Der kleine Ritter (Herr Wolodyjowski). Henryk Sienkiewicz

Der kleine Ritter (Herr Wolodyjowski) - Henryk Sienkiewicz


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bewegte die Nasenflügel lebhaft und schüttelte ihr Stirnhaar traurig und nachdenklich.

      »Sage mir doch deine Gründe!« sagte Sagloba.

      »Das wollte auch er wissen, aber vergeblich; ihm habe ich's nicht gesagt, und ich sage es niemand.«

      »Und vielleicht,« sagte Sagloba, indem er ihr scharf in die Augen sah, »vielleicht trägst du im Herzen eine verborgene Liebe, he?«

      »Nichts da!« rief Bärbchen.

      Sie sprang von ihrem Platze auf und begann eilig, als ob sie eine Verwirrung verbergen wollte, zu wiederholen:

      »Ich mag Herrn Nowowiejski nicht, ich mag ihn nicht, ich mag niemand; warum quälen sie mich, warum quälen sie mich alle?«

      Und sie brach plötzlich in Tränen aus.

      Sagloba tröstete sie, so gut er konnte, aber sie war den ganzen Tag traurig und mürrisch.

      »Michael,« sagte Sagloba bei Tische, »du gehst fort, inzwischen kommt Ketling zurück, und er ist ein Frauenliebling seltener Art. Ich weiß nicht, wie die Mädchen mit ihm fertig werden, aber ich denke, wenn du wiederkommst, findest du beide verliebt.«

      »Gut für uns,« antwortete Wolodyjowski, »wir geben ihm sogleich Fräulein Bärbchen.«

      Bärbchen heftete ihre Luchsaugen auf ihn und erwiderte:

      »Und warum seid Ihr um Christine weniger besorgt?«

      Der kleine Ritter war sehr verwirrt und antwortete:

      »Ihr kennt Ketlings Macht noch nicht, aber Ihr werdet sie erfahren.«

      »Und warum soll sie Christine nicht erfahren? Ich bin's ja nicht, die da singt:

      O glaubet, Ihr Ritter,

       Wohl gehet in Splitter

       Auch Panzer und Stahl,

       Durch Eisen und Schilde

       Trifft Amor der Wilde,

       Ins Herz — ohne Wahl!«

      Nun war Christine ihrerseits verwirrt, und der kleine Kobold sprach weiter:

      »Schließlich bitte ich Herrn Nowowiejski, mir seinen Schild zu leihen; aber wenn Ihr abreiset, weiß ich nicht, womit sich Christine verteidigen wird, wenn es an sie herantritt.«

      Wolodyjowski hatte sich wiedergefunden; er antwortete in etwas strengem Tone:

      »Vielleicht findet auch sie etwas zu ihrer Verteidigung, und nichts Schlechteres als Ihr.«

      »Und wie das?«

      »Sie ist weniger leicht, sie hat mehr Stetigkeit und Überlegung ...«

      Sagloba und die Frau Truchseß glaubten, der trotzköpfige kleine Heiduck werde gleich den Kampf aufnehmen; aber zu ihrem großen Erstaunen ließ sie den Kopf sinken und sagte erst nach einer Weile mit ruhiger Stimme:

      »Wenn Ihr mir zürnt, so bitte ich Euch und Christine um Verzeihung ...«

       Inhaltsverzeichnis

      Michael hatte die Erlaubnis, seinen Weg zu wählen, wie er wollte; er ging nach Tschenstochau an Ännchens Grab. Nachdem er hier den Rest seiner Tränen ausgeweint, zog er weiter, und unter dem Eindruck der frischen Erinnerungen kam ihm in den Sinn, daß diese geheimnisvolle Verlobung mit Christine doch vielleicht verfrüht war. Er empfand, daß Leid und Trauer etwas Heiliges, Unantastbares in sich hätten, was man in Frieden lassen müsse, bis es sich von selbst löst wie der Nebel, der gen Himmel steigt, und der in den unendlichen Räumen des Äthers verschwindet. Andere zwar, die Witwer geworden, heirateten einen oder zwei Monate später; — aber diese hatten nicht bei den Kamaldulensern begonnen, es hatte sie auch nicht der Schlag des Schicksals an der Schwelle ihres Glückes nach langen Jahren der Erwartung getroffen. Und überdies, wenn Leute ohne Bildung die Heiligkeit der Trauer nicht achteten, ziemte es sich, ihrem Beispiele zu folgen? —

      Wolodyjowski zog also, begleitet von Gewissensbissen, nach Reußen. Er war aber insoweit gerecht, daß er die ganze Schuld auf sich nahm und nicht etwa auf Christine abwälzte. Im Gegenteil; zu den vielen beunruhigenden Stimmen, die ihm zuflüsterten, trat auch die, ob nicht Christine im Grunde ihrer Seele ihm diese Eile übel deuten könnte.

