternen Menschen ohne Lebensart, ohne Welt angesehn werden.

      Sich nun also nach Ort, Zeit und Umständen umzuformen und von verjährten Gewohnheiten sich loszumachen, das erfordert Studium und Kunst.

      In Gegenden, aus welchen weder Unzufriedenheit mit dem Vaterlande, noch Müßiggang, noch Verderbnis der Sitten, noch unbestimmte, rastlose Tätigkeit, noch Anekdotenjagd, noch vorwitzige Neugier die Menschen scharenweise emigrieren macht und jeden Pinsel zum Reisen und Wandern treibt, sind die Einwohner mit dem, was es daheim gibt, so herzlich wohl zufrieden, dass sie nichts Größeres kennen, nichts Größeres kennen mögen, als was sie in ihrem Vaterlande von Jugend auf betrachtet, schon als Knaben bewundert oder von ihren Verwandten und Freunden haben stiften, bauen, anlegen gesehn. Ihnen sind die kleinen jährlichen oder andern Feste immer neu, immer gleich glänzend und merkwürdig. – Glückliche Unwissenheit! nicht zu vertauschen mit dem Ekel, welcher den Mann anwandelt, der in seinem Leben so gar viel allerorten erlebt, erfahren, gesehn, bauen und zerstören gesehn hat und zuletzt an nichts mehr Freude finden, nichts mehr bewundern kann, alles mit Tadel und Langerweile anblickt! Ich reiste vor einigen Jahren im rauesten Wetter in notwendigen Geschäften vierzig Meilen weit von +++ nach +++. Es fügte sich, dass in letztrer Stadt am Tage meiner Ankunft ein General mit den dabei allerorten mehr oder weniger üblichen Feierlichkeiten sollte begraben werden. Die ganze Stadt, die dergleichen selten gesehn, war vom frühen Morgen an in Bewegung; alles sprach von dem Begräbnisse des Generals. Ein Offizier von meiner alten Bekanntschaft begegnete mir im Gasthofe: »Ei! wo kommen Sie her?« rief er; ich sagte es ihm. Der gute Mann vergaß in dem Augenblicke, dass +++ vierzig Meilen weit läge und dass eine solche Feierlichkeit mir wohl schwerlich in so schlechtem Wetter eine so weite Reise wert sein könnte: »Oh!« sagte er, »Sie kommen gewiss, um unsern General begraben zu sehn; ja! es wird sich schön ausnehmen.« – Nun! zu so etwas kann ich kaum lächeln; möchten alle Menschen das am schönsten finden, was sie haben! Doch gestehe ich auch, dass dies oft zu Intoleranz führt; dass die Anhänglichkeit an einheimische Sitten zuweilen ungerecht, ungeschliffen gegen Menschen macht, die sich durch kleine Verschiedenheiten, wäre es auch nur in Anstand, Kleidung, Ton, Mundart oder Gebärden, unschuldigerweise auszeichnen.

      In Reichsstädten ist diese Anhänglichkeit an väterliche Sitten, Kleidertrachten u. dgl. sehr auffallend und hat nicht selten Einfluss auf Regierungsverfassung, Religionsverträglichkeit und andre wichtige Dinge. So legen z. B. alle calvinistischen Kaufleute in +++ ihre Gärten nach holländischem Geschmacke an; nun hörte ich einstens einen solchen von einem andern Negotianten dieses Bekenntnisses, der aber in seinem Garten einige der reformierten Gemeinde auffallende Veränderungen vorgenommen hatte, sagen: Der Mann habe in seinem Garten allerlei lutherische Streiche gemacht. – Dass ich mich nicht von meinem Zwecke entferne! Ich meine, die Verschiedenheit der Sitten und der Stimmung in den deutschen Staaten macht es sehr schwer, außer seiner vaterländischen Gegend, in fremden Provinzen, in Gesellschaften zu gefallen, Freundschaften zu stiften, Geschmack am Umgang zu finden, andre für sich einzunehmen und auf andre zu wirken.

      Aber diese Schwierigkeiten werden in Deutschland noch größer unter Personen von verschiedenen Ständen und Erziehungen. Wer wird nicht schon mehrmals in seinem Leben die Erfahrung gemacht haben, in welche Verlegenheit man kommen kann, und wie groß die Langeweile ist, die uns befällt oder die wir andern verursachen, wenn wir in eine Gesellschaft geraten, deren Ton uns gänzlich fremd ist, wo alle auch noch so warmen Gespräche an unserm Herzen vorbeigleiten, wo die Form der ganzen Unterhaltung, alle Gebräuche und äußern Manieren der Anwesenden weit außer unserm Systeme liegen, nicht zu unsern Gewohnheiten passen, wo die Minuten uns Tage scheinen, wo Zwang und Verwünschung unsrer peinlichen Lage auf unsrer Stirne gemalt stehen.

      Man sehe nur einen ehrlichen Landedelmann aus treuer Lehnspflicht einmal nach langen Jahren wieder an dem Hofe seines Landesherrn erscheinen! Er hat sich schon frühmorgens aufs beste ausgeschmückt und sich die sonst gewöhnte liebe Pfeife Tabak versagt, um nicht nach Rauch zu riechen. Auf den Gassen der Stadt war es noch öde und still, als er schon in seinem Wirtshause umherwandelte und alles in Bewegung setzte, um ihm beizustehn bei dem beschwerlichen Geschäfte, sich hofmäßig auszuschmücken. Jetzt ist er endlich fertig; sein gekräuseltes und gepudertes Haar, das außerdem selten ohne Nachtmütze auftritt, hat er der freien Luft preisgegeben, und leidet er nun höllische Kopfschmerzen; die seidenen Strümpfe ersetzen bei weitem nicht, was die heute zurückgelegten Stiefel ihm sonst gewähren; ihn friert gewaltig an den ihm nackend scheinenden Beinen. Der besetzte Rock ist in den Schultern nicht so bequem als sein treuer, alter, warmer Überrock; der Degen gerät jeden Augenblick zwischen die Beine; er weiß nicht, was er mit dem kleinen Hütchen in der Hand anfangen soll; das Stehn wird ihm unerträglich sauer. – In dieser grausamen Verfassung erscheint er im Vorzimmer. Um ihn her wimmelt ein Haufen Hofschranzen herum, die, obgleich sie wahrlich sämtlich vielleicht nicht so viel wert als dieser ehrliche, nützliche Mann und im Grunde ihrer Herzen nicht weniger als er von Langerweile geplagt sind, dennoch mit Naserümpfen und Verachtung hier, wo sie in ihrem Elemente zu sein scheinen, ihn ansehen. Er fühlt jeden Spott, übersieht sie und muss sich dennoch von ihnen demütigen lassen. Sie nähern sich ihm, tun mit zerstreuter, wichtiger Miene einige Fragen an ihn, Fragen, an denen das Herz keinen Anteil nimmt und worauf sie auch die Antworten nicht abwarten. Er glaubt einen unter ihnen zu entdecken, der ihm teilnehmender scheint als die übrigen; mit diesem fängt er ein Gespräch von Dingen an, die ihm, vielleicht auch dem Vaterlande, wichtig sind: von seiner häuslichen Lage, von dem Wohlstande der Provinz, in welcher er lebt; er redet mit Wärme; Redlichkeit atmet alles, was er sagt – aber bald sieht er, wie sehr er sich in seiner Hoffnung getäuscht hat; das Männchen hört ihm mit halbem Ohre zu, erwidert irgendein paar unbedeutende Silben zur Antwort und lässt dann den braven Hausvater da stehn. Nun nähert er sich einem Zirkel von Leuten, die mit Interesse und Lebhaftigkeit zu reden scheinen; an diesem Gespräche wünscht er teilzunehmen; aber alles, was er hört, Gegenstand, Sprache, Ausdruck, Wendung, alles ist ihm fremd. In halb deutschen, halb französischen Worten wird hier eine Sache abgehandelt, auf welche er nie seine Aufmerksamkeit geschärft, von welcher er nie geglaubt hat, dass es möglich wäre, deutsche Männer könnten sich damit beschäftigen. Seine Verlegenheit, seine Ungeduld steigt mit jedem Augenblicke, bis er endlich das verwünschte Schloss weit hinter sich sieht.

      Und nun, den Fall umgekehrt, lasse man einen sonst edlen Hofmann einmal hinaus auf das Land in die


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