      »Sie selbst hätte gewiß nicht so gehandelt,« sagte Michael zu sich selber, »und da sie eine große Seele hat, verlangt sie unzweifelhaft auch von anderen diese Größe.«

      Und es erfaßte ihn die Furcht, ob er ihr etwa klein erschienen sein könnte. Aber es war unnütze Furcht. Was kümmerte Christine Michaels Trauer; wenn er ihr zu viel davon sprach, so erregte das nicht nur ihre Teilnahme, sondern es reizte sogar ihre Eigenliebe. War etwa sie, die Lebende, der Toten nicht wert? War sie überhaupt so wenig wert, daß die verstorbene Anna ihre Rivalin sein konnte? Wäre Sagloba in das Geheimnis eingeweiht gewesen, er hätte Michael sicherlich damit beruhigt, daß die Frauen für einander nicht allzuviel Mitleid haben.

      Und doch war Christine nach der Abreise Wolodyjowskis sehr erstaunt über das, was vorgegangen, und daß das Schloß bereits in den Riegel gefallen war. Als sie nach Warschau reiste, wo sie nie vorher gewesen war, hatte sie sich vorgestellt, daß alles ganz anders sein würde. Zum Wahlreichstag und zur Wahl würden die bischöflichen Herren mit Gefolge, die Würdenträger mit ihren Leuten, eine leuchtende Ritterschaft von allen Seiten der Republik zusammenkommen. Da würde es Vergnügen, Lustbarkeiten, Wettkämpfe geben, und mitten in diesem Lärm in den Scharen der Ritterschaft würde »er« erscheinen.

      Der Ritter, wie ihn nur in Träumen die Mädchen sehen; er würde in Liebe zu ihr entbrennen, unter ihrem Fenster mit der Zither stehen, lange lieben und seufzen, lange die Farbe der Geliebten im Wappen führen, ehe er nach zahlreichen Leiden und schwer überwindlichen Hindernissen ihr zu Füßen fallen und ihre Gegenliebe gewinnen würde.

      Nichts von alledem war geschehen. Die farbigen, wie Regenbogen schillernden Nebel waren zerstoben, und der Ritter war erschienen, sogar ein ganz außerordentlicher Ritter, der für den ersten Kriegsmann der Republik galt, ein großer Herr, aber jenem »er« sehr wenig, ja ganz und gar nicht ähnlich. Auch keine Ritterspiele und keine Laute, keine Turniere, keine Wettkämpfe, keine farbigen Bänder im Wappen, keine Lustbarkeiten der Ritterschaft, keine Vergnügungen, all das nicht, was als ein schöner Traum des Maien, als ein wunderbares Märchen wie der Duft der Blumen berauscht; wovon das Antlitz in Röte erglüht, das Herz bebt, der ganze Körper erzittert ... Nur ein kleines Schlößchen hinter der Stadt, in diesem sie, Herr Michael, dann die Erklärung — und das war alles. Alles andere war entschwunden wie die Mondscheibe am Himmel entschwindet, wenn die Wolke ihn bedeckt ... Wenn dieser Herr Michael wenigstens am Ende des Märchens gekommen wäre, er wäre willkommen geheißen worden. Bisweilen, wenn Christine an seinen Ruhm dachte, an seine Tapferkeit, an seinen Mut, die ihn zum Stolz der ganzen Republik und zum Schrecken ihrer Feinde gemacht hatten, empfand sie, daß sie ihn doch sehr liebe, sie glaubte nur, es sei ihr etwas entgangen, es sei ihr ein Unrecht geschehen — ein wenig von ihm selber — oder richtiger durch die Eile ...

      So war diese Eile für beide ein kleiner Nadelstich ins Herz, und da sie immer weiter voneinander entfernt wurden, begann der kleine Stich ein wenig zu schmerzen. So pflegt in menschlichen Empfindungen manchmal etwas wie ein ganz unbedeutender Dorn zu stechen, bald heilt es von selber zu, bald wächst der Schmerz und fügt selbst der größten Liebe Leid und Bitterkeit zu. Aber zwischen ihnen war es noch weit entfernt von Leid und Bitterkeit. Besonders für Michael war Christine eine süße, beseligende Erinnerung, und ihr Gedenken folgte ihm wie der Schatten dem Menschen. Er dachte auch,


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